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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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junge Aali-von einem Verwandten, der Bootskalsaterer war, erzogen. Dieser
Mann sendete ihn in die türkische Leseschule, wie sie neben den meisten Moscheen
errichtet sind. Später kam er in eine Medreß-Hane (höhere Erziehungsanstalt)
und wurde, von dort entlassen, Schreiber (Katib) in irgend einem Bureau.
Als der jetzige Großmeister der Artillerie, Fethi Achmed Pascha, nach Wien
als Gesandter gesendet wurde (4836 wenn ich nicht irre), begleitete er den¬
selben als Secretär, und benutzte sofort die ersten Monate seines Aufenthaltes in
der östreichischen Hauptstadt, um Französisch zu lernen. Sein damaliger, jetzt
in Stambul lebender Lehrer, erinnert sich noch jetzt der energischen Anstren¬
gungen und des eisernen Fleißes deö jungen Aali Effendi.

Fuad Pascha will mit anderem Maß gemessen sein. Wenn man vor
dem türkischen Minister des Auswärtigen steht, und die schlanke, durchaus
nicht paschaähnliche Gestalt betrachtet, die Schnelle und Lebhaftigkeit seiner Be¬
wegungen, möchte man vermuthen, er sei kein Osmane. Sein Wuchs ist
über mittelgroß, das Gesicht länglich, der Bart hat röthliche Färbung. In
größerer Gesellschaft, wie aus der Straße, preßt der srankistrte Staatsmann
eine Lorgnette vor die großen hellen Augen. Fuad Pascha ist der modernste
unter den türkischen Ministern. Es hat ihm wenig Mühe gemacht, sich
in eine fränkische Haut einzuwickeln, und die letzte asiatische Schale von sich zu
werfen. Wenig Fremde vermögen sich im Französischen geläufiger auszudrücken,
wie er, aber er ist auch des Italienischen und außer seiner Muttersprache
mehrer andrer, im Orient gesprochener, Meister.

Was im Abendland Gemüth und Sentimentalität heißt, ist ihm fremd.
Der Kern seines innersten Wesens ist scharfer und ätzender Verstand. Die
Franzosen in Pera nennen ihn den türkischen Thiers. ES mag wol sein, daß
sich zwischen ihm und dem französischen Staatsmann einige Vergleichungs¬
punkte bieten. Auch er rühmt sich in der Literatur seines Volkes einiger
Leistungen. Von ihm eristirt eine französisch geschriebene türkische Grammatik,
welche, wenigstens in den Regeln über Aussprache der Wörter, als norm-
giltig angesehen werden kann. Die großen Wandlungen, welche die osma-
nische Sprache in neuerer Zeit durch Umlautung vieler Wörter durchgemacht,
sind nicht ohne seinen Einfluß vor sich gegangen. -- Wie viel bewegt dieser
Geist indeß immerhin sei, man wird ihm dennoch in keinem Fall das Prädicat
der Größe zuerkennen dürfen. Es ist etwas Flüchtiges in ihm, welches dem
Stichhalten und jeder ernsteren und dauernden Concentrirung widerstrebt. In
einem europäischen Staat würde dieser Mann kaum zu etwas gelangt sein;
in Konstantinopel bedeutet er viel, weil er eine bemerkbare Ausnahme unter
der Masse ist. -- Wie bekannt, ist Fuad Paschas Feld das auswärtige Amt.
Wer mit ihm zu unterhandeln hat, nehme sich wohl in Acht. Er ist trotz
aller Beweglichkeit listig,' falsch und verschlagen, und der Groll, welcher ihm


junge Aali-von einem Verwandten, der Bootskalsaterer war, erzogen. Dieser
Mann sendete ihn in die türkische Leseschule, wie sie neben den meisten Moscheen
errichtet sind. Später kam er in eine Medreß-Hane (höhere Erziehungsanstalt)
und wurde, von dort entlassen, Schreiber (Katib) in irgend einem Bureau.
Als der jetzige Großmeister der Artillerie, Fethi Achmed Pascha, nach Wien
als Gesandter gesendet wurde (4836 wenn ich nicht irre), begleitete er den¬
selben als Secretär, und benutzte sofort die ersten Monate seines Aufenthaltes in
der östreichischen Hauptstadt, um Französisch zu lernen. Sein damaliger, jetzt
in Stambul lebender Lehrer, erinnert sich noch jetzt der energischen Anstren¬
gungen und des eisernen Fleißes deö jungen Aali Effendi.

Fuad Pascha will mit anderem Maß gemessen sein. Wenn man vor
dem türkischen Minister des Auswärtigen steht, und die schlanke, durchaus
nicht paschaähnliche Gestalt betrachtet, die Schnelle und Lebhaftigkeit seiner Be¬
wegungen, möchte man vermuthen, er sei kein Osmane. Sein Wuchs ist
über mittelgroß, das Gesicht länglich, der Bart hat röthliche Färbung. In
größerer Gesellschaft, wie aus der Straße, preßt der srankistrte Staatsmann
eine Lorgnette vor die großen hellen Augen. Fuad Pascha ist der modernste
unter den türkischen Ministern. Es hat ihm wenig Mühe gemacht, sich
in eine fränkische Haut einzuwickeln, und die letzte asiatische Schale von sich zu
werfen. Wenig Fremde vermögen sich im Französischen geläufiger auszudrücken,
wie er, aber er ist auch des Italienischen und außer seiner Muttersprache
mehrer andrer, im Orient gesprochener, Meister.

Was im Abendland Gemüth und Sentimentalität heißt, ist ihm fremd.
Der Kern seines innersten Wesens ist scharfer und ätzender Verstand. Die
Franzosen in Pera nennen ihn den türkischen Thiers. ES mag wol sein, daß
sich zwischen ihm und dem französischen Staatsmann einige Vergleichungs¬
punkte bieten. Auch er rühmt sich in der Literatur seines Volkes einiger
Leistungen. Von ihm eristirt eine französisch geschriebene türkische Grammatik,
welche, wenigstens in den Regeln über Aussprache der Wörter, als norm-
giltig angesehen werden kann. Die großen Wandlungen, welche die osma-
nische Sprache in neuerer Zeit durch Umlautung vieler Wörter durchgemacht,
sind nicht ohne seinen Einfluß vor sich gegangen. — Wie viel bewegt dieser
Geist indeß immerhin sei, man wird ihm dennoch in keinem Fall das Prädicat
der Größe zuerkennen dürfen. Es ist etwas Flüchtiges in ihm, welches dem
Stichhalten und jeder ernsteren und dauernden Concentrirung widerstrebt. In
einem europäischen Staat würde dieser Mann kaum zu etwas gelangt sein;
in Konstantinopel bedeutet er viel, weil er eine bemerkbare Ausnahme unter
der Masse ist. — Wie bekannt, ist Fuad Paschas Feld das auswärtige Amt.
Wer mit ihm zu unterhandeln hat, nehme sich wohl in Acht. Er ist trotz
aller Beweglichkeit listig,' falsch und verschlagen, und der Groll, welcher ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/519>, abgerufen am 23.07.2024.