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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Wasserkies'e neben an, reicht seine gekrümmte Frontseite sechzig Meilen lang
von Cap Agassiz bis Cap Forbes in einen unerforschten Raum hinaus, nichl
mehr als eine Tagereise pr. Eisenbahn von dem Nordpol entfernt. Die innere
Fläche, mit der er zusammenhing, war ein unübersehbares Feld von Eis,
scheinbar von unbegrenzter Ausdehnung.

Die Erpedition verfehlte ihren Zweck, die Durchfahrt nach Norden zu
bewerkstelligen. Am sechsten Tag wurde die Gesellschaft vom Skorbut befallen,
an dem sie furchtbar während des Winters gelitten hatte. Zwei der Leute
wurden schneeblind, und einer ganz untauglich zum Fortkommen. Um das
Maß voll zu machen, entdeckten sie, daß die Bären ihre Pemmikanfässer ge¬
fressen hatten, und so die Aussichten, ihre Vorräthe von den Erdkellern aus zu
erneuern, zerstört waren. Dr. Kane selbst wurde schwer krank; seine Beine
froren ein und gewisse Erstarrungsshmptome machten sich geltend. In dieser
Verfassung konnte er nicht mehr als neun Meilen des Tages zurücklegen. Er
wurde auf einen Schlitten gelegt und der Marsch ging weiter; aber er war
bald so angegriffen, daß er die mäßige Temperatur von 9- unter Null uner¬
träglich fand. Sein linker Fuß war erfroren. bis zum Schenkel, und dieselbe
Nacht erkannte er, daß das Leiden von einem Wasserfluß herrührte. Den
folgenden Tag verfiel er in Delirien und wurde ohnmächtig, wenn man ihn
vom Zelt ans den Schlitten hob. Jeder Mann war so sehr angegriffen, daß
die Fortsetzung der Reise unmöglich ward. Kaum im Stande sich zu bewegen,
trugen sie ihren Führer zur Brigg zurück, die sie den vierzehnten erreichten.
l)r. Kane lag eine Woche lang vollkommen darnieder. Sein erstes Geschäft
nach seiner Genesung waren Anstalten zu einer neuen Erpedition. Sie mach¬
ten sich wieder auf den Weg, mit den Gefahren arktischen Reisens mehr vertraut
geworden.

Der Sommer ging unter denselben ohne besondere Zwischenfälle hin.
Wir finden am Ende desselben die Gesellschaft bereit, einen zweiten Winter in
jener Gegend zuzubringen. Die Brigg steckte fest in dem Eis, und jeder Ver¬
such sie loszumachen war vergeblich. In dieser Lage rief >>r, Kane seine Leute
zusammen, und erklärte ihnen, warum er beschlossen, die Brigg nicht zu verlassen.
Er stellte es aber jeden frei, seine Flucht durch das offene Wasser zu versuchen,
oder das Schicksal der Erpedition zu theilen. Acht der überlebenden Mitglie¬
der der Gesellschaft beschlossen bei ihrem Führer zu bleiben ; die andern wurden
mit allem Entbehrlichen versehen und treten ihr verzweiffungsvolles Unterneh¬
men an. Des besten Willkomms im Fall ihrer Rückkehr versichert, sahen sie
die Freunde nicht früher als nach mehren Monaten schwerer Leiden, und
Prüfungen wieder.

Die Anstalten für die Ueberwinterung nahmen nun die ganze Thätigkeit
der andern in Anspruch, "x. Kane wollte, daß nichts an der Ordnung ihres


Wasserkies'e neben an, reicht seine gekrümmte Frontseite sechzig Meilen lang
von Cap Agassiz bis Cap Forbes in einen unerforschten Raum hinaus, nichl
mehr als eine Tagereise pr. Eisenbahn von dem Nordpol entfernt. Die innere
Fläche, mit der er zusammenhing, war ein unübersehbares Feld von Eis,
scheinbar von unbegrenzter Ausdehnung.

Die Erpedition verfehlte ihren Zweck, die Durchfahrt nach Norden zu
bewerkstelligen. Am sechsten Tag wurde die Gesellschaft vom Skorbut befallen,
an dem sie furchtbar während des Winters gelitten hatte. Zwei der Leute
wurden schneeblind, und einer ganz untauglich zum Fortkommen. Um das
Maß voll zu machen, entdeckten sie, daß die Bären ihre Pemmikanfässer ge¬
fressen hatten, und so die Aussichten, ihre Vorräthe von den Erdkellern aus zu
erneuern, zerstört waren. Dr. Kane selbst wurde schwer krank; seine Beine
froren ein und gewisse Erstarrungsshmptome machten sich geltend. In dieser
Verfassung konnte er nicht mehr als neun Meilen des Tages zurücklegen. Er
wurde auf einen Schlitten gelegt und der Marsch ging weiter; aber er war
bald so angegriffen, daß er die mäßige Temperatur von 9- unter Null uner¬
träglich fand. Sein linker Fuß war erfroren. bis zum Schenkel, und dieselbe
Nacht erkannte er, daß das Leiden von einem Wasserfluß herrührte. Den
folgenden Tag verfiel er in Delirien und wurde ohnmächtig, wenn man ihn
vom Zelt ans den Schlitten hob. Jeder Mann war so sehr angegriffen, daß
die Fortsetzung der Reise unmöglich ward. Kaum im Stande sich zu bewegen,
trugen sie ihren Führer zur Brigg zurück, die sie den vierzehnten erreichten.
l)r. Kane lag eine Woche lang vollkommen darnieder. Sein erstes Geschäft
nach seiner Genesung waren Anstalten zu einer neuen Erpedition. Sie mach¬
ten sich wieder auf den Weg, mit den Gefahren arktischen Reisens mehr vertraut
geworden.

Der Sommer ging unter denselben ohne besondere Zwischenfälle hin.
Wir finden am Ende desselben die Gesellschaft bereit, einen zweiten Winter in
jener Gegend zuzubringen. Die Brigg steckte fest in dem Eis, und jeder Ver¬
such sie loszumachen war vergeblich. In dieser Lage rief >>r, Kane seine Leute
zusammen, und erklärte ihnen, warum er beschlossen, die Brigg nicht zu verlassen.
Er stellte es aber jeden frei, seine Flucht durch das offene Wasser zu versuchen,
oder das Schicksal der Erpedition zu theilen. Acht der überlebenden Mitglie¬
der der Gesellschaft beschlossen bei ihrem Führer zu bleiben ; die andern wurden
mit allem Entbehrlichen versehen und treten ihr verzweiffungsvolles Unterneh¬
men an. Des besten Willkomms im Fall ihrer Rückkehr versichert, sahen sie
die Freunde nicht früher als nach mehren Monaten schwerer Leiden, und
Prüfungen wieder.

Die Anstalten für die Ueberwinterung nahmen nun die ganze Thätigkeit
der andern in Anspruch, »x. Kane wollte, daß nichts an der Ordnung ihres


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[0498] Wasserkies'e neben an, reicht seine gekrümmte Frontseite sechzig Meilen lang von Cap Agassiz bis Cap Forbes in einen unerforschten Raum hinaus, nichl mehr als eine Tagereise pr. Eisenbahn von dem Nordpol entfernt. Die innere Fläche, mit der er zusammenhing, war ein unübersehbares Feld von Eis, scheinbar von unbegrenzter Ausdehnung. Die Erpedition verfehlte ihren Zweck, die Durchfahrt nach Norden zu bewerkstelligen. Am sechsten Tag wurde die Gesellschaft vom Skorbut befallen, an dem sie furchtbar während des Winters gelitten hatte. Zwei der Leute wurden schneeblind, und einer ganz untauglich zum Fortkommen. Um das Maß voll zu machen, entdeckten sie, daß die Bären ihre Pemmikanfässer ge¬ fressen hatten, und so die Aussichten, ihre Vorräthe von den Erdkellern aus zu erneuern, zerstört waren. Dr. Kane selbst wurde schwer krank; seine Beine froren ein und gewisse Erstarrungsshmptome machten sich geltend. In dieser Verfassung konnte er nicht mehr als neun Meilen des Tages zurücklegen. Er wurde auf einen Schlitten gelegt und der Marsch ging weiter; aber er war bald so angegriffen, daß er die mäßige Temperatur von 9- unter Null uner¬ träglich fand. Sein linker Fuß war erfroren. bis zum Schenkel, und dieselbe Nacht erkannte er, daß das Leiden von einem Wasserfluß herrührte. Den folgenden Tag verfiel er in Delirien und wurde ohnmächtig, wenn man ihn vom Zelt ans den Schlitten hob. Jeder Mann war so sehr angegriffen, daß die Fortsetzung der Reise unmöglich ward. Kaum im Stande sich zu bewegen, trugen sie ihren Führer zur Brigg zurück, die sie den vierzehnten erreichten. l)r. Kane lag eine Woche lang vollkommen darnieder. Sein erstes Geschäft nach seiner Genesung waren Anstalten zu einer neuen Erpedition. Sie mach¬ ten sich wieder auf den Weg, mit den Gefahren arktischen Reisens mehr vertraut geworden. Der Sommer ging unter denselben ohne besondere Zwischenfälle hin. Wir finden am Ende desselben die Gesellschaft bereit, einen zweiten Winter in jener Gegend zuzubringen. Die Brigg steckte fest in dem Eis, und jeder Ver¬ such sie loszumachen war vergeblich. In dieser Lage rief >>r, Kane seine Leute zusammen, und erklärte ihnen, warum er beschlossen, die Brigg nicht zu verlassen. Er stellte es aber jeden frei, seine Flucht durch das offene Wasser zu versuchen, oder das Schicksal der Erpedition zu theilen. Acht der überlebenden Mitglie¬ der der Gesellschaft beschlossen bei ihrem Führer zu bleiben ; die andern wurden mit allem Entbehrlichen versehen und treten ihr verzweiffungsvolles Unterneh¬ men an. Des besten Willkomms im Fall ihrer Rückkehr versichert, sahen sie die Freunde nicht früher als nach mehren Monaten schwerer Leiden, und Prüfungen wieder. Die Anstalten für die Ueberwinterung nahmen nun die ganze Thätigkeit der andern in Anspruch, »x. Kane wollte, daß nichts an der Ordnung ihres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/498>, abgerufen am 23.07.2024.