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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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In der Jahreszeit, in welcher seit Bekehrung der deutschen Völkerschaften
die Geburt Christi von den Kanzeln verkündet wird, feierten die heidnischen Ger¬
manen ihr größtes Fest. Ihr Glaube hatte sich aus einer kindlich frischen Welt¬
betrachtung allmälig gebildet; die Gottheiten waren aus Verkörperungen
der großen Naturerscheinungen herausgetreten und ihre Feste fielen in die
sichtlichen Abschnitte des Jahres. Die beiden Wendcorte der Sonne, Mitt¬
winter und Mittsommer, wurden daher besonders, ausgezeichnet; die schöne
Ruhe, deren der Landmann dann pflegt, und die gefüllten Keller und Scheunen
verliehen dem Winterfeste den ersten Rang.

An die letzte Garbe, welche der Bauer aus dem Felde band, und mit
kurzem Gebete Wuotan (Wvden, Odin) für sein weißes Noß widmete, knüpfte
sich eine Reihe von Festlichkeiten, in denen das Volk seinen Dank für die
Ernte ausdrückte. Große Opfertränke und Schmäuse begannen, welche in
unsern Kirmßen fortleben; und dabei trat der Gott im weiten dunkeln Man¬
tel und Hut mit seinem Schimmel auf, von andern Wesen deS Glaubens be¬
gleitet, denn unser Heidenthum liebte bei seinen Gottesdiensten repräsentirende
Darstellungen. Ob nun ein Bild Wuotans dabei herumgeführt ward, ob Men¬
schen die Darstellung kühn übernommen, mag fraglich sein; die heute noch blü¬
henden Gebräuche entscheiden für letzteres. Denn in ganz Norddeutschland führen
noch heute an den Kirmßen die jungen Burschen den Schimiti^lreiter zu beson¬
derer Ergötzung auf. DaS Volk denkt begreiflich nicht entfernt daran, wen
dieses durch Menschen, Säcke, Tücher, Pserdeschävel und Stangen gebildete
Noß und sein weißverhüllter Reiter vorstellen soll; die Mummerei und der
Lärm machen an und für sich Freude. Erst die deutsche Alterthumskunde hat
den Kern herausgelöst.

An vielen Orten heißt der Mummenschanz einfach der Schimmelreiter,
in einigen deutschen und englischen Gegenden ist der Name Ruprecht (Robim
Hot) geblieben, ein alter Beiname des "ruhmglänzende"" Wuotan. Mit
ihm zieht zuweilen 'seine Gemahlin Berchta herum oder sie wagt den Gang
auf eigne Hand, deren Name ebenfalls auf den göttlichen Glanz hinzeigt.
Doch wie verblichen ist dieser Schein und Schimmer! der stolze Götterkönig
mußte von seinem sturmschnellen Hengste steigen, und sich, in Sack und Pelz ver¬
hüllt, statt des Schwertes die Ruthe in der Faust, zur Kinderscheuche herab¬
setzen lassen. Welches Kind in Niederschlestcn, Lausitz, Brandenburg, Meißen
und Thüringen hätte nicht Knecht Ruprechts Bekanntschaft gemacht? desselben
Ruprechts, der in südostdeutschen Gauen als Barthel in Teufelslarve Ketten
und Feuergabel schleppen muß, wahrscheinlich zur.Strafe für die verliebten
Abenteuer, die er in der Zeit seiner glänzenden Herrschaft sehr eifrig aufsuchte.

Barthel ist ein Teufel und zugleich Knecht eines kirchlichen Fürsten, des
heiligen Nikolaus (Nicolo). Hier haben wir nun die Einwirkung der Geistlich


In der Jahreszeit, in welcher seit Bekehrung der deutschen Völkerschaften
die Geburt Christi von den Kanzeln verkündet wird, feierten die heidnischen Ger¬
manen ihr größtes Fest. Ihr Glaube hatte sich aus einer kindlich frischen Welt¬
betrachtung allmälig gebildet; die Gottheiten waren aus Verkörperungen
der großen Naturerscheinungen herausgetreten und ihre Feste fielen in die
sichtlichen Abschnitte des Jahres. Die beiden Wendcorte der Sonne, Mitt¬
winter und Mittsommer, wurden daher besonders, ausgezeichnet; die schöne
Ruhe, deren der Landmann dann pflegt, und die gefüllten Keller und Scheunen
verliehen dem Winterfeste den ersten Rang.

An die letzte Garbe, welche der Bauer aus dem Felde band, und mit
kurzem Gebete Wuotan (Wvden, Odin) für sein weißes Noß widmete, knüpfte
sich eine Reihe von Festlichkeiten, in denen das Volk seinen Dank für die
Ernte ausdrückte. Große Opfertränke und Schmäuse begannen, welche in
unsern Kirmßen fortleben; und dabei trat der Gott im weiten dunkeln Man¬
tel und Hut mit seinem Schimmel auf, von andern Wesen deS Glaubens be¬
gleitet, denn unser Heidenthum liebte bei seinen Gottesdiensten repräsentirende
Darstellungen. Ob nun ein Bild Wuotans dabei herumgeführt ward, ob Men¬
schen die Darstellung kühn übernommen, mag fraglich sein; die heute noch blü¬
henden Gebräuche entscheiden für letzteres. Denn in ganz Norddeutschland führen
noch heute an den Kirmßen die jungen Burschen den Schimiti^lreiter zu beson¬
derer Ergötzung auf. DaS Volk denkt begreiflich nicht entfernt daran, wen
dieses durch Menschen, Säcke, Tücher, Pserdeschävel und Stangen gebildete
Noß und sein weißverhüllter Reiter vorstellen soll; die Mummerei und der
Lärm machen an und für sich Freude. Erst die deutsche Alterthumskunde hat
den Kern herausgelöst.

An vielen Orten heißt der Mummenschanz einfach der Schimmelreiter,
in einigen deutschen und englischen Gegenden ist der Name Ruprecht (Robim
Hot) geblieben, ein alter Beiname des „ruhmglänzende»" Wuotan. Mit
ihm zieht zuweilen 'seine Gemahlin Berchta herum oder sie wagt den Gang
auf eigne Hand, deren Name ebenfalls auf den göttlichen Glanz hinzeigt.
Doch wie verblichen ist dieser Schein und Schimmer! der stolze Götterkönig
mußte von seinem sturmschnellen Hengste steigen, und sich, in Sack und Pelz ver¬
hüllt, statt des Schwertes die Ruthe in der Faust, zur Kinderscheuche herab¬
setzen lassen. Welches Kind in Niederschlestcn, Lausitz, Brandenburg, Meißen
und Thüringen hätte nicht Knecht Ruprechts Bekanntschaft gemacht? desselben
Ruprechts, der in südostdeutschen Gauen als Barthel in Teufelslarve Ketten
und Feuergabel schleppen muß, wahrscheinlich zur.Strafe für die verliebten
Abenteuer, die er in der Zeit seiner glänzenden Herrschaft sehr eifrig aufsuchte.

Barthel ist ein Teufel und zugleich Knecht eines kirchlichen Fürsten, des
heiligen Nikolaus (Nicolo). Hier haben wir nun die Einwirkung der Geistlich


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[0450] In der Jahreszeit, in welcher seit Bekehrung der deutschen Völkerschaften die Geburt Christi von den Kanzeln verkündet wird, feierten die heidnischen Ger¬ manen ihr größtes Fest. Ihr Glaube hatte sich aus einer kindlich frischen Welt¬ betrachtung allmälig gebildet; die Gottheiten waren aus Verkörperungen der großen Naturerscheinungen herausgetreten und ihre Feste fielen in die sichtlichen Abschnitte des Jahres. Die beiden Wendcorte der Sonne, Mitt¬ winter und Mittsommer, wurden daher besonders, ausgezeichnet; die schöne Ruhe, deren der Landmann dann pflegt, und die gefüllten Keller und Scheunen verliehen dem Winterfeste den ersten Rang. An die letzte Garbe, welche der Bauer aus dem Felde band, und mit kurzem Gebete Wuotan (Wvden, Odin) für sein weißes Noß widmete, knüpfte sich eine Reihe von Festlichkeiten, in denen das Volk seinen Dank für die Ernte ausdrückte. Große Opfertränke und Schmäuse begannen, welche in unsern Kirmßen fortleben; und dabei trat der Gott im weiten dunkeln Man¬ tel und Hut mit seinem Schimmel auf, von andern Wesen deS Glaubens be¬ gleitet, denn unser Heidenthum liebte bei seinen Gottesdiensten repräsentirende Darstellungen. Ob nun ein Bild Wuotans dabei herumgeführt ward, ob Men¬ schen die Darstellung kühn übernommen, mag fraglich sein; die heute noch blü¬ henden Gebräuche entscheiden für letzteres. Denn in ganz Norddeutschland führen noch heute an den Kirmßen die jungen Burschen den Schimiti^lreiter zu beson¬ derer Ergötzung auf. DaS Volk denkt begreiflich nicht entfernt daran, wen dieses durch Menschen, Säcke, Tücher, Pserdeschävel und Stangen gebildete Noß und sein weißverhüllter Reiter vorstellen soll; die Mummerei und der Lärm machen an und für sich Freude. Erst die deutsche Alterthumskunde hat den Kern herausgelöst. An vielen Orten heißt der Mummenschanz einfach der Schimmelreiter, in einigen deutschen und englischen Gegenden ist der Name Ruprecht (Robim Hot) geblieben, ein alter Beiname des „ruhmglänzende»" Wuotan. Mit ihm zieht zuweilen 'seine Gemahlin Berchta herum oder sie wagt den Gang auf eigne Hand, deren Name ebenfalls auf den göttlichen Glanz hinzeigt. Doch wie verblichen ist dieser Schein und Schimmer! der stolze Götterkönig mußte von seinem sturmschnellen Hengste steigen, und sich, in Sack und Pelz ver¬ hüllt, statt des Schwertes die Ruthe in der Faust, zur Kinderscheuche herab¬ setzen lassen. Welches Kind in Niederschlestcn, Lausitz, Brandenburg, Meißen und Thüringen hätte nicht Knecht Ruprechts Bekanntschaft gemacht? desselben Ruprechts, der in südostdeutschen Gauen als Barthel in Teufelslarve Ketten und Feuergabel schleppen muß, wahrscheinlich zur.Strafe für die verliebten Abenteuer, die er in der Zeit seiner glänzenden Herrschaft sehr eifrig aufsuchte. Barthel ist ein Teufel und zugleich Knecht eines kirchlichen Fürsten, des heiligen Nikolaus (Nicolo). Hier haben wir nun die Einwirkung der Geistlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/450>, abgerufen am 03.07.2024.