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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Mißtrauen entgegentrat, das eine provisorische, von Gefahren aller Art um¬
lagerte Situation den Kapitalisten einflößte. Und diese Gefahren wurden
durch Madoz' Finanzpolitik nicht wenig vermehrt. Von den Communen zu
geschweige", deren traditioneller Sinn für Unabhängigkeit und Selbstverwal¬
tung beleidigt werden mußte, durch den Austausch ihres ganzen liegenden Be¬
sitzes gegen ein papierneS, auf den seit Generationen schadhaften Staats¬
credit fundirtes Eigenthum, so wurde die Geistlichkeit durch die angedrohte
Entziehung ihrer Güter zur heftigsten Opposition aufgeregt. Jene Güter
waren freilich nur ein kleiner Rest von dem früheren unermeßlichen Besitz der
Kirche, den die Revolution in ihren verschiedenen Phasen bereits verschlungen
hatte. Schon während des Bürgerkriegs waren unter Mendizabals Verwal¬
tung bei Aushebung der Klöster deren Güter zum Besten des Staates ver¬
äußert worden; unter Esparteros Regentschaft folgte die Einziehung der
Güter der Weltgeistlichkeit, deren Verkauf die Moderadoreaction 18it erst
sistirte, als nur noch ein verhältnißmäßig geringer Theil, weniger als ein
Fünftel davon übrig war. Außer der Zurückerstattung desselben hatte das
Concordat von 1831 der Geistlichkeit das gemeinschädliche Recht wiedergegeben,
von neuem Güter der todten Hand erwerben zu dürfen. Jetzt griff abermals
die Revolution zerstörend in diese kaum geordnete Lage, die den Klerus die
allmälige Wiederherstellung seiner verlorenen Macht hoffen ließ. Seine Auf¬
lehnung gegen die Deöamortisation wurde natürlich von der römischen Curie
auf das nachdrücklichste unterstützt. Zwischen ihr und dem madrider Cabinet
entspann sich ein diplomatischer Notenwechsel, der zu keiner Verständigung
führte. Der heilige Stuhl berief sich auf das Concordat, die spanische Re¬
gierung, ohne die Giltigkeit desselben ausdrücklich zu bestreiten, wendete da¬
gegen ein, daß Seitens der Curie Bestimmungen, die betreff der Organisation
der Geistlichkeit darin enthalten, nicht erfüllt worden, daß außerdem rücksicht¬
lich der Kirchengüter Vereinbarungen zwischen beiden contrahirenden Theilen
vorbehalten worden seien. Formell war, wie kaum zu leugnen, die Curie mehr
im Recht, aber das spanische Ministerium konnte für sich das eiserne Gesetz
der Noth geltend machen und vom Klerus dasselbe Opfer, zur Rettung des Landes
vom Bankerott verlangen, welches die Deöamortisation den Communen und an¬
deren Körperschaften auferlegte. Denn die Geistlichkeit von einer solchen Ma߬
regel ausnehmen, erschien unter den obschwebenden Verhältnissen undurch¬
führbar.

Gleichzeitig mit dem Deöamortisationsgesetz regte eine andre Frage die
religiösen Leidenschaften auf.

Die Versassungsberathungen hatten begonnen; die Cortes gingen bei der
Ausarbeitung der Constitution mit einer Gründlichkeit ans Werk, als ob
Spanien zum ersten Mal die Bahn repräsentativer Staatseinrichtungen be-


Grcnzboten. IV. 18ö6. 58

Mißtrauen entgegentrat, das eine provisorische, von Gefahren aller Art um¬
lagerte Situation den Kapitalisten einflößte. Und diese Gefahren wurden
durch Madoz' Finanzpolitik nicht wenig vermehrt. Von den Communen zu
geschweige», deren traditioneller Sinn für Unabhängigkeit und Selbstverwal¬
tung beleidigt werden mußte, durch den Austausch ihres ganzen liegenden Be¬
sitzes gegen ein papierneS, auf den seit Generationen schadhaften Staats¬
credit fundirtes Eigenthum, so wurde die Geistlichkeit durch die angedrohte
Entziehung ihrer Güter zur heftigsten Opposition aufgeregt. Jene Güter
waren freilich nur ein kleiner Rest von dem früheren unermeßlichen Besitz der
Kirche, den die Revolution in ihren verschiedenen Phasen bereits verschlungen
hatte. Schon während des Bürgerkriegs waren unter Mendizabals Verwal¬
tung bei Aushebung der Klöster deren Güter zum Besten des Staates ver¬
äußert worden; unter Esparteros Regentschaft folgte die Einziehung der
Güter der Weltgeistlichkeit, deren Verkauf die Moderadoreaction 18it erst
sistirte, als nur noch ein verhältnißmäßig geringer Theil, weniger als ein
Fünftel davon übrig war. Außer der Zurückerstattung desselben hatte das
Concordat von 1831 der Geistlichkeit das gemeinschädliche Recht wiedergegeben,
von neuem Güter der todten Hand erwerben zu dürfen. Jetzt griff abermals
die Revolution zerstörend in diese kaum geordnete Lage, die den Klerus die
allmälige Wiederherstellung seiner verlorenen Macht hoffen ließ. Seine Auf¬
lehnung gegen die Deöamortisation wurde natürlich von der römischen Curie
auf das nachdrücklichste unterstützt. Zwischen ihr und dem madrider Cabinet
entspann sich ein diplomatischer Notenwechsel, der zu keiner Verständigung
führte. Der heilige Stuhl berief sich auf das Concordat, die spanische Re¬
gierung, ohne die Giltigkeit desselben ausdrücklich zu bestreiten, wendete da¬
gegen ein, daß Seitens der Curie Bestimmungen, die betreff der Organisation
der Geistlichkeit darin enthalten, nicht erfüllt worden, daß außerdem rücksicht¬
lich der Kirchengüter Vereinbarungen zwischen beiden contrahirenden Theilen
vorbehalten worden seien. Formell war, wie kaum zu leugnen, die Curie mehr
im Recht, aber das spanische Ministerium konnte für sich das eiserne Gesetz
der Noth geltend machen und vom Klerus dasselbe Opfer, zur Rettung des Landes
vom Bankerott verlangen, welches die Deöamortisation den Communen und an¬
deren Körperschaften auferlegte. Denn die Geistlichkeit von einer solchen Ma߬
regel ausnehmen, erschien unter den obschwebenden Verhältnissen undurch¬
führbar.

Gleichzeitig mit dem Deöamortisationsgesetz regte eine andre Frage die
religiösen Leidenschaften auf.

Die Versassungsberathungen hatten begonnen; die Cortes gingen bei der
Ausarbeitung der Constitution mit einer Gründlichkeit ans Werk, als ob
Spanien zum ersten Mal die Bahn repräsentativer Staatseinrichtungen be-


Grcnzboten. IV. 18ö6. 58
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[0465] Mißtrauen entgegentrat, das eine provisorische, von Gefahren aller Art um¬ lagerte Situation den Kapitalisten einflößte. Und diese Gefahren wurden durch Madoz' Finanzpolitik nicht wenig vermehrt. Von den Communen zu geschweige», deren traditioneller Sinn für Unabhängigkeit und Selbstverwal¬ tung beleidigt werden mußte, durch den Austausch ihres ganzen liegenden Be¬ sitzes gegen ein papierneS, auf den seit Generationen schadhaften Staats¬ credit fundirtes Eigenthum, so wurde die Geistlichkeit durch die angedrohte Entziehung ihrer Güter zur heftigsten Opposition aufgeregt. Jene Güter waren freilich nur ein kleiner Rest von dem früheren unermeßlichen Besitz der Kirche, den die Revolution in ihren verschiedenen Phasen bereits verschlungen hatte. Schon während des Bürgerkriegs waren unter Mendizabals Verwal¬ tung bei Aushebung der Klöster deren Güter zum Besten des Staates ver¬ äußert worden; unter Esparteros Regentschaft folgte die Einziehung der Güter der Weltgeistlichkeit, deren Verkauf die Moderadoreaction 18it erst sistirte, als nur noch ein verhältnißmäßig geringer Theil, weniger als ein Fünftel davon übrig war. Außer der Zurückerstattung desselben hatte das Concordat von 1831 der Geistlichkeit das gemeinschädliche Recht wiedergegeben, von neuem Güter der todten Hand erwerben zu dürfen. Jetzt griff abermals die Revolution zerstörend in diese kaum geordnete Lage, die den Klerus die allmälige Wiederherstellung seiner verlorenen Macht hoffen ließ. Seine Auf¬ lehnung gegen die Deöamortisation wurde natürlich von der römischen Curie auf das nachdrücklichste unterstützt. Zwischen ihr und dem madrider Cabinet entspann sich ein diplomatischer Notenwechsel, der zu keiner Verständigung führte. Der heilige Stuhl berief sich auf das Concordat, die spanische Re¬ gierung, ohne die Giltigkeit desselben ausdrücklich zu bestreiten, wendete da¬ gegen ein, daß Seitens der Curie Bestimmungen, die betreff der Organisation der Geistlichkeit darin enthalten, nicht erfüllt worden, daß außerdem rücksicht¬ lich der Kirchengüter Vereinbarungen zwischen beiden contrahirenden Theilen vorbehalten worden seien. Formell war, wie kaum zu leugnen, die Curie mehr im Recht, aber das spanische Ministerium konnte für sich das eiserne Gesetz der Noth geltend machen und vom Klerus dasselbe Opfer, zur Rettung des Landes vom Bankerott verlangen, welches die Deöamortisation den Communen und an¬ deren Körperschaften auferlegte. Denn die Geistlichkeit von einer solchen Ma߬ regel ausnehmen, erschien unter den obschwebenden Verhältnissen undurch¬ führbar. Gleichzeitig mit dem Deöamortisationsgesetz regte eine andre Frage die religiösen Leidenschaften auf. Die Versassungsberathungen hatten begonnen; die Cortes gingen bei der Ausarbeitung der Constitution mit einer Gründlichkeit ans Werk, als ob Spanien zum ersten Mal die Bahn repräsentativer Staatseinrichtungen be- Grcnzboten. IV. 18ö6. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/465>, abgerufen am 23.07.2024.