Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.hohem Ansehen; ja man muß behaupten, daß er die bei Hoch und Niedrig am In dieser Hinsicht von ihm verschieden ist der am 31. October von hohem Ansehen; ja man muß behaupten, daß er die bei Hoch und Niedrig am In dieser Hinsicht von ihm verschieden ist der am 31. October von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103113"/> <p xml:id="ID_1656" prev="#ID_1655"> hohem Ansehen; ja man muß behaupten, daß er die bei Hoch und Niedrig am<lb/> übelsten angeschriebene öffentliche Persönlichkeit im ganzen Reiche ist. Unter solchen<lb/> Umständen würde er schon längst vom Schauplatze abgetreten sein, wenn nicht<lb/> zwei Beziehungen sein Verbleiben auf der politischen Bühne ermöglichten: sein<lb/> enges Verhältniß zum britischen Gesandten Lord Stratford und die dadurch<lb/> bedingte Gunst des Großherrn. Sollte es sich ereignen, daß Lord Stratford<lb/> stürbe, oder von seinem hiesigen Posten abberufen würde, so wäre nichts ge¬<lb/> wisser, als daß Reschid Pascha schnell verschwinden und fernerhin nimmer ge¬<lb/> nannt werden würde. Er steht weder durch Talente noch durch Grundsätze in<lb/> irgend welcher Beziehung zu dem großen Werke der Reform, welches er that¬<lb/> sächlich auch kaum noch berührt hat. Und sein Verbleiben im Ministerium<lb/> oder gar seine Präsidentschaft, ist keine Nothwendigkeit für den Fortgang<lb/> türkischer Entwicklung, ja sie wird denselben kaum fördern. ReschidS Ziele<lb/> sind durchaus persönlicher Art. Als Minister und vollends in seiner heutigen<lb/> Position, als saber Asam oder Großvezier, den Rang einnehmen, ein<lb/> reiches Gehalt beziehen, in der Oeffentlichkeit glänzen, das ist sein Zweck, und<lb/> diese Tendenz hat er mit den meisten seiner Collegen gemein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1657" next="#ID_1658"> In dieser Hinsicht von ihm verschieden ist der am 31. October von<lb/> den Staatsgeschäften zurückgetretene, ehemalige Großvezier Aali Pascha,<lb/> dem man das in der Türkei sehr große Lob ertheilen darf, daß er sein eigenes<lb/> Privatinteresse bei den öffentlichen Angelegenheiten zuletzt in Anschlag brachte.<lb/> Er ist in starkem Maße uneigennützig, und hierauf zumeist beruht der hohe<lb/> Grad von Achtung, den er sich im Auslande und bei ehrenwerthen europäi¬<lb/> schen Diplomaten zu erwerben gewußt hat. In Aali Paschas Seele kreuzen sich<lb/> zwei widerstrebende Richtungen: eine gewisse Pietät für das Hergebrachte, Alte<lb/> und Nationale im Osmanenthum und die lebhafte Ueberzeugung von der<lb/> Nothwendigkeit der Reformen. Tief in seinem Herzen birgt er für der Os-<lb/> manen Zukunft allerlei patriotische Ideale. Aus den Grundlagen asiatischen<lb/> Wesens ein neues Reich mit allen Hilfsmitteln fränkischer Cultur aufzubauen,<lb/> ist ihm ein entzückender Gedanke. Er ist ein eifriger Pfleger türkischer Litera¬<lb/> tur und unter seinem Volke als Dichter nicht ohne Namen. Von Statur ist<lb/> er mittelgroß, sein Gesicht hat einnehmende Züge, aber er hat in den letz¬<lb/> ten Jahren stark gealtert, und gewisse Gramesfurchen, die ich mir nicht näher zu<lb/> deuten weiß, sind seiner Physiognomie tief eingestempelt. Im Wesen hat er<lb/> viel Nückhaltung und Bescheidenheit, zu viel möchte ich sagen. Wenn er<lb/> dem Großherrn als Bester voranschritt, deutete nichts in seiner Haltung auf<lb/> den ersten Beamten des Reichs. Seine Feinde sagen: man merke seinem Auf¬<lb/> treten stets an, daß er aus der Tiefe nach oben gekommen; das letztere ist<lb/> ihm mehr Ehre, als manchem anderen, der denselben Gang machte. Seine<lb/> Eltern gehörten den untersten Ständen an, nach ihrem frühen Tode wurde der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0518]
hohem Ansehen; ja man muß behaupten, daß er die bei Hoch und Niedrig am
übelsten angeschriebene öffentliche Persönlichkeit im ganzen Reiche ist. Unter solchen
Umständen würde er schon längst vom Schauplatze abgetreten sein, wenn nicht
zwei Beziehungen sein Verbleiben auf der politischen Bühne ermöglichten: sein
enges Verhältniß zum britischen Gesandten Lord Stratford und die dadurch
bedingte Gunst des Großherrn. Sollte es sich ereignen, daß Lord Stratford
stürbe, oder von seinem hiesigen Posten abberufen würde, so wäre nichts ge¬
wisser, als daß Reschid Pascha schnell verschwinden und fernerhin nimmer ge¬
nannt werden würde. Er steht weder durch Talente noch durch Grundsätze in
irgend welcher Beziehung zu dem großen Werke der Reform, welches er that¬
sächlich auch kaum noch berührt hat. Und sein Verbleiben im Ministerium
oder gar seine Präsidentschaft, ist keine Nothwendigkeit für den Fortgang
türkischer Entwicklung, ja sie wird denselben kaum fördern. ReschidS Ziele
sind durchaus persönlicher Art. Als Minister und vollends in seiner heutigen
Position, als saber Asam oder Großvezier, den Rang einnehmen, ein
reiches Gehalt beziehen, in der Oeffentlichkeit glänzen, das ist sein Zweck, und
diese Tendenz hat er mit den meisten seiner Collegen gemein.
In dieser Hinsicht von ihm verschieden ist der am 31. October von
den Staatsgeschäften zurückgetretene, ehemalige Großvezier Aali Pascha,
dem man das in der Türkei sehr große Lob ertheilen darf, daß er sein eigenes
Privatinteresse bei den öffentlichen Angelegenheiten zuletzt in Anschlag brachte.
Er ist in starkem Maße uneigennützig, und hierauf zumeist beruht der hohe
Grad von Achtung, den er sich im Auslande und bei ehrenwerthen europäi¬
schen Diplomaten zu erwerben gewußt hat. In Aali Paschas Seele kreuzen sich
zwei widerstrebende Richtungen: eine gewisse Pietät für das Hergebrachte, Alte
und Nationale im Osmanenthum und die lebhafte Ueberzeugung von der
Nothwendigkeit der Reformen. Tief in seinem Herzen birgt er für der Os-
manen Zukunft allerlei patriotische Ideale. Aus den Grundlagen asiatischen
Wesens ein neues Reich mit allen Hilfsmitteln fränkischer Cultur aufzubauen,
ist ihm ein entzückender Gedanke. Er ist ein eifriger Pfleger türkischer Litera¬
tur und unter seinem Volke als Dichter nicht ohne Namen. Von Statur ist
er mittelgroß, sein Gesicht hat einnehmende Züge, aber er hat in den letz¬
ten Jahren stark gealtert, und gewisse Gramesfurchen, die ich mir nicht näher zu
deuten weiß, sind seiner Physiognomie tief eingestempelt. Im Wesen hat er
viel Nückhaltung und Bescheidenheit, zu viel möchte ich sagen. Wenn er
dem Großherrn als Bester voranschritt, deutete nichts in seiner Haltung auf
den ersten Beamten des Reichs. Seine Feinde sagen: man merke seinem Auf¬
treten stets an, daß er aus der Tiefe nach oben gekommen; das letztere ist
ihm mehr Ehre, als manchem anderen, der denselben Gang machte. Seine
Eltern gehörten den untersten Ständen an, nach ihrem frühen Tode wurde der
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