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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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bürg liebe, natürlich eine von den Bekannten des Hauses, lind auch diese
Liebesaiigelegenheit wird von dem Vater mit warmer Theilnahme, aber immer
als eine ernste Negociation, welche sehr vorsichtig und zart angegriffen werden
müsse, behandelt. Offenbar ist das Bestreben des Vaters, die Werbung und
Erklärung hinauszuschieben, bis der Sohn seine Jahre in der Fremde aus¬
gehalten habe, und mit sehr diplomatischem Takt geht er grade so weit aus
die Wünsche des Sohnes ein, um das Vertrauen desselben zu erhalten.

Vielleicht am meisten bezeichnend für jene Zeit aber sind die Rathschläge,
welche der Vater dem Sohne über die Nothwendigkeit gibt, sich in die Ge¬
wohnheiten der Fremde zu schicken. Der Sohn ist ein frommer, eifriger Pro¬
testant, dessen Gewissen sehr dadurch beunruhigt wird, daß er unter strengen
Katholiken leben und sich in die für ihn sehr bedenklichen Gebräuche des katho¬
lischen Landes fügen soll. Was der Vater ihm darüber schreibt, sei ans den
ersten Briefen mit den geringen Veränderungen, welche zum leichtern Verständ¬
niß nöthig sind, mitgetheilt.


Geliebter Sohn!

Heut vor acht Tagen war mein letzter Nathsgang bei dieser meiner Re¬
gierung für dieses Jahr und schickte ich den Nachmittag nach dem Posthause
und ließ vernehmen, ob die hispanischen Briefe angekommen, bekam aber zur
Antwort, nein. Den folgenden Tag, am Sonnabend zu Mittag sandte mir
Herr Vrindts durch seinen Diener Dein Schreiben vom 11/21 noch währen¬
den Monats. So viel Dein Schreiben anbelangt, so ist es uns allen zuvör¬
derst erfreulich, daß Du Dich, Gott Lob, bei guter Leibesdisposttion befindest,
welches eine große Wohlthat Gottes ist, und dann, daß Du mit Deinem
Compagnon wohlvergnügt, wofür Du ebenfalls Gott dem Herrn zu danken
hast, daß Du in der Fremde einen so ehrlichen und Dir wohlwollenden Men¬
schen angetroffen hast. Gott lasse Euch fernerhin in Friede und Einigkeit, auch
einem gesunden und wohlgesegneten Stande eure Zeit, bis Du, beliebt es
Gott, repatriiren wirst, mit allem Vergnügen zubringen. Sonsten habe in
Verlesung Deines Schreibens angemerkt, daß Dir der Ort Lissabon und die
Einwohner, so geistliche als weltliche, noch nicht allerdings anständig, und Du
Dich in Deinen jetzigen Stand noch nicht rechr finden könnest, daher ich denn
Noch einige Ungeduld von Dir verspüre. Aber das kann nicht wol anders
sein, daß Dir die Veränderung zwischen Hamburg und Lissabon, jener und
dieser Einwohner und Sitten, jener und dieser Geberde und sonsten, nicht
sollte mit Befremden, ja fast mit Bestürzung und Alteration vorkommen, aber
Du mußt wissen, daß Du in diesem passu alldorten und an andern Orten
gar viel Vorgänger hast gehabt, denen es also ergangen und denen die große
Veränderung in allen Dingen und in Religionssachen sehr befremdet vorgekommen.

Im lateinischen Sprichwort pflegt man zu sagen: xost indita ?twedu8,


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bürg liebe, natürlich eine von den Bekannten des Hauses, lind auch diese
Liebesaiigelegenheit wird von dem Vater mit warmer Theilnahme, aber immer
als eine ernste Negociation, welche sehr vorsichtig und zart angegriffen werden
müsse, behandelt. Offenbar ist das Bestreben des Vaters, die Werbung und
Erklärung hinauszuschieben, bis der Sohn seine Jahre in der Fremde aus¬
gehalten habe, und mit sehr diplomatischem Takt geht er grade so weit aus
die Wünsche des Sohnes ein, um das Vertrauen desselben zu erhalten.

Vielleicht am meisten bezeichnend für jene Zeit aber sind die Rathschläge,
welche der Vater dem Sohne über die Nothwendigkeit gibt, sich in die Ge¬
wohnheiten der Fremde zu schicken. Der Sohn ist ein frommer, eifriger Pro¬
testant, dessen Gewissen sehr dadurch beunruhigt wird, daß er unter strengen
Katholiken leben und sich in die für ihn sehr bedenklichen Gebräuche des katho¬
lischen Landes fügen soll. Was der Vater ihm darüber schreibt, sei ans den
ersten Briefen mit den geringen Veränderungen, welche zum leichtern Verständ¬
niß nöthig sind, mitgetheilt.


Geliebter Sohn!

Heut vor acht Tagen war mein letzter Nathsgang bei dieser meiner Re¬
gierung für dieses Jahr und schickte ich den Nachmittag nach dem Posthause
und ließ vernehmen, ob die hispanischen Briefe angekommen, bekam aber zur
Antwort, nein. Den folgenden Tag, am Sonnabend zu Mittag sandte mir
Herr Vrindts durch seinen Diener Dein Schreiben vom 11/21 noch währen¬
den Monats. So viel Dein Schreiben anbelangt, so ist es uns allen zuvör¬
derst erfreulich, daß Du Dich, Gott Lob, bei guter Leibesdisposttion befindest,
welches eine große Wohlthat Gottes ist, und dann, daß Du mit Deinem
Compagnon wohlvergnügt, wofür Du ebenfalls Gott dem Herrn zu danken
hast, daß Du in der Fremde einen so ehrlichen und Dir wohlwollenden Men¬
schen angetroffen hast. Gott lasse Euch fernerhin in Friede und Einigkeit, auch
einem gesunden und wohlgesegneten Stande eure Zeit, bis Du, beliebt es
Gott, repatriiren wirst, mit allem Vergnügen zubringen. Sonsten habe in
Verlesung Deines Schreibens angemerkt, daß Dir der Ort Lissabon und die
Einwohner, so geistliche als weltliche, noch nicht allerdings anständig, und Du
Dich in Deinen jetzigen Stand noch nicht rechr finden könnest, daher ich denn
Noch einige Ungeduld von Dir verspüre. Aber das kann nicht wol anders
sein, daß Dir die Veränderung zwischen Hamburg und Lissabon, jener und
dieser Einwohner und Sitten, jener und dieser Geberde und sonsten, nicht
sollte mit Befremden, ja fast mit Bestürzung und Alteration vorkommen, aber
Du mußt wissen, daß Du in diesem passu alldorten und an andern Orten
gar viel Vorgänger hast gehabt, denen es also ergangen und denen die große
Veränderung in allen Dingen und in Religionssachen sehr befremdet vorgekommen.

Im lateinischen Sprichwort pflegt man zu sagen: xost indita ?twedu8,


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[0355] bürg liebe, natürlich eine von den Bekannten des Hauses, lind auch diese Liebesaiigelegenheit wird von dem Vater mit warmer Theilnahme, aber immer als eine ernste Negociation, welche sehr vorsichtig und zart angegriffen werden müsse, behandelt. Offenbar ist das Bestreben des Vaters, die Werbung und Erklärung hinauszuschieben, bis der Sohn seine Jahre in der Fremde aus¬ gehalten habe, und mit sehr diplomatischem Takt geht er grade so weit aus die Wünsche des Sohnes ein, um das Vertrauen desselben zu erhalten. Vielleicht am meisten bezeichnend für jene Zeit aber sind die Rathschläge, welche der Vater dem Sohne über die Nothwendigkeit gibt, sich in die Ge¬ wohnheiten der Fremde zu schicken. Der Sohn ist ein frommer, eifriger Pro¬ testant, dessen Gewissen sehr dadurch beunruhigt wird, daß er unter strengen Katholiken leben und sich in die für ihn sehr bedenklichen Gebräuche des katho¬ lischen Landes fügen soll. Was der Vater ihm darüber schreibt, sei ans den ersten Briefen mit den geringen Veränderungen, welche zum leichtern Verständ¬ niß nöthig sind, mitgetheilt. Geliebter Sohn! Heut vor acht Tagen war mein letzter Nathsgang bei dieser meiner Re¬ gierung für dieses Jahr und schickte ich den Nachmittag nach dem Posthause und ließ vernehmen, ob die hispanischen Briefe angekommen, bekam aber zur Antwort, nein. Den folgenden Tag, am Sonnabend zu Mittag sandte mir Herr Vrindts durch seinen Diener Dein Schreiben vom 11/21 noch währen¬ den Monats. So viel Dein Schreiben anbelangt, so ist es uns allen zuvör¬ derst erfreulich, daß Du Dich, Gott Lob, bei guter Leibesdisposttion befindest, welches eine große Wohlthat Gottes ist, und dann, daß Du mit Deinem Compagnon wohlvergnügt, wofür Du ebenfalls Gott dem Herrn zu danken hast, daß Du in der Fremde einen so ehrlichen und Dir wohlwollenden Men¬ schen angetroffen hast. Gott lasse Euch fernerhin in Friede und Einigkeit, auch einem gesunden und wohlgesegneten Stande eure Zeit, bis Du, beliebt es Gott, repatriiren wirst, mit allem Vergnügen zubringen. Sonsten habe in Verlesung Deines Schreibens angemerkt, daß Dir der Ort Lissabon und die Einwohner, so geistliche als weltliche, noch nicht allerdings anständig, und Du Dich in Deinen jetzigen Stand noch nicht rechr finden könnest, daher ich denn Noch einige Ungeduld von Dir verspüre. Aber das kann nicht wol anders sein, daß Dir die Veränderung zwischen Hamburg und Lissabon, jener und dieser Einwohner und Sitten, jener und dieser Geberde und sonsten, nicht sollte mit Befremden, ja fast mit Bestürzung und Alteration vorkommen, aber Du mußt wissen, daß Du in diesem passu alldorten und an andern Orten gar viel Vorgänger hast gehabt, denen es also ergangen und denen die große Veränderung in allen Dingen und in Religionssachen sehr befremdet vorgekommen. Im lateinischen Sprichwort pflegt man zu sagen: xost indita ?twedu8, 44*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/355>, abgerufen am 23.07.2024.