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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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sich zwischen uns und den Orkan legte. Und hier, dicht an der finstern Küste
von Grönland, um zehn Meilen dem Pole näher als diesen Morgen, begab
sich die Mannschaft zur Ruhe."

"Ich fürchtete, daran Theil zunehmen, denn der Sturm war ungebrochen,
und das Findels stürmte mächtig gegen den Eisberg -- einmal so heftig, das;
es ihn in seiner verticalen Haltung ans Ufer trieb, und seine Spitze über
unser Fahrzeug neigte. Meine armen Gefährten genossen nur eines precären
Schlafs, ehe unser kleiner Hafen auseinanderging. Sie hatten kaum das
Deck wieder bestiegen, als wir rückwärts getrieben wurden, .unser Steuerruder
war zersplittert, und die Nägel aus den Löchern gerissen."

"Nun begann daS Anrennen. Der erste Stoß warf uns auf unser
Viertelsdeck, die Brigg hielt ihn gut aus, und bewegte sich nach einem Augen¬
blick der Suspension ruckweise. Der zweite kam von einem Veteranblock,
gezahnt und gestriegelt, bei einer Fläche von 20 Fuß Dicke schwimmend. Weder
Holz noch Eisen hätte den aushalten können, wenn nicht die Uferseite unsers
Eisbergs zufällig eine schiefe Ebene nach dem Wasser zu gebildet hätte, aus
welche-unsere Brigg hinaufstieg, wie von einer starken Dampfkraft in den Font
gesegelt."

,Mnmal glaubte ich, sie würde nach ihrer ganzen Länge an ihm hinauf¬
klettern und sich nach der Seite überstürzen. Aber eine jener geheimnißvollen
Pausen, welche ich sonstwo die Pulsschläge des Eises genannt habe, ließ uns
langsam wieder herab, indem wir aus der Strömung gegen das Ufer heraus¬
kamen. Hier gelang es uns, ein Schlepptau auszuwerfen und festzubinden.
Wir streiften den Grund, als die Ebbe eintrat, und wären wieder seewärts
gesteuert, würde uns nicht eine Masse losgelösten Landeises daran verhindert
und, indem es unsere Brustwehren einschloß, an das Ufer getrieben haben."

I"r. Kane schließt diese Schilderung mit folgenden Worten: "Während
dieser ganzen Scene, die ich mich zu beschreiben bemüht habe, konnte ich nicht
umhin, von dem ernsten und männlichen Benehmen meiner Kameraden über¬
rascht zu sein. Das Gekrach der Eismassen während einer stürmischen See
erzeugt oft den Eindruck der Gefahr, wenn dieselbe in Wirklichkeit nicht vor¬
handen ist; aber während dieser fürchterlichen Fahrt würde das Zerreißen
unserer Taue, der Verlust unserer Anker, die plötzliche Zerstörung unserer
schützenden Brustwehren, und die Ueberschüttung unseres Deckes mit Eis die
Nerven auch der erfahrensten Polarschiffer erschüttert haben. Alle -- Offiziere
wie Mannschaft -- arbeiteten gleich. Bei jeder neuen Kollision mit der Eis-
'masse, die unsere Strandlinie bildete, wurden Anstrengr5algem zur Auswerfung
von Tauen gemacht, und mehrmals entrannen unsere Leute mit Noth der
Gefahr, in welche der zu große Eifer einiger sie geführt hatte. Mr. Bonsall
entging dem Zerdrücktwerden, indem er auf einen schwimmenden Eisblock
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sich zwischen uns und den Orkan legte. Und hier, dicht an der finstern Küste
von Grönland, um zehn Meilen dem Pole näher als diesen Morgen, begab
sich die Mannschaft zur Ruhe."

„Ich fürchtete, daran Theil zunehmen, denn der Sturm war ungebrochen,
und das Findels stürmte mächtig gegen den Eisberg — einmal so heftig, das;
es ihn in seiner verticalen Haltung ans Ufer trieb, und seine Spitze über
unser Fahrzeug neigte. Meine armen Gefährten genossen nur eines precären
Schlafs, ehe unser kleiner Hafen auseinanderging. Sie hatten kaum das
Deck wieder bestiegen, als wir rückwärts getrieben wurden, .unser Steuerruder
war zersplittert, und die Nägel aus den Löchern gerissen."

„Nun begann daS Anrennen. Der erste Stoß warf uns auf unser
Viertelsdeck, die Brigg hielt ihn gut aus, und bewegte sich nach einem Augen¬
blick der Suspension ruckweise. Der zweite kam von einem Veteranblock,
gezahnt und gestriegelt, bei einer Fläche von 20 Fuß Dicke schwimmend. Weder
Holz noch Eisen hätte den aushalten können, wenn nicht die Uferseite unsers
Eisbergs zufällig eine schiefe Ebene nach dem Wasser zu gebildet hätte, aus
welche-unsere Brigg hinaufstieg, wie von einer starken Dampfkraft in den Font
gesegelt."

,Mnmal glaubte ich, sie würde nach ihrer ganzen Länge an ihm hinauf¬
klettern und sich nach der Seite überstürzen. Aber eine jener geheimnißvollen
Pausen, welche ich sonstwo die Pulsschläge des Eises genannt habe, ließ uns
langsam wieder herab, indem wir aus der Strömung gegen das Ufer heraus¬
kamen. Hier gelang es uns, ein Schlepptau auszuwerfen und festzubinden.
Wir streiften den Grund, als die Ebbe eintrat, und wären wieder seewärts
gesteuert, würde uns nicht eine Masse losgelösten Landeises daran verhindert
und, indem es unsere Brustwehren einschloß, an das Ufer getrieben haben."

I»r. Kane schließt diese Schilderung mit folgenden Worten: „Während
dieser ganzen Scene, die ich mich zu beschreiben bemüht habe, konnte ich nicht
umhin, von dem ernsten und männlichen Benehmen meiner Kameraden über¬
rascht zu sein. Das Gekrach der Eismassen während einer stürmischen See
erzeugt oft den Eindruck der Gefahr, wenn dieselbe in Wirklichkeit nicht vor¬
handen ist; aber während dieser fürchterlichen Fahrt würde das Zerreißen
unserer Taue, der Verlust unserer Anker, die plötzliche Zerstörung unserer
schützenden Brustwehren, und die Ueberschüttung unseres Deckes mit Eis die
Nerven auch der erfahrensten Polarschiffer erschüttert haben. Alle — Offiziere
wie Mannschaft — arbeiteten gleich. Bei jeder neuen Kollision mit der Eis-
'masse, die unsere Strandlinie bildete, wurden Anstrengr5algem zur Auswerfung
von Tauen gemacht, und mehrmals entrannen unsere Leute mit Noth der
Gefahr, in welche der zu große Eifer einiger sie geführt hatte. Mr. Bonsall
entging dem Zerdrücktwerden, indem er auf einen schwimmenden Eisblock
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/494>, abgerufen am 23.07.2024.