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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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sche Politiker sich angeschlossen hatten, wurde bald mit dem Namen der "Vical-
varisten" belegt, mit Beziehung auf das Treffen bei dem Orte jenes Namens
zwischen dem Grafen von Lucera und dem General Lara.

Höchst eigenthümlich war die Stellung des Siegesherzogs inmitten der
Parteien. Die Progressisten umgaben ihn absichtlich mit einem Nimbus, der
ihn über die Stellung eines verantwortlichen Ministers beinahe in seine ehe¬
malige Sphäre als Regent versetzte. Nichts weniger, als der parlamentarischen
Debatte gewachsen trat er nur bei ganz besondern Anlässen mit kurzen, vorher
aufgesetzten Reden auf, die, emphatisch und phrasenreich, nicht ungeschickt auf
den Beifall der liberalen Menge berechnet waren, und meistens den der
Cortes in reichlichsten Maße erhielten. Bei allen Angriffen und Mißtrauens¬
voten, welche die prvgressistische und demokratische Opposition gegen das Cabi-
"et schleuderten, wurde Espartero stets, als sei er das unverantwortliche Haupt
der Regierung, ausgenommen. Sogar seine eignen Protestationen zu Gunsten
seiner Uebereinstimmung mit seinen Kollegen waren nicht im Stande, diese
zweideutige Auszeichnung von ihm abzuwenden. Sein Name galt als das un¬
veräußerliche Symbol der progressistischen Partei, die Demokraten selbst beug¬
ten sich vor seiner unbegrenzten Popularität, und ein Ministerium ohne ihn
erschien als ein Unding. Diese Ausnahmestellung schien ihn zu befriedigen,
und die nicht erfüllten Bestrebungen seines Ehrgeizes vergessen zu machen.
Während er auf der einen Seite seine Beziehungen mit den Puros aufrecht
erhielt, flößte er doch durch seine Haltung den gemäßigten Progressisten nicht
mehr die früheren Besorgnisse ein, und ließ sich trotz der unleugöar zwischen
ihm und den Grafen von Lucera bestehenden Eifersucht Nicht herbei, sich von
demselben zu trennen. Sicherlich entsagte er der Hoffnung auf eine Wendung
der Dinge, die ihm die ungetheilte Gewalt in die Hände legen sollte, so wenig
als O'Dommel dem Moment, der ihm gestatten würde, die hemmende Bundes-
genossenschaft abzuwerfen. Aber die Umstände erlaubten dem letzteren kein
energisches Handeln, und Esparteros Charakter entsprach es, die Ereignisse
für sich arbeiten zu lassen. So zog sich eine Situation hin, die auf das
Zusammenhalten zweier Männer begründet war, deren Einigkeit in Ermange¬
lung jedes innern Bandes, außer der Nothwendigkeit nur durch einen Grad
von Patriotismus und Selbstverleugnung erhalten werden konnte, wie er leider
nur in wenigen, auserwählten Naturen zu finden ist.

Die persönlichen Ausfälle, die zwischen den verschiedenen Parteien reichlich
in den Cortes gewechselt wurden, waren übrigens nicht die einzigen, welche die
Debatten derselben erhitzten. Im Schoß der Parteien selbst offenbarten sich
oft die bittersten Anfeindungen. So wurde schon im Beginn der Session der
General Prim von den radicalen Progressisten mit den ärgsten Jnvectiven
über den Wankelmuth seiner Antecedentien überschüttet. Selbst nicht die kleine


sche Politiker sich angeschlossen hatten, wurde bald mit dem Namen der „Vical-
varisten" belegt, mit Beziehung auf das Treffen bei dem Orte jenes Namens
zwischen dem Grafen von Lucera und dem General Lara.

Höchst eigenthümlich war die Stellung des Siegesherzogs inmitten der
Parteien. Die Progressisten umgaben ihn absichtlich mit einem Nimbus, der
ihn über die Stellung eines verantwortlichen Ministers beinahe in seine ehe¬
malige Sphäre als Regent versetzte. Nichts weniger, als der parlamentarischen
Debatte gewachsen trat er nur bei ganz besondern Anlässen mit kurzen, vorher
aufgesetzten Reden auf, die, emphatisch und phrasenreich, nicht ungeschickt auf
den Beifall der liberalen Menge berechnet waren, und meistens den der
Cortes in reichlichsten Maße erhielten. Bei allen Angriffen und Mißtrauens¬
voten, welche die prvgressistische und demokratische Opposition gegen das Cabi-
»et schleuderten, wurde Espartero stets, als sei er das unverantwortliche Haupt
der Regierung, ausgenommen. Sogar seine eignen Protestationen zu Gunsten
seiner Uebereinstimmung mit seinen Kollegen waren nicht im Stande, diese
zweideutige Auszeichnung von ihm abzuwenden. Sein Name galt als das un¬
veräußerliche Symbol der progressistischen Partei, die Demokraten selbst beug¬
ten sich vor seiner unbegrenzten Popularität, und ein Ministerium ohne ihn
erschien als ein Unding. Diese Ausnahmestellung schien ihn zu befriedigen,
und die nicht erfüllten Bestrebungen seines Ehrgeizes vergessen zu machen.
Während er auf der einen Seite seine Beziehungen mit den Puros aufrecht
erhielt, flößte er doch durch seine Haltung den gemäßigten Progressisten nicht
mehr die früheren Besorgnisse ein, und ließ sich trotz der unleugöar zwischen
ihm und den Grafen von Lucera bestehenden Eifersucht Nicht herbei, sich von
demselben zu trennen. Sicherlich entsagte er der Hoffnung auf eine Wendung
der Dinge, die ihm die ungetheilte Gewalt in die Hände legen sollte, so wenig
als O'Dommel dem Moment, der ihm gestatten würde, die hemmende Bundes-
genossenschaft abzuwerfen. Aber die Umstände erlaubten dem letzteren kein
energisches Handeln, und Esparteros Charakter entsprach es, die Ereignisse
für sich arbeiten zu lassen. So zog sich eine Situation hin, die auf das
Zusammenhalten zweier Männer begründet war, deren Einigkeit in Ermange¬
lung jedes innern Bandes, außer der Nothwendigkeit nur durch einen Grad
von Patriotismus und Selbstverleugnung erhalten werden konnte, wie er leider
nur in wenigen, auserwählten Naturen zu finden ist.

Die persönlichen Ausfälle, die zwischen den verschiedenen Parteien reichlich
in den Cortes gewechselt wurden, waren übrigens nicht die einzigen, welche die
Debatten derselben erhitzten. Im Schoß der Parteien selbst offenbarten sich
oft die bittersten Anfeindungen. So wurde schon im Beginn der Session der
General Prim von den radicalen Progressisten mit den ärgsten Jnvectiven
über den Wankelmuth seiner Antecedentien überschüttet. Selbst nicht die kleine


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[0470] sche Politiker sich angeschlossen hatten, wurde bald mit dem Namen der „Vical- varisten" belegt, mit Beziehung auf das Treffen bei dem Orte jenes Namens zwischen dem Grafen von Lucera und dem General Lara. Höchst eigenthümlich war die Stellung des Siegesherzogs inmitten der Parteien. Die Progressisten umgaben ihn absichtlich mit einem Nimbus, der ihn über die Stellung eines verantwortlichen Ministers beinahe in seine ehe¬ malige Sphäre als Regent versetzte. Nichts weniger, als der parlamentarischen Debatte gewachsen trat er nur bei ganz besondern Anlässen mit kurzen, vorher aufgesetzten Reden auf, die, emphatisch und phrasenreich, nicht ungeschickt auf den Beifall der liberalen Menge berechnet waren, und meistens den der Cortes in reichlichsten Maße erhielten. Bei allen Angriffen und Mißtrauens¬ voten, welche die prvgressistische und demokratische Opposition gegen das Cabi- »et schleuderten, wurde Espartero stets, als sei er das unverantwortliche Haupt der Regierung, ausgenommen. Sogar seine eignen Protestationen zu Gunsten seiner Uebereinstimmung mit seinen Kollegen waren nicht im Stande, diese zweideutige Auszeichnung von ihm abzuwenden. Sein Name galt als das un¬ veräußerliche Symbol der progressistischen Partei, die Demokraten selbst beug¬ ten sich vor seiner unbegrenzten Popularität, und ein Ministerium ohne ihn erschien als ein Unding. Diese Ausnahmestellung schien ihn zu befriedigen, und die nicht erfüllten Bestrebungen seines Ehrgeizes vergessen zu machen. Während er auf der einen Seite seine Beziehungen mit den Puros aufrecht erhielt, flößte er doch durch seine Haltung den gemäßigten Progressisten nicht mehr die früheren Besorgnisse ein, und ließ sich trotz der unleugöar zwischen ihm und den Grafen von Lucera bestehenden Eifersucht Nicht herbei, sich von demselben zu trennen. Sicherlich entsagte er der Hoffnung auf eine Wendung der Dinge, die ihm die ungetheilte Gewalt in die Hände legen sollte, so wenig als O'Dommel dem Moment, der ihm gestatten würde, die hemmende Bundes- genossenschaft abzuwerfen. Aber die Umstände erlaubten dem letzteren kein energisches Handeln, und Esparteros Charakter entsprach es, die Ereignisse für sich arbeiten zu lassen. So zog sich eine Situation hin, die auf das Zusammenhalten zweier Männer begründet war, deren Einigkeit in Ermange¬ lung jedes innern Bandes, außer der Nothwendigkeit nur durch einen Grad von Patriotismus und Selbstverleugnung erhalten werden konnte, wie er leider nur in wenigen, auserwählten Naturen zu finden ist. Die persönlichen Ausfälle, die zwischen den verschiedenen Parteien reichlich in den Cortes gewechselt wurden, waren übrigens nicht die einzigen, welche die Debatten derselben erhitzten. Im Schoß der Parteien selbst offenbarten sich oft die bittersten Anfeindungen. So wurde schon im Beginn der Session der General Prim von den radicalen Progressisten mit den ärgsten Jnvectiven über den Wankelmuth seiner Antecedentien überschüttet. Selbst nicht die kleine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/470>, abgerufen am 23.07.2024.