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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Einmal hat sie zuweilen vergessen, daß es nur ein einziges Organ des
Denkens gibt, die Sprache, und daß man sich diese Sprache nicht selbst machen
kann, sondern sie mit ihrem Wörtervorrath und ihren Gesetzen hinnehmen muß,
wie sie gegeben ist. Das haben jene Männer verkannt, indem sie ein Wörter¬
buch, eine Etymologie und Syntar erfanden, die von dem Wörterbuch, der
Etymologie und Syntar der deutschen Sprache himmelweit entfernt waren. Sie
haben in dieser selbsterfundenen Sprache äußerst merkwürdige Entdeckungen
gemacht, in Beziehung auf den Himmel wie auf die Erde, und man hatte
eine große Freude darüber, so lange sich eine ziemliche Anzahl von Schülern
fand, die diese Sprache erlernten und der unwissenden Masse die Versicherung
geben konnten, es seien äußerst merkwürdige Dinge darin ausgedrückt. Aber
diese anticipirende Genugthuung muß endlich einmal ein Ende nehmen, da das
Publicum sich nicht erwehren kann, nach den Resultaten jener Entdeckungen
zu fragen. Die andern Wissenschaften bedienen sich freilich auch einer Kunst¬
sprache, aber ihre neuerfundenen Worte sind stets die Ausdrücke für bestimmte
concrete Begriffe, und wenn der Purist sich gegen die negativen Potenzen und
die irrationeller Wurzeln auflehnt, so lange er nicht weiß, was damit gemeint
ist, so wird er augenblicklich zum Schweigen gebracht, wenn man ihm die Be¬
rechtigung jener Kunstausdrücke -ick oculos demonstrirt d. h. wenn die ange¬
wandte Mathematik ihm zeigt, daß man durch jenen Schlüssel die geheimsten
Werkstätten des Weltalls ausschließt und den Inhalt derselben für den allge¬
meinen Nutzen verwerthet. Als die Philosophie dagegen Rechenschaft ablegen
sollte, und zu diesem Zweck sich der schwierigen Aufgabe unterzog, ihre Lehren
aus der selbsterfundenen Sprache ins Deutsche zu übersetzen, kam sie in die
größte Verlegenheit, denn die wenigen positiven Resultate, die sie vorzeigen
konnte, standen nicht im entferntesten Verhältniß zu ihren frühern Verhei¬
ßungen, und je zuversichtlicher und anmaßender sich früher die Eingeweihten
geberdet hatten, desto reichlicher ernteten sie jetzt Spott und Schande ein. --
Der Grund jener seltsamen Verirrung lag theils in den alten scholastischen
Ueberlieferungen, die man nicht ohne weiteres los werden konnte, hauptsächlich
aber in der vermessenen Ueberhebung der Genialität über den gemeinen Ver¬
stand, die für jene Zeit charakteristisch war. Aus Verachtung gegen die soge¬
nannte populäre Philosophie, die nur dasselbe sagte, was alle Welt ohnehin
wußte, bemühte man sich, so unpopulär als möglich zu sein d. h. entweder
wirklich etwas Anderes zu sagen, als die andern sagten,, oder es wenigstens
so auszudrücken, daß es anders aussah. -- Diese" Fehler wird die neue
Philosophie vermeiden müssen. Sie wird sich zwar nicht beikommen lassen, der
Menge, zu Munde zu reden, aber sie wird sich dazu verstehen, den Gesetzen
der Sprache zu folgen, weil sie sonst nicht etwas Uebersinnliches, sondern Un¬
sinn ausdrückt; und sie wird nur solche Kunstausdrücke anwenden, die sie ver-


Einmal hat sie zuweilen vergessen, daß es nur ein einziges Organ des
Denkens gibt, die Sprache, und daß man sich diese Sprache nicht selbst machen
kann, sondern sie mit ihrem Wörtervorrath und ihren Gesetzen hinnehmen muß,
wie sie gegeben ist. Das haben jene Männer verkannt, indem sie ein Wörter¬
buch, eine Etymologie und Syntar erfanden, die von dem Wörterbuch, der
Etymologie und Syntar der deutschen Sprache himmelweit entfernt waren. Sie
haben in dieser selbsterfundenen Sprache äußerst merkwürdige Entdeckungen
gemacht, in Beziehung auf den Himmel wie auf die Erde, und man hatte
eine große Freude darüber, so lange sich eine ziemliche Anzahl von Schülern
fand, die diese Sprache erlernten und der unwissenden Masse die Versicherung
geben konnten, es seien äußerst merkwürdige Dinge darin ausgedrückt. Aber
diese anticipirende Genugthuung muß endlich einmal ein Ende nehmen, da das
Publicum sich nicht erwehren kann, nach den Resultaten jener Entdeckungen
zu fragen. Die andern Wissenschaften bedienen sich freilich auch einer Kunst¬
sprache, aber ihre neuerfundenen Worte sind stets die Ausdrücke für bestimmte
concrete Begriffe, und wenn der Purist sich gegen die negativen Potenzen und
die irrationeller Wurzeln auflehnt, so lange er nicht weiß, was damit gemeint
ist, so wird er augenblicklich zum Schweigen gebracht, wenn man ihm die Be¬
rechtigung jener Kunstausdrücke -ick oculos demonstrirt d. h. wenn die ange¬
wandte Mathematik ihm zeigt, daß man durch jenen Schlüssel die geheimsten
Werkstätten des Weltalls ausschließt und den Inhalt derselben für den allge¬
meinen Nutzen verwerthet. Als die Philosophie dagegen Rechenschaft ablegen
sollte, und zu diesem Zweck sich der schwierigen Aufgabe unterzog, ihre Lehren
aus der selbsterfundenen Sprache ins Deutsche zu übersetzen, kam sie in die
größte Verlegenheit, denn die wenigen positiven Resultate, die sie vorzeigen
konnte, standen nicht im entferntesten Verhältniß zu ihren frühern Verhei¬
ßungen, und je zuversichtlicher und anmaßender sich früher die Eingeweihten
geberdet hatten, desto reichlicher ernteten sie jetzt Spott und Schande ein. —
Der Grund jener seltsamen Verirrung lag theils in den alten scholastischen
Ueberlieferungen, die man nicht ohne weiteres los werden konnte, hauptsächlich
aber in der vermessenen Ueberhebung der Genialität über den gemeinen Ver¬
stand, die für jene Zeit charakteristisch war. Aus Verachtung gegen die soge¬
nannte populäre Philosophie, die nur dasselbe sagte, was alle Welt ohnehin
wußte, bemühte man sich, so unpopulär als möglich zu sein d. h. entweder
wirklich etwas Anderes zu sagen, als die andern sagten,, oder es wenigstens
so auszudrücken, daß es anders aussah. — Diese» Fehler wird die neue
Philosophie vermeiden müssen. Sie wird sich zwar nicht beikommen lassen, der
Menge, zu Munde zu reden, aber sie wird sich dazu verstehen, den Gesetzen
der Sprache zu folgen, weil sie sonst nicht etwas Uebersinnliches, sondern Un¬
sinn ausdrückt; und sie wird nur solche Kunstausdrücke anwenden, die sie ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/381>, abgerufen am 23.07.2024.