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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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jene Gesetze ohne Gefahr der Beschlußfassung ordentlicher Cortes überlassen.
Die Verweigerung der königlichen Sanction war, so lange überhaupt die
Herrschaft der Progressisten dauerte, nicht zu befürchten; hatte sie doch dem
Desamortisationögesetz ertheilt werden müssen. Der Wunsch eine Situation
zu verlängern, die eine offenbare Manifestation der Nationalsouverainetät war,
die der Mehrheit einer Versammlung die ungelenke Herrschaft in die Hand
gab, war das eigentliche Motiv eines Verfahrens, für welches die organischen
Gesetze mehr den Vorwand bildeten. Es sand übrigens von keiner Seite
Widerstand. Der Hof und die äußerste Rechte zogen die Fortdauer des Pro¬
visoriums der definitiven Einführung einer Verfassung vor, deren Inhalt ihnen
höchlich verhaßt war. Das Erstere ließ unstreitig den Aussichten auf einen
Umschwung der Dinge mehr Raum offen. Espartero und O'Dommel -- denn
so weit es das Ministerium betraf, konnte nach dessen letzter Zusammensetzung
fast nur von diesen beiden die Rede sein, -- erhoben aus verschiedenen Grün¬
den keinen Einspruch gegen die Verlängerung der constituirenden Cortes.
Hatte der Siegesherzog wirklich aus jede Hoffnung, seine ehemalige, hohe
Stellung wiederzuerlangen, -verzichtet, so gab ihm doch eine anormale Si¬
tuation gewissermaßen ein Vermittleramt zwischen der Krone und dem Volke,
eine Position, die an die einst von ihm bekleidete Würde erinnerte und schwin¬
den mußte, sobald reguläre Verhältnisse zurückkehrten. In der Seele des
Grafen v. Lucera begann aber, wie es scheint, ein verhängnißvoller Um¬
schwung einzutreten; er hoffte und wünschte nicht mehr durch die Cortes zu
einer definitiven Ordnung der Dinge zu kommen, er sah nicht ungern den
Aufschub in Einführung einer Verfassung, die dem populären Element einen
sehr weiten Spielraum gab, und bereitete eine Wendung vor, welche ihm die
Initiative in der Neugestaltung des Staates, die ihm der Lauf der Juli¬
bewegung entrissen, wieder zurückgeben sollte.

DaS Werk der Cortes ist nicht in Kraft getreten, und es ist höchst zwei¬
felhaft, ob die progrcssistische Partei, falls ein Umschwung zu ihren Gunsten
ihr in Zukunft die Gewalt wiederum zuführt, darauf zurückkommen wird. Wir
dürfen uns deshalb der Mühe überheben, ausführlich auf die Verfassung ein-
zugehn; es wird genügen, ihre Hauptbestiwmungen mitzutheilen. Sie hielt
etwa die Mitte zwischen der Konstitution von 1837 und der von 1812 ein.
Gleich beiden nahm sie die Nationalsouveränetäi zu ihrem Ausgangspunkt.
Sie setzte zwei Kammern ein, während aber die Constitution von 1837 dem
Senat außer einer längern Wahlperiode und geringerer Zahl, einen höhern
Census, sowol für das active, als passive Wahlrecht, zu Grunde legte, und
der Krone das Recht der Auswahl aus je drei von dem Wahlkörper ihr
zu präsentirenden Kandidaten ertheilte, gab die neue Verfassung dem Senat
das gleiche Wahlgesetz, wie dem Congreß, und unterschied ihn von diesem


jene Gesetze ohne Gefahr der Beschlußfassung ordentlicher Cortes überlassen.
Die Verweigerung der königlichen Sanction war, so lange überhaupt die
Herrschaft der Progressisten dauerte, nicht zu befürchten; hatte sie doch dem
Desamortisationögesetz ertheilt werden müssen. Der Wunsch eine Situation
zu verlängern, die eine offenbare Manifestation der Nationalsouverainetät war,
die der Mehrheit einer Versammlung die ungelenke Herrschaft in die Hand
gab, war das eigentliche Motiv eines Verfahrens, für welches die organischen
Gesetze mehr den Vorwand bildeten. Es sand übrigens von keiner Seite
Widerstand. Der Hof und die äußerste Rechte zogen die Fortdauer des Pro¬
visoriums der definitiven Einführung einer Verfassung vor, deren Inhalt ihnen
höchlich verhaßt war. Das Erstere ließ unstreitig den Aussichten auf einen
Umschwung der Dinge mehr Raum offen. Espartero und O'Dommel — denn
so weit es das Ministerium betraf, konnte nach dessen letzter Zusammensetzung
fast nur von diesen beiden die Rede sein, — erhoben aus verschiedenen Grün¬
den keinen Einspruch gegen die Verlängerung der constituirenden Cortes.
Hatte der Siegesherzog wirklich aus jede Hoffnung, seine ehemalige, hohe
Stellung wiederzuerlangen, -verzichtet, so gab ihm doch eine anormale Si¬
tuation gewissermaßen ein Vermittleramt zwischen der Krone und dem Volke,
eine Position, die an die einst von ihm bekleidete Würde erinnerte und schwin¬
den mußte, sobald reguläre Verhältnisse zurückkehrten. In der Seele des
Grafen v. Lucera begann aber, wie es scheint, ein verhängnißvoller Um¬
schwung einzutreten; er hoffte und wünschte nicht mehr durch die Cortes zu
einer definitiven Ordnung der Dinge zu kommen, er sah nicht ungern den
Aufschub in Einführung einer Verfassung, die dem populären Element einen
sehr weiten Spielraum gab, und bereitete eine Wendung vor, welche ihm die
Initiative in der Neugestaltung des Staates, die ihm der Lauf der Juli¬
bewegung entrissen, wieder zurückgeben sollte.

DaS Werk der Cortes ist nicht in Kraft getreten, und es ist höchst zwei¬
felhaft, ob die progrcssistische Partei, falls ein Umschwung zu ihren Gunsten
ihr in Zukunft die Gewalt wiederum zuführt, darauf zurückkommen wird. Wir
dürfen uns deshalb der Mühe überheben, ausführlich auf die Verfassung ein-
zugehn; es wird genügen, ihre Hauptbestiwmungen mitzutheilen. Sie hielt
etwa die Mitte zwischen der Konstitution von 1837 und der von 1812 ein.
Gleich beiden nahm sie die Nationalsouveränetäi zu ihrem Ausgangspunkt.
Sie setzte zwei Kammern ein, während aber die Constitution von 1837 dem
Senat außer einer längern Wahlperiode und geringerer Zahl, einen höhern
Census, sowol für das active, als passive Wahlrecht, zu Grunde legte, und
der Krone das Recht der Auswahl aus je drei von dem Wahlkörper ihr
zu präsentirenden Kandidaten ertheilte, gab die neue Verfassung dem Senat
das gleiche Wahlgesetz, wie dem Congreß, und unterschied ihn von diesem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/506>, abgerufen am 23.07.2024.