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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Das deutsche Weihmchtssest*).

Weihnachten ist ein recht eigentlich deutsches Fest. Alle christliche Völker
feiern es zwar kirchlich, aber die Weihnachtsfreude haben nur wir Deutschen.
Wie eine helle Sonne stehen die feierlichen Tage in dem dunkeln Mitt¬
winter und wärmen die verzagenden Herzen. Ihnen voraus geht das Mor¬
genroth der Advente, und wenn sie niedergingen, fliegt noch im Dreikönigstag
ein flimmernder Abendschein in den Monat des großen Karls.

Was ist es denn mit dieser Weihnachtsfreude? ist es blos die Erwartung
der Geschenke, die den Kindern das schöne alte Wort Weihnacht so lieblich
macht? sind es die vollen Schüsseln und die zweifelhafte Lust am Kaufen und
Schenken, was in den Erwachsenen einen raschem Blutlauf erzeugt? -- ES
mag das mitwirken. Der eigentliche Grund liegt aber tief im deutschen Wesen
und wird von de.n andern Völkern schwer begriffen. Unser Gemüth und unsre
Einbildung arbeiten mit altvolksthümlichen und kirchlichen Erinnerungen zu¬
sammen und füllen das Innere mit jenem Weihnachtsdust, den die äußern
Sinne als Geruch von Tannengrün und Wachsstvckdamps aufnehmen.

Schon als Knabe hatte ich mit den Genossen herzliches Mitleid, in deren
Häusern die Weihnachten nicht gehörig gehalten wurden. Das waren weniger
die armen, die nach der guten Sitte meiner Heimath immer ein Stücklein
Freude beschert erhielten, als die Kinder nüchterner Seelen, welche vorher
ihre Wünsche ausschreiben mußten, und sie dann ohne Ruprecht und Christkind
Stück für Stück verwirklicht sahen. Hier waren Sauerkraut und Mohnklöße
allein an der Herrschaft; einen Schritt weiter, und daS schöne Fest war über¬
haupt ausgestrichen.

Im deutschen Hause, >das, Gott sei Lob, noch guten Grund und Halt
hat, besteht die Weihnachtsfeier aus dem Vorspiel im November und December,
aus dem dreitägigen Hauptfeste, und aus dem Nachspiele der Zwölften. Zwei
gesonderte Ströme alter Traditionen gehen darin verträglich nebeneinander,
ein heidnischer und ein christlicher, denn die Geistlichkeit verstand es, unsre
heidnischen Vorfahren bei ihren Festen zu lassen und dieselben zugleich dem
kirchlichen Gesetze unterzuordnen.



") Im letzten Heft des Jahrg. ->Löi> der Grenzboten war dasselbe Thema behandelt.
Der hier folgende Artikel ist von einem Verfasser, der dnrch seine gelehrte Thätigkeit vorzugs¬
. D. R. weise berufen ist, die mythologischen Traditionen im deutschen Volksleben zu erkennen
Grenzboten. IV. -I8so. 36
Das deutsche Weihmchtssest*).

Weihnachten ist ein recht eigentlich deutsches Fest. Alle christliche Völker
feiern es zwar kirchlich, aber die Weihnachtsfreude haben nur wir Deutschen.
Wie eine helle Sonne stehen die feierlichen Tage in dem dunkeln Mitt¬
winter und wärmen die verzagenden Herzen. Ihnen voraus geht das Mor¬
genroth der Advente, und wenn sie niedergingen, fliegt noch im Dreikönigstag
ein flimmernder Abendschein in den Monat des großen Karls.

Was ist es denn mit dieser Weihnachtsfreude? ist es blos die Erwartung
der Geschenke, die den Kindern das schöne alte Wort Weihnacht so lieblich
macht? sind es die vollen Schüsseln und die zweifelhafte Lust am Kaufen und
Schenken, was in den Erwachsenen einen raschem Blutlauf erzeugt? — ES
mag das mitwirken. Der eigentliche Grund liegt aber tief im deutschen Wesen
und wird von de.n andern Völkern schwer begriffen. Unser Gemüth und unsre
Einbildung arbeiten mit altvolksthümlichen und kirchlichen Erinnerungen zu¬
sammen und füllen das Innere mit jenem Weihnachtsdust, den die äußern
Sinne als Geruch von Tannengrün und Wachsstvckdamps aufnehmen.

Schon als Knabe hatte ich mit den Genossen herzliches Mitleid, in deren
Häusern die Weihnachten nicht gehörig gehalten wurden. Das waren weniger
die armen, die nach der guten Sitte meiner Heimath immer ein Stücklein
Freude beschert erhielten, als die Kinder nüchterner Seelen, welche vorher
ihre Wünsche ausschreiben mußten, und sie dann ohne Ruprecht und Christkind
Stück für Stück verwirklicht sahen. Hier waren Sauerkraut und Mohnklöße
allein an der Herrschaft; einen Schritt weiter, und daS schöne Fest war über¬
haupt ausgestrichen.

Im deutschen Hause, >das, Gott sei Lob, noch guten Grund und Halt
hat, besteht die Weihnachtsfeier aus dem Vorspiel im November und December,
aus dem dreitägigen Hauptfeste, und aus dem Nachspiele der Zwölften. Zwei
gesonderte Ströme alter Traditionen gehen darin verträglich nebeneinander,
ein heidnischer und ein christlicher, denn die Geistlichkeit verstand es, unsre
heidnischen Vorfahren bei ihren Festen zu lassen und dieselben zugleich dem
kirchlichen Gesetze unterzuordnen.



") Im letzten Heft des Jahrg. ->Löi> der Grenzboten war dasselbe Thema behandelt.
Der hier folgende Artikel ist von einem Verfasser, der dnrch seine gelehrte Thätigkeit vorzugs¬
. D. R. weise berufen ist, die mythologischen Traditionen im deutschen Volksleben zu erkennen
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[0449] Das deutsche Weihmchtssest*). Weihnachten ist ein recht eigentlich deutsches Fest. Alle christliche Völker feiern es zwar kirchlich, aber die Weihnachtsfreude haben nur wir Deutschen. Wie eine helle Sonne stehen die feierlichen Tage in dem dunkeln Mitt¬ winter und wärmen die verzagenden Herzen. Ihnen voraus geht das Mor¬ genroth der Advente, und wenn sie niedergingen, fliegt noch im Dreikönigstag ein flimmernder Abendschein in den Monat des großen Karls. Was ist es denn mit dieser Weihnachtsfreude? ist es blos die Erwartung der Geschenke, die den Kindern das schöne alte Wort Weihnacht so lieblich macht? sind es die vollen Schüsseln und die zweifelhafte Lust am Kaufen und Schenken, was in den Erwachsenen einen raschem Blutlauf erzeugt? — ES mag das mitwirken. Der eigentliche Grund liegt aber tief im deutschen Wesen und wird von de.n andern Völkern schwer begriffen. Unser Gemüth und unsre Einbildung arbeiten mit altvolksthümlichen und kirchlichen Erinnerungen zu¬ sammen und füllen das Innere mit jenem Weihnachtsdust, den die äußern Sinne als Geruch von Tannengrün und Wachsstvckdamps aufnehmen. Schon als Knabe hatte ich mit den Genossen herzliches Mitleid, in deren Häusern die Weihnachten nicht gehörig gehalten wurden. Das waren weniger die armen, die nach der guten Sitte meiner Heimath immer ein Stücklein Freude beschert erhielten, als die Kinder nüchterner Seelen, welche vorher ihre Wünsche ausschreiben mußten, und sie dann ohne Ruprecht und Christkind Stück für Stück verwirklicht sahen. Hier waren Sauerkraut und Mohnklöße allein an der Herrschaft; einen Schritt weiter, und daS schöne Fest war über¬ haupt ausgestrichen. Im deutschen Hause, >das, Gott sei Lob, noch guten Grund und Halt hat, besteht die Weihnachtsfeier aus dem Vorspiel im November und December, aus dem dreitägigen Hauptfeste, und aus dem Nachspiele der Zwölften. Zwei gesonderte Ströme alter Traditionen gehen darin verträglich nebeneinander, ein heidnischer und ein christlicher, denn die Geistlichkeit verstand es, unsre heidnischen Vorfahren bei ihren Festen zu lassen und dieselben zugleich dem kirchlichen Gesetze unterzuordnen. ") Im letzten Heft des Jahrg. ->Löi> der Grenzboten war dasselbe Thema behandelt. Der hier folgende Artikel ist von einem Verfasser, der dnrch seine gelehrte Thätigkeit vorzugs¬ . D. R. weise berufen ist, die mythologischen Traditionen im deutschen Volksleben zu erkennen Grenzboten. IV. -I8so. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/449>, abgerufen am 03.07.2024.