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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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schreite. Statt die Verfassung von 1837 zur Basis zu machen und die Aen¬
derungen an ihr vorzunehmen, die sie mit den in der Versammlung vorwalten¬
den Ansichten in Uebereinstimmung brächte, stellte man einen völlig neuen
Entwurf auf und fing mit der Berathung der allgemeinen Grundlagen an.
Die Absicht, die Dauer einer mit außerordentlichen Vollmachten ausgestatteten
Versammlung möglichst auszudehnen, war, neben der nationalen Hinneigung
zur Erörterung abstracter Theoreme, das Hauptmotiv dieses Verfahrens. Das
Schicksal der verfassunggebenden Parlamente, die, in verschiedenen Ländern
Europas aus der Umwälzung von 1868 hervorgegangen, mitten in ihren end¬
losen Verhandlungen von dem Rückschlag der Reaction überrascht wurden,
diente den Cortes nicht zur Warnung. Sie ließen, gleich ihren Vorgängern
den richtigen Zeitpunkt sich entschlüpfen und überboten wo möglich noch alle
früheren Beispiele kurzsichtiger Säumniß. ,

So weit die Grundlagen der Verfassung von politischen Freiheiten han¬
delten, blieben die Debatten darüber, wenn auch weitschweifig, doch bedeutungs¬
los. Anders war es, als man die Frage der religiösen Freiheit berührte.
In Betreff derselben war Spanien trotz seiner Revolutionen bisher wenig vor¬
geschritten. Wenn auch Inquisition und Ketzergerichte seit einem Menschen¬
alter gefallen waren, so war doch außer dem katholischen, kein anderer christ¬
licher Cultus gestattet. Nie hatten frühere Cortes, selbst zur Zeit der höchsten
Allmacht des liberalen Systems, dem nationalen Bigottismus hierin entgegen¬
zutreten gewagt, der in den untern Classen, namentlich im Landvolk, furcht¬
bare Stützen hatte. Auch die jetzige Versammlung wagte nur einen zaghaften,
wenig bedeutenden Schritt. Der Antrag der Verfassungscommission schloß die
Freiheit der Culte, selbst die freie Meinungsäußerung durch die Presse in reli¬
giösen Dingen aus, er garantirte nur den Schutz der individuellen Ueber¬
zeugung gegen Verfolgung von Seiten der Kirche oder deS Staates. Es war
dies nichts als die Legalistrung eines praktisch bereits befolgten Princips und
gewiß das Wenigste, was ein freier Staat seinen Bürgern gewähren konnte.
Dem Klerus, dies Zugeständnis) abzuringen, mußte jedem als eine Nothwen¬
digkeit einleuchten, der nicht den alten, kirchlichen Absolutismus befürworten
wollte. Demungeachtet erhob die äußerste moderirte Rechte in den Cortes und
ihre Presse außerhalb, die sich doch konstitutionell nannten, ein wahrhaft zelo¬
tisches Geschrei dagegen, das in den klerikalen und carliftischen Organen, in
den Hirtenbriefen der Bischöfe und selbst auf den Kanzeln einen weiten Wider¬
hall fand. Die Debatten über den Toleranzartikel waren ebenso langwierig,
als stürmisch. Die progressistische -- nicht blos demokratische -- Linke trat
mit Anträgen aus, die der Gewissensfreiheit größere Rechte einräumten. Die
Redner der äußersten Rechten, Rios Rosas, Moyano, Nocedal, de Castro --
ganz besonders that sich als Verfechter ultramontaner Grundsätze Sennor Jaen


schreite. Statt die Verfassung von 1837 zur Basis zu machen und die Aen¬
derungen an ihr vorzunehmen, die sie mit den in der Versammlung vorwalten¬
den Ansichten in Uebereinstimmung brächte, stellte man einen völlig neuen
Entwurf auf und fing mit der Berathung der allgemeinen Grundlagen an.
Die Absicht, die Dauer einer mit außerordentlichen Vollmachten ausgestatteten
Versammlung möglichst auszudehnen, war, neben der nationalen Hinneigung
zur Erörterung abstracter Theoreme, das Hauptmotiv dieses Verfahrens. Das
Schicksal der verfassunggebenden Parlamente, die, in verschiedenen Ländern
Europas aus der Umwälzung von 1868 hervorgegangen, mitten in ihren end¬
losen Verhandlungen von dem Rückschlag der Reaction überrascht wurden,
diente den Cortes nicht zur Warnung. Sie ließen, gleich ihren Vorgängern
den richtigen Zeitpunkt sich entschlüpfen und überboten wo möglich noch alle
früheren Beispiele kurzsichtiger Säumniß. ,

So weit die Grundlagen der Verfassung von politischen Freiheiten han¬
delten, blieben die Debatten darüber, wenn auch weitschweifig, doch bedeutungs¬
los. Anders war es, als man die Frage der religiösen Freiheit berührte.
In Betreff derselben war Spanien trotz seiner Revolutionen bisher wenig vor¬
geschritten. Wenn auch Inquisition und Ketzergerichte seit einem Menschen¬
alter gefallen waren, so war doch außer dem katholischen, kein anderer christ¬
licher Cultus gestattet. Nie hatten frühere Cortes, selbst zur Zeit der höchsten
Allmacht des liberalen Systems, dem nationalen Bigottismus hierin entgegen¬
zutreten gewagt, der in den untern Classen, namentlich im Landvolk, furcht¬
bare Stützen hatte. Auch die jetzige Versammlung wagte nur einen zaghaften,
wenig bedeutenden Schritt. Der Antrag der Verfassungscommission schloß die
Freiheit der Culte, selbst die freie Meinungsäußerung durch die Presse in reli¬
giösen Dingen aus, er garantirte nur den Schutz der individuellen Ueber¬
zeugung gegen Verfolgung von Seiten der Kirche oder deS Staates. Es war
dies nichts als die Legalistrung eines praktisch bereits befolgten Princips und
gewiß das Wenigste, was ein freier Staat seinen Bürgern gewähren konnte.
Dem Klerus, dies Zugeständnis) abzuringen, mußte jedem als eine Nothwen¬
digkeit einleuchten, der nicht den alten, kirchlichen Absolutismus befürworten
wollte. Demungeachtet erhob die äußerste moderirte Rechte in den Cortes und
ihre Presse außerhalb, die sich doch konstitutionell nannten, ein wahrhaft zelo¬
tisches Geschrei dagegen, das in den klerikalen und carliftischen Organen, in
den Hirtenbriefen der Bischöfe und selbst auf den Kanzeln einen weiten Wider¬
hall fand. Die Debatten über den Toleranzartikel waren ebenso langwierig,
als stürmisch. Die progressistische — nicht blos demokratische — Linke trat
mit Anträgen aus, die der Gewissensfreiheit größere Rechte einräumten. Die
Redner der äußersten Rechten, Rios Rosas, Moyano, Nocedal, de Castro —
ganz besonders that sich als Verfechter ultramontaner Grundsätze Sennor Jaen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/466>, abgerufen am 23.07.2024.