Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.keit auf die altheidnischen Darstellungen, der das Volk selbst entgegenkommen Nikolaus herrscht über ein sehr großes Gebiet. In den streng katholischen In die lebendigste Zeit der Ernteschmäuse war der Tag deS heiligen In Martin ist die Berkirchlichung nur zum kleinen Theile gelungen; die 36*
keit auf die altheidnischen Darstellungen, der das Volk selbst entgegenkommen Nikolaus herrscht über ein sehr großes Gebiet. In den streng katholischen In die lebendigste Zeit der Ernteschmäuse war der Tag deS heiligen In Martin ist die Berkirchlichung nur zum kleinen Theile gelungen; die 36*
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keit auf die altheidnischen Darstellungen, der das Volk selbst entgegenkommen
mochte. Sie hat verschiedene Gestalten geschaffen, deren Betrachtung anzieht.
Nikolaus herrscht über ein sehr großes Gebiet. In den streng katholischen
Gegenden Süddeutschlands, so wie bei den Slawen, die ihn in dieser Gestalt
auch haben, ist er der Bischof, der an seinem Feste (6. December) im Ornate
von Goldpapier und weißen Tüchern herumwandert, und den Kindern nach
Verdienst Geschenke oder Schläge bringt; ein Engel im Chorhemde leistet ihm
zunächst den Dienst. Als Fragezeichen über die eigentliche Herkunft des Ge¬
brauches läuft freilich in Oestreich und Baiern der polternde närrische Geselle
mit, Barthel oder Grampus oder Klaubauf geheißen, der nichts als ein ver¬
kappter alter Götze ist. In dem kirchlich gemischten Schwaben hat Klaus das
bischöfliche Gewand theilweise abgeworfen. Schon sein Eintritt mit einer
Kuhschelle in der Hand war verdächtig; wenn er aber gar als Stroh- und
Pelzmann gleich dem Ruprecht herumstrolcht, so ist nichts als der Name von
dem Heiligen geblieben, und der eigentliche Held dieser Umzüge hat sich wieder
hervorgedrängt. Das gilt auch von dem rauhen Klas, Aschenklas, Bullerklas
in Niedersachsen und Ostfriesland.
In die lebendigste Zeit der Ernteschmäuse war der Tag deS heiligen
Bischofs Martin gesetzt, eines ritterlichen Herrn, den man auf einem Schimmel
und mit weitem Mantel abbildete. Wie erklärlich, daß sich die alten und die
neue» Anschauungen in der Einbildung des Volks verwirrten und der heid¬
nische Gott sich durch die äußere Aehttlichkeit mit dem kirchlichen Heiligen ver¬
mengte. Wuotans Opfergebäcke und Minnetrcinke wandelten sich in Martins¬
hörner und Martinötränkc; was der Gott bei seinem Umzüge durch das Land
an Segen gespendet hatte, schenkte jetzt der gütige Bischof den Kindern; die
Feuer, die auf Haide und Hügel zu Ehren der festlichen Zeit angezündet
worden waren, loderten nun als Martinsfeuer. Am Rhein und in Schlesien
sind die Erinnerungen an diesen Martin noch heute am lebendigsten.
In Martin ist die Berkirchlichung nur zum kleinen Theile gelungen; die
ganze Art Wuotans lugt hinter dem losen Vorhange deutlich hervor. Zur
weitern Verdrängung des Heidnischen bot die Verbindung dieser Gestalten mit
der Kinderwelt und der Weihnachtszeit die Hand. Ruprecht mußte sich allge¬
mach glücklich schätzen, durch die Kleinen sein Leben fortfristen zu können;
seine Begleiterin aber wuchs ihm dabei völlig über den Kopf, denn aus Berchta
ward niemand geringeres als die Himmelskönigin Maria, und Ruprecht ward
ihr Knecht; die GZtter des heidnischen HerbstfesteS wurden Vorläufer der Er¬
scheinung Ehristi. Ganz folgerecht trat im östlichen Schlesien und in Glatz
der heilige Nährvater Joseph an Ruprechts Stelle, freilich mehr dem Namen
als der, Art nach, die völlig ruprechtisch blieb. Die altüblichen und bereits
sehr verkümmerten Li'eder und Sprüche gingen nun in Adventreime über.
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