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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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dem Materialismus nicht den Spiritualismus überhaupt entgegensetzen, son-
dern nur specifisch den christlichen Glauben." Nach den Proben, den Mate¬
rialismus durch Gründe zu bekämpfen, welche Euer und Stahl gegeben,
scheint uns das allerdings auch das Beste. Aber da die Vorredner als ein¬
ziges Mittel zu dieser Bekämpfung eben die Koalition mit Philosophie und
Naturwissenschaft ansahen, und da Stahl, seine eignen Argumente verleugnend,
sich endlich lediglich auf den christlichen Glauben beruft, der die Bekämpfung
anderer weder bezwecken, noch ermöglichen kann, so wird die "Kirche" zugeben
müssen, daß sie gegen den Materialismus gar nichts auszurichten vermag.
Die Pietisten haben um so mehr Ursache, ganz zu schweigen, da der Wider¬
wille, welchen ihre Uebergriffe, ihre Kopfhängerei und ihre Salbung bei einem
großen Theile des deutschen Volks erregt haben, das Emporkommen deö mate¬
rialistischen Cynismus sehr befördert hat.

Nachdem Stahl dies alles vollbracht hat,,macht er sich darüber her, die
Nationalisten und die Hegelianer mit den Materialisten in eine Verdammniß
zu werfen. "Es ist gleichviel im letzten Erfolg, sagt er, ob man das Universum
auf das logische Gesetz oder aus das Gesetz der Materie gründet. Wie man
von dem lebendigen persönlichen Schöpfer abgefallen ist, so ist der Erfolg die
Mechanik, und diese vernichtet die Freiheit und mit der Freiheit die Sitte."
Auch der Theismus, nach welchem Gott jstch nicht offenbaren könne, sondern
wie ein constitutioneller König der Natur dasitze und die Welt nach ewigen
Gesetzen regiere, gefällt ihm nicht. "II rizKniz," sagt er, ,,uns it ris ^ouverns pas."
Von einem solchen Theismus bis zur wirklichen Republik d. i. daß die Natur
sich allein regiert und es keinen Gott gibt, ist nicht blos nur ein Schritt,
sondern in der Hauptsache sind beide völlig dasselbe." Wer also nicht glaubt,
daß Gott bisweilen die Naturgesetze ändert und sich durch Wunder offenbart,
der ist ein offner oder verkappter, bewußter oder unbewußter Materialist und,
wie dieser, bemüht, die Freiheit und die Sitte zu vernichten. Man sieht,
Stahl wünscht allen ihm gehässigen Richtungen nur einen Hals, damit er ihn
aus einmal abschlagen könne.

Diese Rede Stahls ist ein abermaliger Beweis von der Jnhaltlostgkeit
der christlich-germanischen Partei; ihre Parteigänger scheinen sich durch die
hergebrachten salbungsreichen, aber gedankenleeren Phrasen nach und nach
immer mehr verworren zu machen; der anhaltende Eifer gegen die eigne Ver¬
nunft muß diese natürlich zuletzt beeinträchtigen. Von Stahl hat man freilich
immer behauptet, daß er Verstand besitze; er muß aber entweder auch schon
unter dem fortwährenden Abwehren deS Nachdenkens gelitten, oder doch ge¬
dacht haben, Äulos <zst 6e8ipercz in looo und der Kirchentag sei für eine wohl-,
gefällige Faselei grade der rechte Ort.




dem Materialismus nicht den Spiritualismus überhaupt entgegensetzen, son-
dern nur specifisch den christlichen Glauben." Nach den Proben, den Mate¬
rialismus durch Gründe zu bekämpfen, welche Euer und Stahl gegeben,
scheint uns das allerdings auch das Beste. Aber da die Vorredner als ein¬
ziges Mittel zu dieser Bekämpfung eben die Koalition mit Philosophie und
Naturwissenschaft ansahen, und da Stahl, seine eignen Argumente verleugnend,
sich endlich lediglich auf den christlichen Glauben beruft, der die Bekämpfung
anderer weder bezwecken, noch ermöglichen kann, so wird die „Kirche" zugeben
müssen, daß sie gegen den Materialismus gar nichts auszurichten vermag.
Die Pietisten haben um so mehr Ursache, ganz zu schweigen, da der Wider¬
wille, welchen ihre Uebergriffe, ihre Kopfhängerei und ihre Salbung bei einem
großen Theile des deutschen Volks erregt haben, das Emporkommen deö mate¬
rialistischen Cynismus sehr befördert hat.

Nachdem Stahl dies alles vollbracht hat,,macht er sich darüber her, die
Nationalisten und die Hegelianer mit den Materialisten in eine Verdammniß
zu werfen. „Es ist gleichviel im letzten Erfolg, sagt er, ob man das Universum
auf das logische Gesetz oder aus das Gesetz der Materie gründet. Wie man
von dem lebendigen persönlichen Schöpfer abgefallen ist, so ist der Erfolg die
Mechanik, und diese vernichtet die Freiheit und mit der Freiheit die Sitte."
Auch der Theismus, nach welchem Gott jstch nicht offenbaren könne, sondern
wie ein constitutioneller König der Natur dasitze und die Welt nach ewigen
Gesetzen regiere, gefällt ihm nicht. „II rizKniz," sagt er, ,,uns it ris ^ouverns pas."
Von einem solchen Theismus bis zur wirklichen Republik d. i. daß die Natur
sich allein regiert und es keinen Gott gibt, ist nicht blos nur ein Schritt,
sondern in der Hauptsache sind beide völlig dasselbe." Wer also nicht glaubt,
daß Gott bisweilen die Naturgesetze ändert und sich durch Wunder offenbart,
der ist ein offner oder verkappter, bewußter oder unbewußter Materialist und,
wie dieser, bemüht, die Freiheit und die Sitte zu vernichten. Man sieht,
Stahl wünscht allen ihm gehässigen Richtungen nur einen Hals, damit er ihn
aus einmal abschlagen könne.

Diese Rede Stahls ist ein abermaliger Beweis von der Jnhaltlostgkeit
der christlich-germanischen Partei; ihre Parteigänger scheinen sich durch die
hergebrachten salbungsreichen, aber gedankenleeren Phrasen nach und nach
immer mehr verworren zu machen; der anhaltende Eifer gegen die eigne Ver¬
nunft muß diese natürlich zuletzt beeinträchtigen. Von Stahl hat man freilich
immer behauptet, daß er Verstand besitze; er muß aber entweder auch schon
unter dem fortwährenden Abwehren deS Nachdenkens gelitten, oder doch ge¬
dacht haben, Äulos <zst 6e8ipercz in looo und der Kirchentag sei für eine wohl-,
gefällige Faselei grade der rechte Ort.




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[0398] dem Materialismus nicht den Spiritualismus überhaupt entgegensetzen, son- dern nur specifisch den christlichen Glauben." Nach den Proben, den Mate¬ rialismus durch Gründe zu bekämpfen, welche Euer und Stahl gegeben, scheint uns das allerdings auch das Beste. Aber da die Vorredner als ein¬ ziges Mittel zu dieser Bekämpfung eben die Koalition mit Philosophie und Naturwissenschaft ansahen, und da Stahl, seine eignen Argumente verleugnend, sich endlich lediglich auf den christlichen Glauben beruft, der die Bekämpfung anderer weder bezwecken, noch ermöglichen kann, so wird die „Kirche" zugeben müssen, daß sie gegen den Materialismus gar nichts auszurichten vermag. Die Pietisten haben um so mehr Ursache, ganz zu schweigen, da der Wider¬ wille, welchen ihre Uebergriffe, ihre Kopfhängerei und ihre Salbung bei einem großen Theile des deutschen Volks erregt haben, das Emporkommen deö mate¬ rialistischen Cynismus sehr befördert hat. Nachdem Stahl dies alles vollbracht hat,,macht er sich darüber her, die Nationalisten und die Hegelianer mit den Materialisten in eine Verdammniß zu werfen. „Es ist gleichviel im letzten Erfolg, sagt er, ob man das Universum auf das logische Gesetz oder aus das Gesetz der Materie gründet. Wie man von dem lebendigen persönlichen Schöpfer abgefallen ist, so ist der Erfolg die Mechanik, und diese vernichtet die Freiheit und mit der Freiheit die Sitte." Auch der Theismus, nach welchem Gott jstch nicht offenbaren könne, sondern wie ein constitutioneller König der Natur dasitze und die Welt nach ewigen Gesetzen regiere, gefällt ihm nicht. „II rizKniz," sagt er, ,,uns it ris ^ouverns pas." Von einem solchen Theismus bis zur wirklichen Republik d. i. daß die Natur sich allein regiert und es keinen Gott gibt, ist nicht blos nur ein Schritt, sondern in der Hauptsache sind beide völlig dasselbe." Wer also nicht glaubt, daß Gott bisweilen die Naturgesetze ändert und sich durch Wunder offenbart, der ist ein offner oder verkappter, bewußter oder unbewußter Materialist und, wie dieser, bemüht, die Freiheit und die Sitte zu vernichten. Man sieht, Stahl wünscht allen ihm gehässigen Richtungen nur einen Hals, damit er ihn aus einmal abschlagen könne. Diese Rede Stahls ist ein abermaliger Beweis von der Jnhaltlostgkeit der christlich-germanischen Partei; ihre Parteigänger scheinen sich durch die hergebrachten salbungsreichen, aber gedankenleeren Phrasen nach und nach immer mehr verworren zu machen; der anhaltende Eifer gegen die eigne Ver¬ nunft muß diese natürlich zuletzt beeinträchtigen. Von Stahl hat man freilich immer behauptet, daß er Verstand besitze; er muß aber entweder auch schon unter dem fortwährenden Abwehren deS Nachdenkens gelitten, oder doch ge¬ dacht haben, Äulos <zst 6e8ipercz in looo und der Kirchentag sei für eine wohl-, gefällige Faselei grade der rechte Ort.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/398>, abgerufen am 23.07.2024.