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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Landtag darauf eingehen wird), ein Modus gefunden wird, welcher diese große
Summe dem Flachlande wenig fühlbar macht, so steht dort in der That zu be¬
fürchten, daß nicht nur die Auswanderung ihre frühere Höhe wieder erreicht, son¬
dern auch in manchen Landstrichen ein Zustand eintritt, welcher sich von dem irlän¬
dischen wenig unterscheidet. Dies auch, nicht die Ablösungssumme an sich
oder trotzköpfige Principienreiterei war es, was bisher den Landtag das soge¬
nannte Sechsmillionengesetz mit solcher Konsequenz abweisen hieß.

Anders in Baiern und Hessen. Hier ist es die büreaukratische Gleich¬
macherei, welche namentlich in der Rheinpfalz und Oberhessen so erschreckende
AuSwanderungsergebnisse hervorrief. Man darf nicht vergessen, daß diese
Flut erst seit 1832, also nachdem die Nevolutionswirkungen im Volke längst
vorüber, aber freilich der Represstonsmuth der Bureaukratie immer stärker ge¬
worden war, derart gewachsen ist, um in der Pfalz die Bevölkerung binnen
drei Jahren um ein Sechsundfünfzigstel, in Oberhessen um ein Dreißigstel schwächer
zu machen. Die gouvernementale Praris, welche Baiern seit der Pacisication
der Rheinpfalz durch Preußen befolgt, hat ein Ansehen, welches mit dem rech¬
ten Namen zu bezeichnen unsere deutschen Preßzustände nicht gestatten. Wenn
also hier politische Verbitterung, weil ohne alle Aussicht auf die Gewähr selbst
der berechtigtsten Wünsche, mit allen Anliegen von Vorurtheilen in den ma߬
gebenden Kreisen empfangen, großentheils beherrscht durch eine aus Altbaiern
dorthin verpflanzte Bureaukratie, welche gleichsam von instinctiver Mißstimmung
geleitet wird und des Landes Art und Weise nicht versteht -- wenn hier die
politische Verbitterung weit mehr, denn materielle Noth als Hauptursache der
Auswanderung bezeichnet wird, so ist es allerdings erklärlich genug.

Aehnliche rheinische Gegensätze und gleichgeartete Verstimmungen machen
sich theilweise auch in Rheinhessen geltend gegen die moderne Regierungsweise
zu Darmstadt. Es liegt im dalwigkschen Regiment überhaupt häufig ein In
omnibus uti, Kavsria; und das wenig zusammenhängliche Verhältniß zwischen
Rheinhessen und der Residenzprovinz Starkenburg ist überdies grade so alt als
ihre politische Zusammengehörigkeit. Dennoch läßt sich nicht verkennen, daß
die darmstädtische Gouvernementalpraris in den linksrheinischen Landen bei
weitem milder, rücksichtsvoller und vorurtheilsfreier ist, als die baierische in
der Pfalz. Während dagegen in Baiern die unternommene Centralisation des
ganzen Königreichs sich aus einen bestimmten Volkskern und aus eine wirkliche
baierische Historie basirt, ist dies in Hessen-Darmstadt nicht der Fall. Der
ganze Staat ist rein dynastischen Ursprungs und Wuchses; auch trägt die Pro¬
vinz Starkenburg mit der künstlich aufgepflegten ehemaligen Residenz der Gra¬
fen von Katzenellenbogen an der Darm in sich die wenigsten Elemente, um
maßgebend auf das Land zu wirken. Sie ist weder dessen reichster Theil, noch


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Landtag darauf eingehen wird), ein Modus gefunden wird, welcher diese große
Summe dem Flachlande wenig fühlbar macht, so steht dort in der That zu be¬
fürchten, daß nicht nur die Auswanderung ihre frühere Höhe wieder erreicht, son¬
dern auch in manchen Landstrichen ein Zustand eintritt, welcher sich von dem irlän¬
dischen wenig unterscheidet. Dies auch, nicht die Ablösungssumme an sich
oder trotzköpfige Principienreiterei war es, was bisher den Landtag das soge¬
nannte Sechsmillionengesetz mit solcher Konsequenz abweisen hieß.

Anders in Baiern und Hessen. Hier ist es die büreaukratische Gleich¬
macherei, welche namentlich in der Rheinpfalz und Oberhessen so erschreckende
AuSwanderungsergebnisse hervorrief. Man darf nicht vergessen, daß diese
Flut erst seit 1832, also nachdem die Nevolutionswirkungen im Volke längst
vorüber, aber freilich der Represstonsmuth der Bureaukratie immer stärker ge¬
worden war, derart gewachsen ist, um in der Pfalz die Bevölkerung binnen
drei Jahren um ein Sechsundfünfzigstel, in Oberhessen um ein Dreißigstel schwächer
zu machen. Die gouvernementale Praris, welche Baiern seit der Pacisication
der Rheinpfalz durch Preußen befolgt, hat ein Ansehen, welches mit dem rech¬
ten Namen zu bezeichnen unsere deutschen Preßzustände nicht gestatten. Wenn
also hier politische Verbitterung, weil ohne alle Aussicht auf die Gewähr selbst
der berechtigtsten Wünsche, mit allen Anliegen von Vorurtheilen in den ma߬
gebenden Kreisen empfangen, großentheils beherrscht durch eine aus Altbaiern
dorthin verpflanzte Bureaukratie, welche gleichsam von instinctiver Mißstimmung
geleitet wird und des Landes Art und Weise nicht versteht — wenn hier die
politische Verbitterung weit mehr, denn materielle Noth als Hauptursache der
Auswanderung bezeichnet wird, so ist es allerdings erklärlich genug.

Aehnliche rheinische Gegensätze und gleichgeartete Verstimmungen machen
sich theilweise auch in Rheinhessen geltend gegen die moderne Regierungsweise
zu Darmstadt. Es liegt im dalwigkschen Regiment überhaupt häufig ein In
omnibus uti, Kavsria; und das wenig zusammenhängliche Verhältniß zwischen
Rheinhessen und der Residenzprovinz Starkenburg ist überdies grade so alt als
ihre politische Zusammengehörigkeit. Dennoch läßt sich nicht verkennen, daß
die darmstädtische Gouvernementalpraris in den linksrheinischen Landen bei
weitem milder, rücksichtsvoller und vorurtheilsfreier ist, als die baierische in
der Pfalz. Während dagegen in Baiern die unternommene Centralisation des
ganzen Königreichs sich aus einen bestimmten Volkskern und aus eine wirkliche
baierische Historie basirt, ist dies in Hessen-Darmstadt nicht der Fall. Der
ganze Staat ist rein dynastischen Ursprungs und Wuchses; auch trägt die Pro¬
vinz Starkenburg mit der künstlich aufgepflegten ehemaligen Residenz der Gra¬
fen von Katzenellenbogen an der Darm in sich die wenigsten Elemente, um
maßgebend auf das Land zu wirken. Sie ist weder dessen reichster Theil, noch


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[0035] Landtag darauf eingehen wird), ein Modus gefunden wird, welcher diese große Summe dem Flachlande wenig fühlbar macht, so steht dort in der That zu be¬ fürchten, daß nicht nur die Auswanderung ihre frühere Höhe wieder erreicht, son¬ dern auch in manchen Landstrichen ein Zustand eintritt, welcher sich von dem irlän¬ dischen wenig unterscheidet. Dies auch, nicht die Ablösungssumme an sich oder trotzköpfige Principienreiterei war es, was bisher den Landtag das soge¬ nannte Sechsmillionengesetz mit solcher Konsequenz abweisen hieß. Anders in Baiern und Hessen. Hier ist es die büreaukratische Gleich¬ macherei, welche namentlich in der Rheinpfalz und Oberhessen so erschreckende AuSwanderungsergebnisse hervorrief. Man darf nicht vergessen, daß diese Flut erst seit 1832, also nachdem die Nevolutionswirkungen im Volke längst vorüber, aber freilich der Represstonsmuth der Bureaukratie immer stärker ge¬ worden war, derart gewachsen ist, um in der Pfalz die Bevölkerung binnen drei Jahren um ein Sechsundfünfzigstel, in Oberhessen um ein Dreißigstel schwächer zu machen. Die gouvernementale Praris, welche Baiern seit der Pacisication der Rheinpfalz durch Preußen befolgt, hat ein Ansehen, welches mit dem rech¬ ten Namen zu bezeichnen unsere deutschen Preßzustände nicht gestatten. Wenn also hier politische Verbitterung, weil ohne alle Aussicht auf die Gewähr selbst der berechtigtsten Wünsche, mit allen Anliegen von Vorurtheilen in den ma߬ gebenden Kreisen empfangen, großentheils beherrscht durch eine aus Altbaiern dorthin verpflanzte Bureaukratie, welche gleichsam von instinctiver Mißstimmung geleitet wird und des Landes Art und Weise nicht versteht — wenn hier die politische Verbitterung weit mehr, denn materielle Noth als Hauptursache der Auswanderung bezeichnet wird, so ist es allerdings erklärlich genug. Aehnliche rheinische Gegensätze und gleichgeartete Verstimmungen machen sich theilweise auch in Rheinhessen geltend gegen die moderne Regierungsweise zu Darmstadt. Es liegt im dalwigkschen Regiment überhaupt häufig ein In omnibus uti, Kavsria; und das wenig zusammenhängliche Verhältniß zwischen Rheinhessen und der Residenzprovinz Starkenburg ist überdies grade so alt als ihre politische Zusammengehörigkeit. Dennoch läßt sich nicht verkennen, daß die darmstädtische Gouvernementalpraris in den linksrheinischen Landen bei weitem milder, rücksichtsvoller und vorurtheilsfreier ist, als die baierische in der Pfalz. Während dagegen in Baiern die unternommene Centralisation des ganzen Königreichs sich aus einen bestimmten Volkskern und aus eine wirkliche baierische Historie basirt, ist dies in Hessen-Darmstadt nicht der Fall. Der ganze Staat ist rein dynastischen Ursprungs und Wuchses; auch trägt die Pro¬ vinz Starkenburg mit der künstlich aufgepflegten ehemaligen Residenz der Gra¬ fen von Katzenellenbogen an der Darm in sich die wenigsten Elemente, um maßgebend auf das Land zu wirken. Sie ist weder dessen reichster Theil, noch 4*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/35>, abgerufen am 23.07.2024.