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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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hieß, die Regierung beabsichtige mit Umgehung der constituirenden Versammlung
die Verfassung von 1837 oder ein neues auf die von den Cortes beschlossenen
Grundlagen basirtes Grundgesetz zu proclamiren. Vorzugsweise war es natür¬
lich O'Dommel, dem derartige Projecte untergeschoben wurden, obwol das Ge¬
rücht selbst Espartero im EinVerständniß damit sein ließ, was allein schon
hinreichte, um der Sache jede Begründung abzusprechen. Denn der Sieges¬
herzog würde sich nie dazu verstanden haben, mit der Versammlung und da¬
durch mit derjenigen Fraction der Progressiven zu brechen, die ihn gewissermaßen
zum Symbol der ganzen Partei erhoben hatte. Wenn aber jene Gerüchte
auch sehr verfrüht waren, so glichen sie doch schon dem Schatten, welchen die
kommenden Ereignisse vor sich her warfen. Die Cortes hatten den gerechten
Hoffnungen der Nation nicht entsprochen, sie hinterließen, indem sie sich ver¬
tagten, alles in der Schwebe und die Lage der öffentlichen Angelegenheiten
schlimmer, als sie bei ihrem Zusammentritt sie vorgefunden. Ihr Nimbus be¬
gann daher zu schwinden, und man suchte bereits nach andern Auswegen aus
den Drangsalen, mit welchen Spanien zu ringen hatte.

Die Zustände fingen sich indeß, wenn auch nur langsam und allmülig,
zu bessern an. Die catalonischen Unruhen wurden bald bewältigt und die
Rädelsführer der verübten Meuchelmorde, so weit man ihrer habhaft werden
konnte, exemplarisch bestraft. Dem freiwilligen Anlehn, das anfangs sehr
schlechten Fortgang hatte, begannen sich günstigere Aussichten zu eröffnen,
weshalb die Negierung die dasür gesetzte Präclustvfrist verlängerte; schließlich
stiegen gegen jede gehegte Erwartung die Zeichnungen bis auf 203 Millionen
Realen, so daß nur der unbedeutende Nest von 23 Millionen zwangsweise den
Provinzen auferlegt wurde, welche den ihnen verhältnißmäßig zukommenden
Beitrag nicht geleistet hatten. Die Nationalgüter, mit deren Versteigerung
man schleunigst vorgegangen war, fanden immer zahlreichere Käufer und die
vermehrte Concurrenz brachte bald ihre Erträge fast auf das Doppelte der an¬
gestellten Schätzung. Man hatte dies Mal die weise Bestimmung getroffen, die
Güter in viele kleine Parzellen zu zerschlagen, waS bei den früher geschehenen
Verkäufen der Kloster- und Kirchengüter zum großen Nachtheil des Schatzes
versäumt worden war. Man erhielt dadurch mehr Käufer und schon deshalb
bessere Preise. Je größer aber ferner die Zahl der Personen war, die in den
Besitz der verkauften Güter kamen, desto schwerer mußte eS einer etwaigen,
spätern Reaction werden, die Verkäufe wieder aufzuheben. Das stärkere Ver¬
trauen in die Sicherheit des zu erwerbenden Eigenthum's erhöhte daher gleich¬
falls die Kauflust und die Gebote. Brun war der Mann, die ihm zufließen¬
den Hilfsquellen für die Finanzen nutzbar zu machen; die schwebende Schuld
wurde nicht unbeträchtlich vermindert und die öffentlichen Fonds begannen zu
steigen. Diese Lichtblicke am politischen Horizont gewährten einigen Trost für


hieß, die Regierung beabsichtige mit Umgehung der constituirenden Versammlung
die Verfassung von 1837 oder ein neues auf die von den Cortes beschlossenen
Grundlagen basirtes Grundgesetz zu proclamiren. Vorzugsweise war es natür¬
lich O'Dommel, dem derartige Projecte untergeschoben wurden, obwol das Ge¬
rücht selbst Espartero im EinVerständniß damit sein ließ, was allein schon
hinreichte, um der Sache jede Begründung abzusprechen. Denn der Sieges¬
herzog würde sich nie dazu verstanden haben, mit der Versammlung und da¬
durch mit derjenigen Fraction der Progressiven zu brechen, die ihn gewissermaßen
zum Symbol der ganzen Partei erhoben hatte. Wenn aber jene Gerüchte
auch sehr verfrüht waren, so glichen sie doch schon dem Schatten, welchen die
kommenden Ereignisse vor sich her warfen. Die Cortes hatten den gerechten
Hoffnungen der Nation nicht entsprochen, sie hinterließen, indem sie sich ver¬
tagten, alles in der Schwebe und die Lage der öffentlichen Angelegenheiten
schlimmer, als sie bei ihrem Zusammentritt sie vorgefunden. Ihr Nimbus be¬
gann daher zu schwinden, und man suchte bereits nach andern Auswegen aus
den Drangsalen, mit welchen Spanien zu ringen hatte.

Die Zustände fingen sich indeß, wenn auch nur langsam und allmülig,
zu bessern an. Die catalonischen Unruhen wurden bald bewältigt und die
Rädelsführer der verübten Meuchelmorde, so weit man ihrer habhaft werden
konnte, exemplarisch bestraft. Dem freiwilligen Anlehn, das anfangs sehr
schlechten Fortgang hatte, begannen sich günstigere Aussichten zu eröffnen,
weshalb die Negierung die dasür gesetzte Präclustvfrist verlängerte; schließlich
stiegen gegen jede gehegte Erwartung die Zeichnungen bis auf 203 Millionen
Realen, so daß nur der unbedeutende Nest von 23 Millionen zwangsweise den
Provinzen auferlegt wurde, welche den ihnen verhältnißmäßig zukommenden
Beitrag nicht geleistet hatten. Die Nationalgüter, mit deren Versteigerung
man schleunigst vorgegangen war, fanden immer zahlreichere Käufer und die
vermehrte Concurrenz brachte bald ihre Erträge fast auf das Doppelte der an¬
gestellten Schätzung. Man hatte dies Mal die weise Bestimmung getroffen, die
Güter in viele kleine Parzellen zu zerschlagen, waS bei den früher geschehenen
Verkäufen der Kloster- und Kirchengüter zum großen Nachtheil des Schatzes
versäumt worden war. Man erhielt dadurch mehr Käufer und schon deshalb
bessere Preise. Je größer aber ferner die Zahl der Personen war, die in den
Besitz der verkauften Güter kamen, desto schwerer mußte eS einer etwaigen,
spätern Reaction werden, die Verkäufe wieder aufzuheben. Das stärkere Ver¬
trauen in die Sicherheit des zu erwerbenden Eigenthum's erhöhte daher gleich¬
falls die Kauflust und die Gebote. Brun war der Mann, die ihm zufließen¬
den Hilfsquellen für die Finanzen nutzbar zu machen; die schwebende Schuld
wurde nicht unbeträchtlich vermindert und die öffentlichen Fonds begannen zu
steigen. Diese Lichtblicke am politischen Horizont gewährten einigen Trost für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/502>, abgerufen am 23.07.2024.