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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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folgenden unter schwierigerer Lage für Preußens Stellung in Deutschland ge¬
kämpft hat, als die Kreuzzeitung, soll dies gesagt werden: Die Aeußerungen
des Hasses und der Antipathie gegen die Demokraten des Jahres i-8 werden
nachgrade lächerlich und abgeschmackt. Was wir seit der Zeit erlebt haben,
hat thatsächlich eine ganz neue Bildung und veränderte Betrachtung politischer
Verhältnisse in die Seelen aller gebracht, mögen sie sich conservativ oder libe¬
ral nennen. Sehr wenige von den Konservativen haben ein Recht, mit Selbst¬
gefühl auf das Jahr t8 zurückzusehen, bei weitem die meisten Mitglieder grade
dieser Partei haben in dem verhängnißvollen Jahre eine große Unsicherheit
ihrer eignen Ueberzeugung, Niederlagen, die sie durch ihre eigne Kraftlosigkeit
erfuhren, und Demüthigungen, an denen ihr eigner Mangel an vernünftigen
politischen Grundsätzen schuld war, zu beklagen. Wenn sie deshalb jetzt einen
Haß gegen die demokratische Vergangenheit anderer zur Schau tragen, so er¬
wecken sie bei allen Verständigen in und außerhalb Deutschlands den dringen¬
den Verdacht, daß sie damit ihre eigne haltlose Vergangenheit anfeinden und
verfolgen, und eine unedle und gemeine Rache für Demüthigungen ausüben,
welche sie sich damals selbst zugefügt haben. Ferner aber sollte jeder conser-
vative Mann in den letzten Jahren gelernt haben, daß unter seinen eignen
Parteigenossen keine geringe Zahl von gemeinen und unwürdige" Individuen
vorhanden ist und ebenso, daß unter den Frnctionen seiner Gegner keine ge¬
ringe Zahl hochachtbarer und vortrefflicher Menschen gefunden wird. Niemand
darf verlangen, daß wir alle erbärmlichen Gesellen, welche unter dem Namen
Demokraten im Jahre L8 Unheil gestiftet haben, jetzt als Männer von Ehre
und Charakter achten sollen, aber ebensowenig darf der Umstand, daß jemand
im Jahre 48 vielleicht nach harten Kämpfen mit sich selbst, in der Unsicher¬
heit aller Rechtsverhältnisse für Steuerverweigerung oder eine ähnliche politische
Maßregel gestimmt hat, noch ein Grund sein, daß Männer von sicherem
Selbstgefühl ihn als einen Paria betrachten. Wenn die Mitarbeiter der Kreuz¬
zeitung und ähnlicher Blätter einen solchen schwächlichen und weibischen Haß
nähren, so ist das in der Ordnung. Und die Strafe hat sie bereits erreicht,
denn sie sind schon jetzt in der unbequemen Lage, daß die große Majorität
der Preußen ihre kleinlichen Intriguen und ihre heuchlerische Devotion mit
demselben Widerwillen erträgt, mit welchem die Besonnenen im Jahre 18i8 die
Auswüchse der Demokratie verurtheilten.




folgenden unter schwierigerer Lage für Preußens Stellung in Deutschland ge¬
kämpft hat, als die Kreuzzeitung, soll dies gesagt werden: Die Aeußerungen
des Hasses und der Antipathie gegen die Demokraten des Jahres i-8 werden
nachgrade lächerlich und abgeschmackt. Was wir seit der Zeit erlebt haben,
hat thatsächlich eine ganz neue Bildung und veränderte Betrachtung politischer
Verhältnisse in die Seelen aller gebracht, mögen sie sich conservativ oder libe¬
ral nennen. Sehr wenige von den Konservativen haben ein Recht, mit Selbst¬
gefühl auf das Jahr t8 zurückzusehen, bei weitem die meisten Mitglieder grade
dieser Partei haben in dem verhängnißvollen Jahre eine große Unsicherheit
ihrer eignen Ueberzeugung, Niederlagen, die sie durch ihre eigne Kraftlosigkeit
erfuhren, und Demüthigungen, an denen ihr eigner Mangel an vernünftigen
politischen Grundsätzen schuld war, zu beklagen. Wenn sie deshalb jetzt einen
Haß gegen die demokratische Vergangenheit anderer zur Schau tragen, so er¬
wecken sie bei allen Verständigen in und außerhalb Deutschlands den dringen¬
den Verdacht, daß sie damit ihre eigne haltlose Vergangenheit anfeinden und
verfolgen, und eine unedle und gemeine Rache für Demüthigungen ausüben,
welche sie sich damals selbst zugefügt haben. Ferner aber sollte jeder conser-
vative Mann in den letzten Jahren gelernt haben, daß unter seinen eignen
Parteigenossen keine geringe Zahl von gemeinen und unwürdige» Individuen
vorhanden ist und ebenso, daß unter den Frnctionen seiner Gegner keine ge¬
ringe Zahl hochachtbarer und vortrefflicher Menschen gefunden wird. Niemand
darf verlangen, daß wir alle erbärmlichen Gesellen, welche unter dem Namen
Demokraten im Jahre L8 Unheil gestiftet haben, jetzt als Männer von Ehre
und Charakter achten sollen, aber ebensowenig darf der Umstand, daß jemand
im Jahre 48 vielleicht nach harten Kämpfen mit sich selbst, in der Unsicher¬
heit aller Rechtsverhältnisse für Steuerverweigerung oder eine ähnliche politische
Maßregel gestimmt hat, noch ein Grund sein, daß Männer von sicherem
Selbstgefühl ihn als einen Paria betrachten. Wenn die Mitarbeiter der Kreuz¬
zeitung und ähnlicher Blätter einen solchen schwächlichen und weibischen Haß
nähren, so ist das in der Ordnung. Und die Strafe hat sie bereits erreicht,
denn sie sind schon jetzt in der unbequemen Lage, daß die große Majorität
der Preußen ihre kleinlichen Intriguen und ihre heuchlerische Devotion mit
demselben Widerwillen erträgt, mit welchem die Besonnenen im Jahre 18i8 die
Auswüchse der Demokratie verurtheilten.




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[0351] folgenden unter schwierigerer Lage für Preußens Stellung in Deutschland ge¬ kämpft hat, als die Kreuzzeitung, soll dies gesagt werden: Die Aeußerungen des Hasses und der Antipathie gegen die Demokraten des Jahres i-8 werden nachgrade lächerlich und abgeschmackt. Was wir seit der Zeit erlebt haben, hat thatsächlich eine ganz neue Bildung und veränderte Betrachtung politischer Verhältnisse in die Seelen aller gebracht, mögen sie sich conservativ oder libe¬ ral nennen. Sehr wenige von den Konservativen haben ein Recht, mit Selbst¬ gefühl auf das Jahr t8 zurückzusehen, bei weitem die meisten Mitglieder grade dieser Partei haben in dem verhängnißvollen Jahre eine große Unsicherheit ihrer eignen Ueberzeugung, Niederlagen, die sie durch ihre eigne Kraftlosigkeit erfuhren, und Demüthigungen, an denen ihr eigner Mangel an vernünftigen politischen Grundsätzen schuld war, zu beklagen. Wenn sie deshalb jetzt einen Haß gegen die demokratische Vergangenheit anderer zur Schau tragen, so er¬ wecken sie bei allen Verständigen in und außerhalb Deutschlands den dringen¬ den Verdacht, daß sie damit ihre eigne haltlose Vergangenheit anfeinden und verfolgen, und eine unedle und gemeine Rache für Demüthigungen ausüben, welche sie sich damals selbst zugefügt haben. Ferner aber sollte jeder conser- vative Mann in den letzten Jahren gelernt haben, daß unter seinen eignen Parteigenossen keine geringe Zahl von gemeinen und unwürdige» Individuen vorhanden ist und ebenso, daß unter den Frnctionen seiner Gegner keine ge¬ ringe Zahl hochachtbarer und vortrefflicher Menschen gefunden wird. Niemand darf verlangen, daß wir alle erbärmlichen Gesellen, welche unter dem Namen Demokraten im Jahre L8 Unheil gestiftet haben, jetzt als Männer von Ehre und Charakter achten sollen, aber ebensowenig darf der Umstand, daß jemand im Jahre 48 vielleicht nach harten Kämpfen mit sich selbst, in der Unsicher¬ heit aller Rechtsverhältnisse für Steuerverweigerung oder eine ähnliche politische Maßregel gestimmt hat, noch ein Grund sein, daß Männer von sicherem Selbstgefühl ihn als einen Paria betrachten. Wenn die Mitarbeiter der Kreuz¬ zeitung und ähnlicher Blätter einen solchen schwächlichen und weibischen Haß nähren, so ist das in der Ordnung. Und die Strafe hat sie bereits erreicht, denn sie sind schon jetzt in der unbequemen Lage, daß die große Majorität der Preußen ihre kleinlichen Intriguen und ihre heuchlerische Devotion mit demselben Widerwillen erträgt, mit welchem die Besonnenen im Jahre 18i8 die Auswüchse der Demokratie verurtheilten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/351>, abgerufen am 23.07.2024.