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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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erwachsenden Gefahren der weit größte Theil der Progressisten --, so mußte
man Marie Christine diesem Aeußersten entziehn. Diese Gründe machten sich
so gebieterisch geltend, daß Espartero, schwankend wie immer, und mit Aus¬
nahme Salazars ohne jede Unterstützung bei seinen Kollegen, sich ihnen fügen
mußte. Bei der Stimmung der untern Volksclassen Madrids konnte indeß
die Abreise der Königin Mutter Anlaß zu den blutigsten Conflicten geben. Pucheta
hatte sich an der Spitze seiner Bande eine Art von revolutionärer Polizei an¬
gemaßt, deren Hauptzweck es war, die Entweichung Marie ChristinenS zu
verhindern. Die Regierung suchte sich daher der Nationalmiliz zu versichern.
Die Oberoffiziere derselben -- zum Generalinspector aller Milizen des König¬
reichs war der nebst O'Dommel zum Marschall erhobene San Miguel ernannt
-- wurden in den Ministerrath berufen und eS gelang durch Darlegung der
Gründe, welche die Entfernung der Königin Mutter erheischten, ihre Zustim¬
mung zu dieser Maßregel zu gewinnen. Eine im letzten Augenblick, als die
Vorbereitungen zur Abreise bereits gegen jede gewaltsame Störung gesichert
waren, erlassene Proclamation verkündete am 28. August der Hauptstadt und
dem Lande, daß der Ministerrath auf seine eigne Verantwortlichkeit -- die
Königin hatte das Decret nicht unterzeichnet -- die Königin Mutter aus dem
Reiche verbannt und über ihre Güter vorläufige Beschlagnahme verhängt habe,
bis zur Entscheidung der Cortes, denen die Regierung von dieser Maßregel
Rechenschaft ablegen werde. Esparteros Versprechen wurde etwas gezwungen
dahin ausgelegt, daß die Regierung sich verpflichtet, Marie Christine weder
heimlich bei Tag, noch bei Nacht abreisen zu lassen; eS werde erfüllt, indem
sie offen bei Tag abreise. Ein Aufstandsversuch der demokratischen Partei
wurde von der Nationalmiliz und den Truppen schnell und ohne Blutvergießen
unterdrückt, der unter Orenses Vorsitz tagende Club umzingelt und seine
Mitglieder verhaftet, wenn auch nur für wenige Tage, ungeachtet der Ehren-
präsidentschast deS SiegeSherzogs. Die Regierung benutzte ihren leichten Sieg,
um alle Clubs und Vereine mit Ausnahme der vorbereitenden Wahlversamm¬
lungen, zu verbieten. Bei dieser verunglückten Emeute war der Gesandte der
amerikanischen Union, sont", so schwer compromittirt, daß er unmittelbar dar¬
auf Spanien verließ und nach kurzer Zeit abberufen wurde. Seine Entfer¬
nung befreite die Regierung nicht blos von einer im hohen Grade mißliebigen
Persönlichkeit, sondern erleichterte auch die Beilegung eines ernsten Zwistes,
der einige Monate vorher unter dem gestürzten System infolge der von dem
GeneralcapitAn von Cuba, Pezuela, verfügten Beschlagnahme des amerikani¬
schen Steamers Black Warrior zwischen beiden Ländern ausgebrochen war und
der nun für Spanien eine um so drohendere Wendung nehmen konnte, als die
beiden großen europäischen Seemächte, England und Frankreich, durch den orien¬
talischen Krieg in Anspruch genommen, sich zu einer bewaffneten Hilfe schwerlich


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erwachsenden Gefahren der weit größte Theil der Progressisten —, so mußte
man Marie Christine diesem Aeußersten entziehn. Diese Gründe machten sich
so gebieterisch geltend, daß Espartero, schwankend wie immer, und mit Aus¬
nahme Salazars ohne jede Unterstützung bei seinen Kollegen, sich ihnen fügen
mußte. Bei der Stimmung der untern Volksclassen Madrids konnte indeß
die Abreise der Königin Mutter Anlaß zu den blutigsten Conflicten geben. Pucheta
hatte sich an der Spitze seiner Bande eine Art von revolutionärer Polizei an¬
gemaßt, deren Hauptzweck es war, die Entweichung Marie ChristinenS zu
verhindern. Die Regierung suchte sich daher der Nationalmiliz zu versichern.
Die Oberoffiziere derselben — zum Generalinspector aller Milizen des König¬
reichs war der nebst O'Dommel zum Marschall erhobene San Miguel ernannt
— wurden in den Ministerrath berufen und eS gelang durch Darlegung der
Gründe, welche die Entfernung der Königin Mutter erheischten, ihre Zustim¬
mung zu dieser Maßregel zu gewinnen. Eine im letzten Augenblick, als die
Vorbereitungen zur Abreise bereits gegen jede gewaltsame Störung gesichert
waren, erlassene Proclamation verkündete am 28. August der Hauptstadt und
dem Lande, daß der Ministerrath auf seine eigne Verantwortlichkeit — die
Königin hatte das Decret nicht unterzeichnet — die Königin Mutter aus dem
Reiche verbannt und über ihre Güter vorläufige Beschlagnahme verhängt habe,
bis zur Entscheidung der Cortes, denen die Regierung von dieser Maßregel
Rechenschaft ablegen werde. Esparteros Versprechen wurde etwas gezwungen
dahin ausgelegt, daß die Regierung sich verpflichtet, Marie Christine weder
heimlich bei Tag, noch bei Nacht abreisen zu lassen; eS werde erfüllt, indem
sie offen bei Tag abreise. Ein Aufstandsversuch der demokratischen Partei
wurde von der Nationalmiliz und den Truppen schnell und ohne Blutvergießen
unterdrückt, der unter Orenses Vorsitz tagende Club umzingelt und seine
Mitglieder verhaftet, wenn auch nur für wenige Tage, ungeachtet der Ehren-
präsidentschast deS SiegeSherzogs. Die Regierung benutzte ihren leichten Sieg,
um alle Clubs und Vereine mit Ausnahme der vorbereitenden Wahlversamm¬
lungen, zu verbieten. Bei dieser verunglückten Emeute war der Gesandte der
amerikanischen Union, sont«, so schwer compromittirt, daß er unmittelbar dar¬
auf Spanien verließ und nach kurzer Zeit abberufen wurde. Seine Entfer¬
nung befreite die Regierung nicht blos von einer im hohen Grade mißliebigen
Persönlichkeit, sondern erleichterte auch die Beilegung eines ernsten Zwistes,
der einige Monate vorher unter dem gestürzten System infolge der von dem
GeneralcapitAn von Cuba, Pezuela, verfügten Beschlagnahme des amerikani¬
schen Steamers Black Warrior zwischen beiden Ländern ausgebrochen war und
der nun für Spanien eine um so drohendere Wendung nehmen konnte, als die
beiden großen europäischen Seemächte, England und Frankreich, durch den orien¬
talischen Krieg in Anspruch genommen, sich zu einer bewaffneten Hilfe schwerlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/339>, abgerufen am 23.07.2024.