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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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ststische Abgeordnete zweiten Ranges, die bis dahin eine keineswegs hervor¬
ragende Stellung in den Cortes eingenommen hatten, besetzt, Alonso Martinez,
Huelves und Fuente Andres. Da Espartero und O'Dommel -- die beiden
Konsuln, wie man sie bereits nannte -- ihre Stellen behielten, so wurde der
politische Charakter des Cabinets und damit dervSituation nicht wesentlich
verändert. Brun fand an der Börse ein bereitwilligeres Entgegenkommen, als
es dem herben Madoz zu Theil geworden. Die Cortes bewilligten ihm ein
sogenanntes freiwilliges Anlehn von 230 Millionen Realen, das, so weit es
bis zu einem gewissen Termin nicht gezeichnet sei, je nach Verhältniß zwangs¬
weise den Provinzen auferlegt werden sollte.

Die Lage des Landes und der Negierung war nach allen Seiten hin
düster und gefahrvoll. Die Aufstandsversuche und Emeuten in den größeren
Städten, deren Hauptquelle die schlechte Organisation der Nationalmiliz war,
kehrten seit den Julitagen unaufhörlich wieder. ' In jedem einzelnen Falle un¬
bedeutend, bildeten sie zusammen ein Symptom der bedenklichsten Art, und
wurden zu einer chronischen Krankheit des Staates. Meistens figurirte der
Ruf "es lebe Espartero" unter den Losungsworten der Aufrührerischen, und
wenn der Siegesherzog auch sicher den Bestrebungen der Anarchisten fremd
war, so bewies es doch, daß seine Person und fein Charakter ihnen Hoff¬
nungen einflößten. Man speculirte auf seine Schwäche und seine Popularitäts¬
sucht. Nicht das geringste Uebel war die Cholera, die fast zu gleicher Zeit
mit ^ der Revolution über Spanien hereinbrach und Hauptstadt wie Provinzen
nacheinander und wiederholt heimsuchte. Während die carlistischen Guerillas
die Negierung im offnen Felde bekämpften, secundirte ihnen die klerikale
Agitation mit noch gefährlicheren Waffen. Die Opposition der Bischöfe
wurde so heftig, daß sie das Ministerium zu dem ernstesten Einschreiten zwang.
Die Unlenksamsten unter den Vätern der Kirche, die Bischöfe von Burgo d'Osma
und von Barcelona, wurden nach den Balearen und Canarien verbannt. Wenn
unter solchen Verhältnissen die Cortes eine mehrmonatlichc Vertagung beab¬
sichtigten, so zeugte dies eben nicht von hoher und patriotischer Gesinnung.
Auch widersetzte sich das Ministerium dem ersten Auftauchen dieses Vorhabens
sehr bestimmt. Vor allem energisch sprach sich O'Dommel dagegen aus; er
hielt den Abgeordneten die heilige Verpflichtung vor, ihre Sitzungen nicht eher
auszusetzen, bis die Verfassung vollendet sei, er ging so weit ihnen zu sagen,
man werde behaupten, sie seien vor der Cholera geflohen, die damals grade
heftig in Madrid grassirte. Es beweist dies, daß der Graf von Lucera da¬
mals an der Mission der constituirenden Versammlung noch nicht verzweifelte.
Aber alle Vorstellungen scheiterten an der Unlust der Abgeordneten, die schon
länger, als sieben Monate beisammen waren, und auf die zum Theil wenig¬
stens, wie spätere Vorgänge zeigten., auch selbst die Cholera nicht ohne Ein-


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ststische Abgeordnete zweiten Ranges, die bis dahin eine keineswegs hervor¬
ragende Stellung in den Cortes eingenommen hatten, besetzt, Alonso Martinez,
Huelves und Fuente Andres. Da Espartero und O'Dommel — die beiden
Konsuln, wie man sie bereits nannte — ihre Stellen behielten, so wurde der
politische Charakter des Cabinets und damit dervSituation nicht wesentlich
verändert. Brun fand an der Börse ein bereitwilligeres Entgegenkommen, als
es dem herben Madoz zu Theil geworden. Die Cortes bewilligten ihm ein
sogenanntes freiwilliges Anlehn von 230 Millionen Realen, das, so weit es
bis zu einem gewissen Termin nicht gezeichnet sei, je nach Verhältniß zwangs¬
weise den Provinzen auferlegt werden sollte.

Die Lage des Landes und der Negierung war nach allen Seiten hin
düster und gefahrvoll. Die Aufstandsversuche und Emeuten in den größeren
Städten, deren Hauptquelle die schlechte Organisation der Nationalmiliz war,
kehrten seit den Julitagen unaufhörlich wieder. ' In jedem einzelnen Falle un¬
bedeutend, bildeten sie zusammen ein Symptom der bedenklichsten Art, und
wurden zu einer chronischen Krankheit des Staates. Meistens figurirte der
Ruf „es lebe Espartero" unter den Losungsworten der Aufrührerischen, und
wenn der Siegesherzog auch sicher den Bestrebungen der Anarchisten fremd
war, so bewies es doch, daß seine Person und fein Charakter ihnen Hoff¬
nungen einflößten. Man speculirte auf seine Schwäche und seine Popularitäts¬
sucht. Nicht das geringste Uebel war die Cholera, die fast zu gleicher Zeit
mit ^ der Revolution über Spanien hereinbrach und Hauptstadt wie Provinzen
nacheinander und wiederholt heimsuchte. Während die carlistischen Guerillas
die Negierung im offnen Felde bekämpften, secundirte ihnen die klerikale
Agitation mit noch gefährlicheren Waffen. Die Opposition der Bischöfe
wurde so heftig, daß sie das Ministerium zu dem ernstesten Einschreiten zwang.
Die Unlenksamsten unter den Vätern der Kirche, die Bischöfe von Burgo d'Osma
und von Barcelona, wurden nach den Balearen und Canarien verbannt. Wenn
unter solchen Verhältnissen die Cortes eine mehrmonatlichc Vertagung beab¬
sichtigten, so zeugte dies eben nicht von hoher und patriotischer Gesinnung.
Auch widersetzte sich das Ministerium dem ersten Auftauchen dieses Vorhabens
sehr bestimmt. Vor allem energisch sprach sich O'Dommel dagegen aus; er
hielt den Abgeordneten die heilige Verpflichtung vor, ihre Sitzungen nicht eher
auszusetzen, bis die Verfassung vollendet sei, er ging so weit ihnen zu sagen,
man werde behaupten, sie seien vor der Cholera geflohen, die damals grade
heftig in Madrid grassirte. Es beweist dies, daß der Graf von Lucera da¬
mals an der Mission der constituirenden Versammlung noch nicht verzweifelte.
Aber alle Vorstellungen scheiterten an der Unlust der Abgeordneten, die schon
länger, als sieben Monate beisammen waren, und auf die zum Theil wenig¬
stens, wie spätere Vorgänge zeigten., auch selbst die Cholera nicht ohne Ein-


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[0473] ststische Abgeordnete zweiten Ranges, die bis dahin eine keineswegs hervor¬ ragende Stellung in den Cortes eingenommen hatten, besetzt, Alonso Martinez, Huelves und Fuente Andres. Da Espartero und O'Dommel — die beiden Konsuln, wie man sie bereits nannte — ihre Stellen behielten, so wurde der politische Charakter des Cabinets und damit dervSituation nicht wesentlich verändert. Brun fand an der Börse ein bereitwilligeres Entgegenkommen, als es dem herben Madoz zu Theil geworden. Die Cortes bewilligten ihm ein sogenanntes freiwilliges Anlehn von 230 Millionen Realen, das, so weit es bis zu einem gewissen Termin nicht gezeichnet sei, je nach Verhältniß zwangs¬ weise den Provinzen auferlegt werden sollte. Die Lage des Landes und der Negierung war nach allen Seiten hin düster und gefahrvoll. Die Aufstandsversuche und Emeuten in den größeren Städten, deren Hauptquelle die schlechte Organisation der Nationalmiliz war, kehrten seit den Julitagen unaufhörlich wieder. ' In jedem einzelnen Falle un¬ bedeutend, bildeten sie zusammen ein Symptom der bedenklichsten Art, und wurden zu einer chronischen Krankheit des Staates. Meistens figurirte der Ruf „es lebe Espartero" unter den Losungsworten der Aufrührerischen, und wenn der Siegesherzog auch sicher den Bestrebungen der Anarchisten fremd war, so bewies es doch, daß seine Person und fein Charakter ihnen Hoff¬ nungen einflößten. Man speculirte auf seine Schwäche und seine Popularitäts¬ sucht. Nicht das geringste Uebel war die Cholera, die fast zu gleicher Zeit mit ^ der Revolution über Spanien hereinbrach und Hauptstadt wie Provinzen nacheinander und wiederholt heimsuchte. Während die carlistischen Guerillas die Negierung im offnen Felde bekämpften, secundirte ihnen die klerikale Agitation mit noch gefährlicheren Waffen. Die Opposition der Bischöfe wurde so heftig, daß sie das Ministerium zu dem ernstesten Einschreiten zwang. Die Unlenksamsten unter den Vätern der Kirche, die Bischöfe von Burgo d'Osma und von Barcelona, wurden nach den Balearen und Canarien verbannt. Wenn unter solchen Verhältnissen die Cortes eine mehrmonatlichc Vertagung beab¬ sichtigten, so zeugte dies eben nicht von hoher und patriotischer Gesinnung. Auch widersetzte sich das Ministerium dem ersten Auftauchen dieses Vorhabens sehr bestimmt. Vor allem energisch sprach sich O'Dommel dagegen aus; er hielt den Abgeordneten die heilige Verpflichtung vor, ihre Sitzungen nicht eher auszusetzen, bis die Verfassung vollendet sei, er ging so weit ihnen zu sagen, man werde behaupten, sie seien vor der Cholera geflohen, die damals grade heftig in Madrid grassirte. Es beweist dies, daß der Graf von Lucera da¬ mals an der Mission der constituirenden Versammlung noch nicht verzweifelte. Aber alle Vorstellungen scheiterten an der Unlust der Abgeordneten, die schon länger, als sieben Monate beisammen waren, und auf die zum Theil wenig¬ stens, wie spätere Vorgänge zeigten., auch selbst die Cholera nicht ohne Ein- Greuzbvten IV. -I8so. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/473>, abgerufen am 03.07.2024.