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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Gründung von Zeitschriften mit populärem naturwissenschaftlichem Inhalte
u. tgi., ferner die Thätigkeit der inneren Mission, namentlich auf Universitäten
und in Fabriken und endlich den Gebrauch des "Schwertes des Geistes,
welches ist das Wort Gottes" auf der Kanzel, auf dem Markte und in der
Presse. Bei dieser Gelegenheit verliert sich dann der Redner ziemlich in Phra¬
sen; er will den Kampf mit den ärgsten Gemeinplätzen führen, aber in der
Kraft Jesu Christi u. s. w. Da er aber schwerlich ernstlich beabsichtigen wird,
dies buchstäblich auszuführen, z. B. auf den Marktplätzen in den ärgsten Ge¬
meinplätzen gegen den Materialismus zu donnern, so wollen wir alle solche
Redensarten nur als einen allgemeinen Ausdruck seines Eifers betrachten.
Unter dieser Voraussetzung werden die Leser zugestehen, daß seine Ansichten
und Vorschläge im Ganzen verständig sind und daß, vernünftig betrieben, der
Kampf der Geistlichen gegen den Materialismus von der Kanzel und in der
Presse nicht allein ein berechtigter, sondern auch ein heilsamer sein würde.

Zum Schlüsse wendete sich der Redner gegen die wissenschaftliche Theologie
und fordert im Wesentlichen von derselben, daß sie sich von den übrigen
Wissenschaften nicht ferner isoliren, sondern sie sich aneignen, Wissen und
Glauben zu inniger Durchdringung bringen solle. "Wir müssen, sagt er, nicht
nur der formellen Bildungselemente mächtig zu sein suchen, wir müssen auch
mit der Sprache der Gegenwart in der Auslegung des Schriftwortes jene
psychologische Evidenz wieder zu gewinnen trachten, welche mit unwidersprech-
licher Gewißheit die Herzen überführt, daß das Wort Gottes Wahrheit ist."
Es scheint uns ein gutes Zeichen, daß Fabri den Mangel an psychologischer
Evidenz in der Betrachtungsweise seiner Glaubensgenossen einsteht, da derselbe,
wie wir schon früher gegen ihn selbst nachgewiesen haben, in der That sehr
bedeutend ist.

Bei aller Verständigkeit kann es Fabri indessen doch nicht lassen, allerlei
sonderbare Seitenhiebe auf die Naturforscher, auf deren Autorität er sich doch
gelegentlich selbst beruft, zu versuchen. Ans einigen Hochschulen, erzählt er
uns, vermieden die Lehrer der Naturwissenschaft und der Medicin, nicht etwa
infolge von Verabredung, vielleicht sogar ohne jede bestimmte und bewußte Ab¬
sicht, sondern blos in einfacher Konsequenz der herrschenden Vergötterung der
reinen Empirie den Ausdruck "sterben" gänzlich und sagten statt dessen "zu
Grunde gehen" oder höchstens "letaler Ausgang"; so bildete sich, meint er,
in der Stille eine nem, materialistische Terminologie aus. Natürlich sind das
Hirngespinste und jedenfalls sind die Mediciner viel zu schlechte Synonymiker,
um bei dem einen Ausdruck etwas Anderes zu denken, als bei dem anderen.*)



Vielleicht liegt der Fabel die Neigung einiger Pathologe" zum falschen Pathos zu
Grunde; diese pflege" wol ihren Vortrag mit jenen mehr tönende" Ausdrücke" auszu-
Vrenjvoten. IV. ISött.

Gründung von Zeitschriften mit populärem naturwissenschaftlichem Inhalte
u. tgi., ferner die Thätigkeit der inneren Mission, namentlich auf Universitäten
und in Fabriken und endlich den Gebrauch des „Schwertes des Geistes,
welches ist das Wort Gottes" auf der Kanzel, auf dem Markte und in der
Presse. Bei dieser Gelegenheit verliert sich dann der Redner ziemlich in Phra¬
sen; er will den Kampf mit den ärgsten Gemeinplätzen führen, aber in der
Kraft Jesu Christi u. s. w. Da er aber schwerlich ernstlich beabsichtigen wird,
dies buchstäblich auszuführen, z. B. auf den Marktplätzen in den ärgsten Ge¬
meinplätzen gegen den Materialismus zu donnern, so wollen wir alle solche
Redensarten nur als einen allgemeinen Ausdruck seines Eifers betrachten.
Unter dieser Voraussetzung werden die Leser zugestehen, daß seine Ansichten
und Vorschläge im Ganzen verständig sind und daß, vernünftig betrieben, der
Kampf der Geistlichen gegen den Materialismus von der Kanzel und in der
Presse nicht allein ein berechtigter, sondern auch ein heilsamer sein würde.

Zum Schlüsse wendete sich der Redner gegen die wissenschaftliche Theologie
und fordert im Wesentlichen von derselben, daß sie sich von den übrigen
Wissenschaften nicht ferner isoliren, sondern sie sich aneignen, Wissen und
Glauben zu inniger Durchdringung bringen solle. „Wir müssen, sagt er, nicht
nur der formellen Bildungselemente mächtig zu sein suchen, wir müssen auch
mit der Sprache der Gegenwart in der Auslegung des Schriftwortes jene
psychologische Evidenz wieder zu gewinnen trachten, welche mit unwidersprech-
licher Gewißheit die Herzen überführt, daß das Wort Gottes Wahrheit ist."
Es scheint uns ein gutes Zeichen, daß Fabri den Mangel an psychologischer
Evidenz in der Betrachtungsweise seiner Glaubensgenossen einsteht, da derselbe,
wie wir schon früher gegen ihn selbst nachgewiesen haben, in der That sehr
bedeutend ist.

Bei aller Verständigkeit kann es Fabri indessen doch nicht lassen, allerlei
sonderbare Seitenhiebe auf die Naturforscher, auf deren Autorität er sich doch
gelegentlich selbst beruft, zu versuchen. Ans einigen Hochschulen, erzählt er
uns, vermieden die Lehrer der Naturwissenschaft und der Medicin, nicht etwa
infolge von Verabredung, vielleicht sogar ohne jede bestimmte und bewußte Ab¬
sicht, sondern blos in einfacher Konsequenz der herrschenden Vergötterung der
reinen Empirie den Ausdruck „sterben" gänzlich und sagten statt dessen „zu
Grunde gehen" oder höchstens „letaler Ausgang"; so bildete sich, meint er,
in der Stille eine nem, materialistische Terminologie aus. Natürlich sind das
Hirngespinste und jedenfalls sind die Mediciner viel zu schlechte Synonymiker,
um bei dem einen Ausdruck etwas Anderes zu denken, als bei dem anderen.*)



Vielleicht liegt der Fabel die Neigung einiger Pathologe» zum falschen Pathos zu
Grunde; diese pflege» wol ihren Vortrag mit jenen mehr tönende» Ausdrücke» auszu-
Vrenjvoten. IV. ISött.
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[0393] Gründung von Zeitschriften mit populärem naturwissenschaftlichem Inhalte u. tgi., ferner die Thätigkeit der inneren Mission, namentlich auf Universitäten und in Fabriken und endlich den Gebrauch des „Schwertes des Geistes, welches ist das Wort Gottes" auf der Kanzel, auf dem Markte und in der Presse. Bei dieser Gelegenheit verliert sich dann der Redner ziemlich in Phra¬ sen; er will den Kampf mit den ärgsten Gemeinplätzen führen, aber in der Kraft Jesu Christi u. s. w. Da er aber schwerlich ernstlich beabsichtigen wird, dies buchstäblich auszuführen, z. B. auf den Marktplätzen in den ärgsten Ge¬ meinplätzen gegen den Materialismus zu donnern, so wollen wir alle solche Redensarten nur als einen allgemeinen Ausdruck seines Eifers betrachten. Unter dieser Voraussetzung werden die Leser zugestehen, daß seine Ansichten und Vorschläge im Ganzen verständig sind und daß, vernünftig betrieben, der Kampf der Geistlichen gegen den Materialismus von der Kanzel und in der Presse nicht allein ein berechtigter, sondern auch ein heilsamer sein würde. Zum Schlüsse wendete sich der Redner gegen die wissenschaftliche Theologie und fordert im Wesentlichen von derselben, daß sie sich von den übrigen Wissenschaften nicht ferner isoliren, sondern sie sich aneignen, Wissen und Glauben zu inniger Durchdringung bringen solle. „Wir müssen, sagt er, nicht nur der formellen Bildungselemente mächtig zu sein suchen, wir müssen auch mit der Sprache der Gegenwart in der Auslegung des Schriftwortes jene psychologische Evidenz wieder zu gewinnen trachten, welche mit unwidersprech- licher Gewißheit die Herzen überführt, daß das Wort Gottes Wahrheit ist." Es scheint uns ein gutes Zeichen, daß Fabri den Mangel an psychologischer Evidenz in der Betrachtungsweise seiner Glaubensgenossen einsteht, da derselbe, wie wir schon früher gegen ihn selbst nachgewiesen haben, in der That sehr bedeutend ist. Bei aller Verständigkeit kann es Fabri indessen doch nicht lassen, allerlei sonderbare Seitenhiebe auf die Naturforscher, auf deren Autorität er sich doch gelegentlich selbst beruft, zu versuchen. Ans einigen Hochschulen, erzählt er uns, vermieden die Lehrer der Naturwissenschaft und der Medicin, nicht etwa infolge von Verabredung, vielleicht sogar ohne jede bestimmte und bewußte Ab¬ sicht, sondern blos in einfacher Konsequenz der herrschenden Vergötterung der reinen Empirie den Ausdruck „sterben" gänzlich und sagten statt dessen „zu Grunde gehen" oder höchstens „letaler Ausgang"; so bildete sich, meint er, in der Stille eine nem, materialistische Terminologie aus. Natürlich sind das Hirngespinste und jedenfalls sind die Mediciner viel zu schlechte Synonymiker, um bei dem einen Ausdruck etwas Anderes zu denken, als bei dem anderen.*) Vielleicht liegt der Fabel die Neigung einiger Pathologe» zum falschen Pathos zu Grunde; diese pflege» wol ihren Vortrag mit jenen mehr tönende» Ausdrücke» auszu- Vrenjvoten. IV. ISött.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/393>, abgerufen am 23.07.2024.