Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Pariser Brief.
^ ^

Der Kaiser sagte jüngst in einer vertraulichen Unterhaltung: "Wenn diese
Nation einmal ernstlich die Freiheit verlangt, wird man sie ihr wol geben müssen,
das fühle ich; wozu aber sich Verlegenheiten bereiten ("" in<.!or <>Ld! vmliun-"?), so lange
es auch so geht." Dieser Ausspruch scheint zu beweisen, daß Napoleon zuweilen
über das nachdenkt, was wie dumpfes Getöse des Meeres durch die von seinen
Höflingen um den Thron gebildeten Mauern aus der öffentlichen Meinung bis zu
ihm dringt. Louis Napoleon hat weder seine Jahre des Exils noch seine Schriften
ganz vergessen und er unterscheidet sich hierin von Ludwig Philipp, der das Beste
gethan zu haben glaubte und ein Mehr von Freiheit, als die Nation damals besaß,
für etwas nicht blos der Regierung, sondern jener Schädliches hielt. Ob der
gegenwärtige Regent von Frankreich sich keiner all zu großen Täuschung hingibt,
wenn er sich einbildet, wie ein Locomotivführer im ersten Augenblick die Hand auf
die Ventile geben zu können, ob er den inneren Widerspruch der Freiheit mit dem
bonapartistischen Wesen erwägend, so recht aus dem Herzen gethan und aufrichtig
gemeint habe, das mag dahin gestellt bleiben. Meine Gedanken führen mich auf
keine Untersuchung dieses Punktes und es sollte blos erwähnt werden, daß im
Kaiser manches vorgehe, wovon seine Höflinge und auch seine Minister keine
Ahnung haben. Ob das bloße Keime sind, blos vorübergehende Regungen, die
durch sein Gemüth ziehen, das mag unberücksichtigt bleiben, aber was eben jetzt
vorgeht, ist geeignet, mich an den obigen Ausspruch zu erinnern. Seit sechs Mo¬
naten schien der Hof, oder besser gesagt, das Staatsoberhaupt von den Geschäften
sich zurückgezogen zu haben, um mit etwas Genialität über die äußerliche Beobach¬
tung von Pflichten, auf die in Frankreich oft mehr gegeben wird, als auf das
Wesen derselben, hinauszugehen. Schon seit längerer Zeit machten sich Stimmen
vernehmlich gegen diese villicggiatturende Weise der Negierung, und als der Hof
in Compivgne, die auswärtigen und inneren Schwierigkeiten der Situation über¬
sehend, sich zu sehr mit Privatunterhaltung zu besassen schien, hat die Protestation
des Landes einen drohenden Ton angenommen. Louis Napoleon läßt sich das
gesagt sein und die Reise von Fontainebleau unterbleibt, obgleich in seiner un¬
mittelbaren Hosnmgebung man es vorgezogen hätte, die Meinung des Landes zu
ignoriren. Ich schließe daraus, daß, wenn Frankreich genug Energie hätte und
genug Ausdauer, sich auch nnr der geringen Waffen zu bedienen, die ihm zum
Kampfe übrig geblieben sind, die Dinge sich anders wenden müßten. Es war das
Kunststück der gegenwärtigen Regierung, die geistigen und moralischen Kräfte der
Nation "ach einer andern Seite hinzulenken, und was wir seit dem Staatsstreiche
hier erleben, ist wie eine Drainirung vom politischen Gebiete aus das industrielle.
Die Complicationen, welche den Sinn des Herrschers gegenwärtig mit so viel
Sorge erfüllen, rühren zum Theil von Uebertreibung eben dieses KunststückchcnS
her, denn nicht ungestraft wird der Dämon des Egoismus und des Eigennutzes
einer ganzen Nation so systematisch wach gehalten; die Politik der napoleonischen
Negierung hat zwei gesonderte Strömungen zu Tage gefördert. Alles was made-


Pariser Brief.
^ ^

Der Kaiser sagte jüngst in einer vertraulichen Unterhaltung: „Wenn diese
Nation einmal ernstlich die Freiheit verlangt, wird man sie ihr wol geben müssen,
das fühle ich; wozu aber sich Verlegenheiten bereiten (»« in<.!or <>Ld! vmliun-»?), so lange
es auch so geht." Dieser Ausspruch scheint zu beweisen, daß Napoleon zuweilen
über das nachdenkt, was wie dumpfes Getöse des Meeres durch die von seinen
Höflingen um den Thron gebildeten Mauern aus der öffentlichen Meinung bis zu
ihm dringt. Louis Napoleon hat weder seine Jahre des Exils noch seine Schriften
ganz vergessen und er unterscheidet sich hierin von Ludwig Philipp, der das Beste
gethan zu haben glaubte und ein Mehr von Freiheit, als die Nation damals besaß,
für etwas nicht blos der Regierung, sondern jener Schädliches hielt. Ob der
gegenwärtige Regent von Frankreich sich keiner all zu großen Täuschung hingibt,
wenn er sich einbildet, wie ein Locomotivführer im ersten Augenblick die Hand auf
die Ventile geben zu können, ob er den inneren Widerspruch der Freiheit mit dem
bonapartistischen Wesen erwägend, so recht aus dem Herzen gethan und aufrichtig
gemeint habe, das mag dahin gestellt bleiben. Meine Gedanken führen mich auf
keine Untersuchung dieses Punktes und es sollte blos erwähnt werden, daß im
Kaiser manches vorgehe, wovon seine Höflinge und auch seine Minister keine
Ahnung haben. Ob das bloße Keime sind, blos vorübergehende Regungen, die
durch sein Gemüth ziehen, das mag unberücksichtigt bleiben, aber was eben jetzt
vorgeht, ist geeignet, mich an den obigen Ausspruch zu erinnern. Seit sechs Mo¬
naten schien der Hof, oder besser gesagt, das Staatsoberhaupt von den Geschäften
sich zurückgezogen zu haben, um mit etwas Genialität über die äußerliche Beobach¬
tung von Pflichten, auf die in Frankreich oft mehr gegeben wird, als auf das
Wesen derselben, hinauszugehen. Schon seit längerer Zeit machten sich Stimmen
vernehmlich gegen diese villicggiatturende Weise der Negierung, und als der Hof
in Compivgne, die auswärtigen und inneren Schwierigkeiten der Situation über¬
sehend, sich zu sehr mit Privatunterhaltung zu besassen schien, hat die Protestation
des Landes einen drohenden Ton angenommen. Louis Napoleon läßt sich das
gesagt sein und die Reise von Fontainebleau unterbleibt, obgleich in seiner un¬
mittelbaren Hosnmgebung man es vorgezogen hätte, die Meinung des Landes zu
ignoriren. Ich schließe daraus, daß, wenn Frankreich genug Energie hätte und
genug Ausdauer, sich auch nnr der geringen Waffen zu bedienen, die ihm zum
Kampfe übrig geblieben sind, die Dinge sich anders wenden müßten. Es war das
Kunststück der gegenwärtigen Regierung, die geistigen und moralischen Kräfte der
Nation »ach einer andern Seite hinzulenken, und was wir seit dem Staatsstreiche
hier erleben, ist wie eine Drainirung vom politischen Gebiete aus das industrielle.
Die Complicationen, welche den Sinn des Herrschers gegenwärtig mit so viel
Sorge erfüllen, rühren zum Theil von Uebertreibung eben dieses KunststückchcnS
her, denn nicht ungestraft wird der Dämon des Egoismus und des Eigennutzes
einer ganzen Nation so systematisch wach gehalten; die Politik der napoleonischen
Negierung hat zwei gesonderte Strömungen zu Tage gefördert. Alles was made-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102994"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Pariser Brief.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> ^ ^</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1298" next="#ID_1299"> Der Kaiser sagte jüngst in einer vertraulichen Unterhaltung: &#x201E;Wenn diese<lb/>
Nation einmal ernstlich die Freiheit verlangt, wird man sie ihr wol geben müssen,<lb/>
das fühle ich; wozu aber sich Verlegenheiten bereiten (»« in&lt;.!or &lt;&gt;Ld! vmliun-»?), so lange<lb/>
es auch so geht." Dieser Ausspruch scheint zu beweisen, daß Napoleon zuweilen<lb/>
über das nachdenkt, was wie dumpfes Getöse des Meeres durch die von seinen<lb/>
Höflingen um den Thron gebildeten Mauern aus der öffentlichen Meinung bis zu<lb/>
ihm dringt. Louis Napoleon hat weder seine Jahre des Exils noch seine Schriften<lb/>
ganz vergessen und er unterscheidet sich hierin von Ludwig Philipp, der das Beste<lb/>
gethan zu haben glaubte und ein Mehr von Freiheit, als die Nation damals besaß,<lb/>
für etwas nicht blos der Regierung, sondern jener Schädliches hielt. Ob der<lb/>
gegenwärtige Regent von Frankreich sich keiner all zu großen Täuschung hingibt,<lb/>
wenn er sich einbildet, wie ein Locomotivführer im ersten Augenblick die Hand auf<lb/>
die Ventile geben zu können, ob er den inneren Widerspruch der Freiheit mit dem<lb/>
bonapartistischen Wesen erwägend, so recht aus dem Herzen gethan und aufrichtig<lb/>
gemeint habe, das mag dahin gestellt bleiben. Meine Gedanken führen mich auf<lb/>
keine Untersuchung dieses Punktes und es sollte blos erwähnt werden, daß im<lb/>
Kaiser manches vorgehe, wovon seine Höflinge und auch seine Minister keine<lb/>
Ahnung haben. Ob das bloße Keime sind, blos vorübergehende Regungen, die<lb/>
durch sein Gemüth ziehen, das mag unberücksichtigt bleiben, aber was eben jetzt<lb/>
vorgeht, ist geeignet, mich an den obigen Ausspruch zu erinnern. Seit sechs Mo¬<lb/>
naten schien der Hof, oder besser gesagt, das Staatsoberhaupt von den Geschäften<lb/>
sich zurückgezogen zu haben, um mit etwas Genialität über die äußerliche Beobach¬<lb/>
tung von Pflichten, auf die in Frankreich oft mehr gegeben wird, als auf das<lb/>
Wesen derselben, hinauszugehen. Schon seit längerer Zeit machten sich Stimmen<lb/>
vernehmlich gegen diese villicggiatturende Weise der Negierung, und als der Hof<lb/>
in Compivgne, die auswärtigen und inneren Schwierigkeiten der Situation über¬<lb/>
sehend, sich zu sehr mit Privatunterhaltung zu besassen schien, hat die Protestation<lb/>
des Landes einen drohenden Ton angenommen. Louis Napoleon läßt sich das<lb/>
gesagt sein und die Reise von Fontainebleau unterbleibt, obgleich in seiner un¬<lb/>
mittelbaren Hosnmgebung man es vorgezogen hätte, die Meinung des Landes zu<lb/>
ignoriren. Ich schließe daraus, daß, wenn Frankreich genug Energie hätte und<lb/>
genug Ausdauer, sich auch nnr der geringen Waffen zu bedienen, die ihm zum<lb/>
Kampfe übrig geblieben sind, die Dinge sich anders wenden müßten. Es war das<lb/>
Kunststück der gegenwärtigen Regierung, die geistigen und moralischen Kräfte der<lb/>
Nation »ach einer andern Seite hinzulenken, und was wir seit dem Staatsstreiche<lb/>
hier erleben, ist wie eine Drainirung vom politischen Gebiete aus das industrielle.<lb/>
Die Complicationen, welche den Sinn des Herrschers gegenwärtig mit so viel<lb/>
Sorge erfüllen, rühren zum Theil von Uebertreibung eben dieses KunststückchcnS<lb/>
her, denn nicht ungestraft wird der Dämon des Egoismus und des Eigennutzes<lb/>
einer ganzen Nation so systematisch wach gehalten; die Politik der napoleonischen<lb/>
Negierung hat zwei gesonderte Strömungen zu Tage gefördert.  Alles was made-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0399] Pariser Brief. ^ ^ Der Kaiser sagte jüngst in einer vertraulichen Unterhaltung: „Wenn diese Nation einmal ernstlich die Freiheit verlangt, wird man sie ihr wol geben müssen, das fühle ich; wozu aber sich Verlegenheiten bereiten (»« in<.!or <>Ld! vmliun-»?), so lange es auch so geht." Dieser Ausspruch scheint zu beweisen, daß Napoleon zuweilen über das nachdenkt, was wie dumpfes Getöse des Meeres durch die von seinen Höflingen um den Thron gebildeten Mauern aus der öffentlichen Meinung bis zu ihm dringt. Louis Napoleon hat weder seine Jahre des Exils noch seine Schriften ganz vergessen und er unterscheidet sich hierin von Ludwig Philipp, der das Beste gethan zu haben glaubte und ein Mehr von Freiheit, als die Nation damals besaß, für etwas nicht blos der Regierung, sondern jener Schädliches hielt. Ob der gegenwärtige Regent von Frankreich sich keiner all zu großen Täuschung hingibt, wenn er sich einbildet, wie ein Locomotivführer im ersten Augenblick die Hand auf die Ventile geben zu können, ob er den inneren Widerspruch der Freiheit mit dem bonapartistischen Wesen erwägend, so recht aus dem Herzen gethan und aufrichtig gemeint habe, das mag dahin gestellt bleiben. Meine Gedanken führen mich auf keine Untersuchung dieses Punktes und es sollte blos erwähnt werden, daß im Kaiser manches vorgehe, wovon seine Höflinge und auch seine Minister keine Ahnung haben. Ob das bloße Keime sind, blos vorübergehende Regungen, die durch sein Gemüth ziehen, das mag unberücksichtigt bleiben, aber was eben jetzt vorgeht, ist geeignet, mich an den obigen Ausspruch zu erinnern. Seit sechs Mo¬ naten schien der Hof, oder besser gesagt, das Staatsoberhaupt von den Geschäften sich zurückgezogen zu haben, um mit etwas Genialität über die äußerliche Beobach¬ tung von Pflichten, auf die in Frankreich oft mehr gegeben wird, als auf das Wesen derselben, hinauszugehen. Schon seit längerer Zeit machten sich Stimmen vernehmlich gegen diese villicggiatturende Weise der Negierung, und als der Hof in Compivgne, die auswärtigen und inneren Schwierigkeiten der Situation über¬ sehend, sich zu sehr mit Privatunterhaltung zu besassen schien, hat die Protestation des Landes einen drohenden Ton angenommen. Louis Napoleon läßt sich das gesagt sein und die Reise von Fontainebleau unterbleibt, obgleich in seiner un¬ mittelbaren Hosnmgebung man es vorgezogen hätte, die Meinung des Landes zu ignoriren. Ich schließe daraus, daß, wenn Frankreich genug Energie hätte und genug Ausdauer, sich auch nnr der geringen Waffen zu bedienen, die ihm zum Kampfe übrig geblieben sind, die Dinge sich anders wenden müßten. Es war das Kunststück der gegenwärtigen Regierung, die geistigen und moralischen Kräfte der Nation »ach einer andern Seite hinzulenken, und was wir seit dem Staatsstreiche hier erleben, ist wie eine Drainirung vom politischen Gebiete aus das industrielle. Die Complicationen, welche den Sinn des Herrschers gegenwärtig mit so viel Sorge erfüllen, rühren zum Theil von Uebertreibung eben dieses KunststückchcnS her, denn nicht ungestraft wird der Dämon des Egoismus und des Eigennutzes einer ganzen Nation so systematisch wach gehalten; die Politik der napoleonischen Negierung hat zwei gesonderte Strömungen zu Tage gefördert. Alles was made-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/399
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/399>, abgerufen am 23.07.2024.