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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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personificirte Naturwissenschaft. Aber wenn auch wirklich diese allegorische
Person auf einen andern Stern hinüberführe, so würde sie dadurch, den naiven
Voraussetzungen Stahls zum Trotz, dem Himmlischen und dem Himmel kein
Haarbreit näher gekommen sein. Sie hat also gar nicht nöthig, sich darum
zu bemühen und kann die müßigen Reden Stahls um so mehr auf sich be¬
ruhen lassen, da ja nach dessen eigenem Eingeständniß gar nicht sie, sondern
eine schwache Speculation ohne naturwissenschaftliche Begründung das Ewige
und Himmlische angetastet hat.

Diesem Ausfalle läßt Stahl zwei "populäre ar^umenta ac> Kominsm"
folgen. ,,Das Eine, sagt er, was den Materialismus, gleich wie die panthei-
stische Auffassungsweise widerlegt, ist die Zweckmäßigkeit, welche thatsächlich
durch die ganze Schöpfung geht. Mag man sich einbilden, daß durch die
eigenthümliche Structur aller körperlichen Organe das Denken producirt wird,
wer hat denn diese eigenthümliche Structur gemacht? Soll das selbst kein be¬
absichtigter Zweck, sondern nur Folge eines Gesetzes und seiner Mechanik sein?
Oder nehme man die geringste Pflanze, das geringste Thier, wie ist da alles
aus den Zweck berechnet. Das Thier hat Verdauungswerkzeuge für bestimmte
Nahrung, Krallen und Gebiß für eben diese Nahrung eingerichtet. Woher
denn diese Berechnung auf einen und denselben Plan? Wo Absicht, Plan,
Berechnung auf einen Zweck ist, da steht ein höherer bewußter Geist darüber,
der das gemacht hat. Das bloße Gesetz hat nicht Plan und Berechnung.

Die Naturwissenschaft soll sich nicht erdreisten, über himmlische Dinge zu
reden, aber Stahl darf sich erlauben, aus der Naturwissenschaft ein Argument
für die Existenz des persönlichen Gottes abzuleiten. Und diese Ableitung ge¬
lingt ihm überdies nur durch Rabulistik und Unwissenheit. Das Gesetz, meint
er, habe keine Berechnung, während die physikalischen Gesetze grade auf
strengster mathematischer Berechnung beruhen. Die organischen Wesen sind
freilich in so weit zweckmäßig organistrt, daß sie eristiren können; dies ist aber
auch der einzige, nothwendige und doch nur theilweise nachweisbare Zweck
ihrer Organisation. Von einer Berechnung auf einen und denselben Plan
weiß die Naturwissenschaft noch so wenig, daß sie Stahl sehr dankbar für wei¬
tere Aufklärung sein würde; er umgibt sie hier mit unverdienten Nimbus.
Kaum ist er dann von der zweckmäßigen Organisation der einzelnen organi¬
schen Wesen auf einen allgemeinen Plan der Schöpfung übergesprungen, so
macht er ein neues quick pro quo und spricht von Absicht, und da scheint
ihm dann das Bewußtsein und die Persönlichkeit nicht mehr fehlen zu dürfen.
Diese bekannte Art sophistischer Argumentation paßt vielleicht für einen Advo-
caten, aber nicht für ein Mitglied des Oberkirchenrathcs, welches die Existenz
Gottes nachweisen will. Stahl möge sich doch nur einmal besinnen! Die
Naturwissenschaft gibt keinen Beweis, weder für, noch gegen die Existenz Gottes,


personificirte Naturwissenschaft. Aber wenn auch wirklich diese allegorische
Person auf einen andern Stern hinüberführe, so würde sie dadurch, den naiven
Voraussetzungen Stahls zum Trotz, dem Himmlischen und dem Himmel kein
Haarbreit näher gekommen sein. Sie hat also gar nicht nöthig, sich darum
zu bemühen und kann die müßigen Reden Stahls um so mehr auf sich be¬
ruhen lassen, da ja nach dessen eigenem Eingeständniß gar nicht sie, sondern
eine schwache Speculation ohne naturwissenschaftliche Begründung das Ewige
und Himmlische angetastet hat.

Diesem Ausfalle läßt Stahl zwei „populäre ar^umenta ac> Kominsm"
folgen. ,,Das Eine, sagt er, was den Materialismus, gleich wie die panthei-
stische Auffassungsweise widerlegt, ist die Zweckmäßigkeit, welche thatsächlich
durch die ganze Schöpfung geht. Mag man sich einbilden, daß durch die
eigenthümliche Structur aller körperlichen Organe das Denken producirt wird,
wer hat denn diese eigenthümliche Structur gemacht? Soll das selbst kein be¬
absichtigter Zweck, sondern nur Folge eines Gesetzes und seiner Mechanik sein?
Oder nehme man die geringste Pflanze, das geringste Thier, wie ist da alles
aus den Zweck berechnet. Das Thier hat Verdauungswerkzeuge für bestimmte
Nahrung, Krallen und Gebiß für eben diese Nahrung eingerichtet. Woher
denn diese Berechnung auf einen und denselben Plan? Wo Absicht, Plan,
Berechnung auf einen Zweck ist, da steht ein höherer bewußter Geist darüber,
der das gemacht hat. Das bloße Gesetz hat nicht Plan und Berechnung.

Die Naturwissenschaft soll sich nicht erdreisten, über himmlische Dinge zu
reden, aber Stahl darf sich erlauben, aus der Naturwissenschaft ein Argument
für die Existenz des persönlichen Gottes abzuleiten. Und diese Ableitung ge¬
lingt ihm überdies nur durch Rabulistik und Unwissenheit. Das Gesetz, meint
er, habe keine Berechnung, während die physikalischen Gesetze grade auf
strengster mathematischer Berechnung beruhen. Die organischen Wesen sind
freilich in so weit zweckmäßig organistrt, daß sie eristiren können; dies ist aber
auch der einzige, nothwendige und doch nur theilweise nachweisbare Zweck
ihrer Organisation. Von einer Berechnung auf einen und denselben Plan
weiß die Naturwissenschaft noch so wenig, daß sie Stahl sehr dankbar für wei¬
tere Aufklärung sein würde; er umgibt sie hier mit unverdienten Nimbus.
Kaum ist er dann von der zweckmäßigen Organisation der einzelnen organi¬
schen Wesen auf einen allgemeinen Plan der Schöpfung übergesprungen, so
macht er ein neues quick pro quo und spricht von Absicht, und da scheint
ihm dann das Bewußtsein und die Persönlichkeit nicht mehr fehlen zu dürfen.
Diese bekannte Art sophistischer Argumentation paßt vielleicht für einen Advo-
caten, aber nicht für ein Mitglied des Oberkirchenrathcs, welches die Existenz
Gottes nachweisen will. Stahl möge sich doch nur einmal besinnen! Die
Naturwissenschaft gibt keinen Beweis, weder für, noch gegen die Existenz Gottes,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/396>, abgerufen am 23.07.2024.