Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich auch später verwirklichte. Wichtiger, als die materielle Seite der Frage,
war das Uebergewicht, das die Puros durch ihre Lösung in der Versammlung
erhielten. O'Donnelö noch einmal aufgenommener Versuch, sich eine parla¬
mentarische Mehrheit für seine Politik zu schaffen, war gescheitert. Die Macht
seiner Gegner stieg und drohte ihn, der im Cabinet mehr und mehr isolirt
stand, zu verdrängen. Der Graf von Lucera dachte daher auf andere Bundes-
genossen und andere Mittel, um seiner offenen und heimlichen Feinde Herr
zu werden.

Neben und trotz dieser politischen Wirren hatten sich Spanien auf dem
materiellen Gebiet wichtige und erfreuliche Aussichten eröffnet. Eine Gesell¬
schaft großer französischer Kapitalisten, an deren Spitze der in den letzten Jahren
in der europäischen Finanzwelt berühmte Name Pereire stand, waren mit der
spanischen Negierung in Verhandlung über die Gründung einer Creditgesell¬
schaft getreten, nach dem Muster des in Frankreich seit einigen Jahren be¬
stehenden Credit Mobiliers. Die reichen, aber noch unentwickelten Mittel des
Landes boten fremdem Capital und Unternehmungsgeist ein weites und lockendes
Feld dar. Die Bedenken, die in Frankreich den Operationen des Credit
Mobilier entgegenstanden, waren in Spanien weniger vorhanden. Denn nicht
Ueberspeculation war hier sobald zu besorgen, wo die einheimischen Geldmächte
mit Vernachlässigung wirklich nutzbringender Interessen ihren Gewinn größten-
theils in den unaufhörlichen Vorschüssen suchten, um welche sie der stets be¬
dürftige Staatsschatz angehn mußte, und die ihm nur aus kurze Frist, gegen
Verpfändung von Einnahmen oder Werthpapieren und zu wahrhaft blutsau¬
gerischen Zinse" gewährt wurden. Die französische Gesellschaft bot für ihre
Concesstonirung der Regierung ein Anlehn zu in Anbetracht der Lage Spaniens
vortheilhaften Bedingungen, vermittelst dessen die von Brun begonnenen Ope¬
rationen zur Tilgung der schwebenden Schuld fortgesetzt und zum Ziel geführt
werden konnten. Sie erbot sich außerdem, den Ausbau der projectirten großen
Eisenbahnlinien gegen eine verhältnißmäßige Unterstützung des Staates zu
übernehmen. Letztere sind, in Verbindung mit einer allgemeinen, gründlichen
Besserung der übrigen Communicationsmütel, unstreitig das dringendste Be¬
dürfniß für die Halbinsel. Nicht blos der Aufschwung ihrer materiellen Wohl¬
fahrt , auch ihre ganze intellectuelle, moralische und politische Entwicklung hängt
davon ab, daß den Zuständen mittelalterlicher Uncultur in dieser Beziehung ein
Ende gemacht wird. Nur wenn die Absperrung der verschiedenen Provinzen
unter sich und vom Auslande gehoben, wenn Ackerbau wie Industrie nutz¬
bringend wird, und, ein reger Verkehr zahlreiche Fremde in das Land und
Eingeborne, die mit geringen Ausnahmen in Spanien buchstäblich an der
Scholle kleben, in geeigneter Anzahl hinausführt, kommender beschränkte Pro¬
vinziell- und Localgeist, vor allem die auf Unwissenheit und Vorurtheile ge-


sich auch später verwirklichte. Wichtiger, als die materielle Seite der Frage,
war das Uebergewicht, das die Puros durch ihre Lösung in der Versammlung
erhielten. O'Donnelö noch einmal aufgenommener Versuch, sich eine parla¬
mentarische Mehrheit für seine Politik zu schaffen, war gescheitert. Die Macht
seiner Gegner stieg und drohte ihn, der im Cabinet mehr und mehr isolirt
stand, zu verdrängen. Der Graf von Lucera dachte daher auf andere Bundes-
genossen und andere Mittel, um seiner offenen und heimlichen Feinde Herr
zu werden.

Neben und trotz dieser politischen Wirren hatten sich Spanien auf dem
materiellen Gebiet wichtige und erfreuliche Aussichten eröffnet. Eine Gesell¬
schaft großer französischer Kapitalisten, an deren Spitze der in den letzten Jahren
in der europäischen Finanzwelt berühmte Name Pereire stand, waren mit der
spanischen Negierung in Verhandlung über die Gründung einer Creditgesell¬
schaft getreten, nach dem Muster des in Frankreich seit einigen Jahren be¬
stehenden Credit Mobiliers. Die reichen, aber noch unentwickelten Mittel des
Landes boten fremdem Capital und Unternehmungsgeist ein weites und lockendes
Feld dar. Die Bedenken, die in Frankreich den Operationen des Credit
Mobilier entgegenstanden, waren in Spanien weniger vorhanden. Denn nicht
Ueberspeculation war hier sobald zu besorgen, wo die einheimischen Geldmächte
mit Vernachlässigung wirklich nutzbringender Interessen ihren Gewinn größten-
theils in den unaufhörlichen Vorschüssen suchten, um welche sie der stets be¬
dürftige Staatsschatz angehn mußte, und die ihm nur aus kurze Frist, gegen
Verpfändung von Einnahmen oder Werthpapieren und zu wahrhaft blutsau¬
gerischen Zinse» gewährt wurden. Die französische Gesellschaft bot für ihre
Concesstonirung der Regierung ein Anlehn zu in Anbetracht der Lage Spaniens
vortheilhaften Bedingungen, vermittelst dessen die von Brun begonnenen Ope¬
rationen zur Tilgung der schwebenden Schuld fortgesetzt und zum Ziel geführt
werden konnten. Sie erbot sich außerdem, den Ausbau der projectirten großen
Eisenbahnlinien gegen eine verhältnißmäßige Unterstützung des Staates zu
übernehmen. Letztere sind, in Verbindung mit einer allgemeinen, gründlichen
Besserung der übrigen Communicationsmütel, unstreitig das dringendste Be¬
dürfniß für die Halbinsel. Nicht blos der Aufschwung ihrer materiellen Wohl¬
fahrt , auch ihre ganze intellectuelle, moralische und politische Entwicklung hängt
davon ab, daß den Zuständen mittelalterlicher Uncultur in dieser Beziehung ein
Ende gemacht wird. Nur wenn die Absperrung der verschiedenen Provinzen
unter sich und vom Auslande gehoben, wenn Ackerbau wie Industrie nutz¬
bringend wird, und, ein reger Verkehr zahlreiche Fremde in das Land und
Eingeborne, die mit geringen Ausnahmen in Spanien buchstäblich an der
Scholle kleben, in geeigneter Anzahl hinausführt, kommender beschränkte Pro¬
vinziell- und Localgeist, vor allem die auf Unwissenheit und Vorurtheile ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103106"/>
            <p xml:id="ID_1641" prev="#ID_1640"> sich auch später verwirklichte. Wichtiger, als die materielle Seite der Frage,<lb/>
war das Uebergewicht, das die Puros durch ihre Lösung in der Versammlung<lb/>
erhielten. O'Donnelö noch einmal aufgenommener Versuch, sich eine parla¬<lb/>
mentarische Mehrheit für seine Politik zu schaffen, war gescheitert. Die Macht<lb/>
seiner Gegner stieg und drohte ihn, der im Cabinet mehr und mehr isolirt<lb/>
stand, zu verdrängen. Der Graf von Lucera dachte daher auf andere Bundes-<lb/>
genossen und andere Mittel, um seiner offenen und heimlichen Feinde Herr<lb/>
zu werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1642" next="#ID_1643"> Neben und trotz dieser politischen Wirren hatten sich Spanien auf dem<lb/>
materiellen Gebiet wichtige und erfreuliche Aussichten eröffnet.  Eine Gesell¬<lb/>
schaft großer französischer Kapitalisten, an deren Spitze der in den letzten Jahren<lb/>
in der europäischen Finanzwelt berühmte Name Pereire stand, waren mit der<lb/>
spanischen Negierung in Verhandlung über die Gründung einer Creditgesell¬<lb/>
schaft getreten, nach dem Muster des in Frankreich seit einigen Jahren be¬<lb/>
stehenden Credit Mobiliers.  Die reichen, aber noch unentwickelten Mittel des<lb/>
Landes boten fremdem Capital und Unternehmungsgeist ein weites und lockendes<lb/>
Feld dar.  Die Bedenken, die in Frankreich den Operationen des Credit<lb/>
Mobilier entgegenstanden, waren in Spanien weniger vorhanden. Denn nicht<lb/>
Ueberspeculation war hier sobald zu besorgen, wo die einheimischen Geldmächte<lb/>
mit Vernachlässigung wirklich nutzbringender Interessen ihren Gewinn größten-<lb/>
theils in den unaufhörlichen Vorschüssen suchten, um welche sie der stets be¬<lb/>
dürftige Staatsschatz angehn mußte, und die ihm nur aus kurze Frist, gegen<lb/>
Verpfändung von Einnahmen oder Werthpapieren und zu wahrhaft blutsau¬<lb/>
gerischen Zinse» gewährt wurden.  Die französische Gesellschaft bot für ihre<lb/>
Concesstonirung der Regierung ein Anlehn zu in Anbetracht der Lage Spaniens<lb/>
vortheilhaften Bedingungen, vermittelst dessen die von Brun begonnenen Ope¬<lb/>
rationen zur Tilgung der schwebenden Schuld fortgesetzt und zum Ziel geführt<lb/>
werden konnten. Sie erbot sich außerdem, den Ausbau der projectirten großen<lb/>
Eisenbahnlinien gegen eine verhältnißmäßige Unterstützung des Staates zu<lb/>
übernehmen.  Letztere sind, in Verbindung mit einer allgemeinen, gründlichen<lb/>
Besserung der übrigen Communicationsmütel, unstreitig das dringendste Be¬<lb/>
dürfniß für die Halbinsel. Nicht blos der Aufschwung ihrer materiellen Wohl¬<lb/>
fahrt , auch ihre ganze intellectuelle, moralische und politische Entwicklung hängt<lb/>
davon ab, daß den Zuständen mittelalterlicher Uncultur in dieser Beziehung ein<lb/>
Ende gemacht wird.  Nur wenn die Absperrung der verschiedenen Provinzen<lb/>
unter sich und vom Auslande gehoben, wenn Ackerbau wie Industrie nutz¬<lb/>
bringend wird, und, ein reger Verkehr zahlreiche Fremde in das Land und<lb/>
Eingeborne, die mit geringen Ausnahmen in Spanien buchstäblich an der<lb/>
Scholle kleben, in geeigneter Anzahl hinausführt, kommender beschränkte Pro¬<lb/>
vinziell- und Localgeist, vor allem die auf Unwissenheit und Vorurtheile ge-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0511] sich auch später verwirklichte. Wichtiger, als die materielle Seite der Frage, war das Uebergewicht, das die Puros durch ihre Lösung in der Versammlung erhielten. O'Donnelö noch einmal aufgenommener Versuch, sich eine parla¬ mentarische Mehrheit für seine Politik zu schaffen, war gescheitert. Die Macht seiner Gegner stieg und drohte ihn, der im Cabinet mehr und mehr isolirt stand, zu verdrängen. Der Graf von Lucera dachte daher auf andere Bundes- genossen und andere Mittel, um seiner offenen und heimlichen Feinde Herr zu werden. Neben und trotz dieser politischen Wirren hatten sich Spanien auf dem materiellen Gebiet wichtige und erfreuliche Aussichten eröffnet. Eine Gesell¬ schaft großer französischer Kapitalisten, an deren Spitze der in den letzten Jahren in der europäischen Finanzwelt berühmte Name Pereire stand, waren mit der spanischen Negierung in Verhandlung über die Gründung einer Creditgesell¬ schaft getreten, nach dem Muster des in Frankreich seit einigen Jahren be¬ stehenden Credit Mobiliers. Die reichen, aber noch unentwickelten Mittel des Landes boten fremdem Capital und Unternehmungsgeist ein weites und lockendes Feld dar. Die Bedenken, die in Frankreich den Operationen des Credit Mobilier entgegenstanden, waren in Spanien weniger vorhanden. Denn nicht Ueberspeculation war hier sobald zu besorgen, wo die einheimischen Geldmächte mit Vernachlässigung wirklich nutzbringender Interessen ihren Gewinn größten- theils in den unaufhörlichen Vorschüssen suchten, um welche sie der stets be¬ dürftige Staatsschatz angehn mußte, und die ihm nur aus kurze Frist, gegen Verpfändung von Einnahmen oder Werthpapieren und zu wahrhaft blutsau¬ gerischen Zinse» gewährt wurden. Die französische Gesellschaft bot für ihre Concesstonirung der Regierung ein Anlehn zu in Anbetracht der Lage Spaniens vortheilhaften Bedingungen, vermittelst dessen die von Brun begonnenen Ope¬ rationen zur Tilgung der schwebenden Schuld fortgesetzt und zum Ziel geführt werden konnten. Sie erbot sich außerdem, den Ausbau der projectirten großen Eisenbahnlinien gegen eine verhältnißmäßige Unterstützung des Staates zu übernehmen. Letztere sind, in Verbindung mit einer allgemeinen, gründlichen Besserung der übrigen Communicationsmütel, unstreitig das dringendste Be¬ dürfniß für die Halbinsel. Nicht blos der Aufschwung ihrer materiellen Wohl¬ fahrt , auch ihre ganze intellectuelle, moralische und politische Entwicklung hängt davon ab, daß den Zuständen mittelalterlicher Uncultur in dieser Beziehung ein Ende gemacht wird. Nur wenn die Absperrung der verschiedenen Provinzen unter sich und vom Auslande gehoben, wenn Ackerbau wie Industrie nutz¬ bringend wird, und, ein reger Verkehr zahlreiche Fremde in das Land und Eingeborne, die mit geringen Ausnahmen in Spanien buchstäblich an der Scholle kleben, in geeigneter Anzahl hinausführt, kommender beschränkte Pro¬ vinziell- und Localgeist, vor allem die auf Unwissenheit und Vorurtheile ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/511
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/511>, abgerufen am 23.07.2024.