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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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decret der Cortes entzog die Regierung der Entscheidung derselben nur die
Frage über Aufrechthaltung der Monarchie und Dynastie, ein Zugeständnis),
das O'Dommel und die gemäßigtere Fraction des Cabinets sich ausbedun¬
gen hatte.

Der Junten suchte man sich auf eine schonende Weise zu entledigen,
indem man sie zwar nicht auflöste, ihre Funktionen aber auf das Recht der
Berathung der Behörden ermäßigte, bis zum Zusammentritt der Cortes; als¬
dann sollte ihre Auflösung erfolgen. Dies war ein schon bei früheren Umwäl¬
zungen in Spanien beliebter Ausweg. Die von den Junten ausgegangenen
Ernennungen wurden ebenso, wie die von ihnen verfügten Absetzungen nur
zum Theil bestätigt. Die Cortes selbst berief das Ministerium zum 8. Novem¬
ber ein, eine lange und unter den obwaltenden Umständen gefahrvolle Frist,
die aber erforderlich erschien, um bis zur Vornahme der Wahlen die ersten
und stürmischsten Wellenschlage der Revolution sich sänftigen zu lassen.

Eine brennende und für die Negierung im höchsten Grade mißliche Frage,
war die Entscheidung über daS Schicksal der Königin Christine, die mit ihrer
Familie noch immer im Palaste verborgen war. Die öffentliche Meinung be¬
trachtete sie als die Haupturheberin alles Unglücks, das Spanien seit Jahren
getroffen, als die Seele des verfassungsbrüchigen Systems und klagte sie und
ihren Gemahl, den ehemaligen Leibgardisten MuZoz, jetzigen Herzog von
Ricmzares, an, auf Kosten des Staats unter der Begünstigung feiler Minister
unermeßliche Reichthümer erworben zu haben. Die demokratische Partei und
die derselben nahestehende Fraction der Progressivsten verlangten ihre vorläu¬
fige Haft und spätere Vorführung vor das Gericht der constituirenden Cor¬
tes. Espartero hatte sich sogar persönlich in dieser Frage verpflichtet. Einer.
Deputation des republikanischen Clubs, der unter dem Vorsitz Oreneses, Mar¬
quis von Albaida, in Madrid tagte, hatte er sein Wort verpfändet, die Kö¬
nigin Christine solle weder bei Tag, noch bei Nacht, noch heimlich die Haupt¬
stadt verlassen. Außerdem hatte der Sicgesherzog die ihm angetragene "Ehren-
präsidentschast" jenes Clubs angenommen, eine seltsame Auszeichnung sür den
höchsten Würdenträger der Krone, aber ein Beweis mehr für die, wenn auch
vagen, ehrgeizigen Projecte, von denen Espartero damals erfüllt war.

ES schien indessen kaum möglich für das Ministerium, die Zusage seines
Chefs zu erfüllen. Die Königin Mutter, die ehemalige Regentin, vor den
Schranken der Cortes war ein Schauspiel, das alle revolutionären Leidenschaf¬
ten im Volke auf das höchste entflammen, den extremen Parteien willkomme¬
nen Stoff zur Aufregung darbieten, die Regierung endlich in die bedenklichste
Stellung zu den fremden Cabineten versetzen mußte. Vor allem aber brachte
es die Königin Jsabella selbst in eine unmögliche Lage, wollte man dieselbe
nicht zur Abdication drängen -- und dagegen war in Betracht der daraus


decret der Cortes entzog die Regierung der Entscheidung derselben nur die
Frage über Aufrechthaltung der Monarchie und Dynastie, ein Zugeständnis),
das O'Dommel und die gemäßigtere Fraction des Cabinets sich ausbedun¬
gen hatte.

Der Junten suchte man sich auf eine schonende Weise zu entledigen,
indem man sie zwar nicht auflöste, ihre Funktionen aber auf das Recht der
Berathung der Behörden ermäßigte, bis zum Zusammentritt der Cortes; als¬
dann sollte ihre Auflösung erfolgen. Dies war ein schon bei früheren Umwäl¬
zungen in Spanien beliebter Ausweg. Die von den Junten ausgegangenen
Ernennungen wurden ebenso, wie die von ihnen verfügten Absetzungen nur
zum Theil bestätigt. Die Cortes selbst berief das Ministerium zum 8. Novem¬
ber ein, eine lange und unter den obwaltenden Umständen gefahrvolle Frist,
die aber erforderlich erschien, um bis zur Vornahme der Wahlen die ersten
und stürmischsten Wellenschlage der Revolution sich sänftigen zu lassen.

Eine brennende und für die Negierung im höchsten Grade mißliche Frage,
war die Entscheidung über daS Schicksal der Königin Christine, die mit ihrer
Familie noch immer im Palaste verborgen war. Die öffentliche Meinung be¬
trachtete sie als die Haupturheberin alles Unglücks, das Spanien seit Jahren
getroffen, als die Seele des verfassungsbrüchigen Systems und klagte sie und
ihren Gemahl, den ehemaligen Leibgardisten MuZoz, jetzigen Herzog von
Ricmzares, an, auf Kosten des Staats unter der Begünstigung feiler Minister
unermeßliche Reichthümer erworben zu haben. Die demokratische Partei und
die derselben nahestehende Fraction der Progressivsten verlangten ihre vorläu¬
fige Haft und spätere Vorführung vor das Gericht der constituirenden Cor¬
tes. Espartero hatte sich sogar persönlich in dieser Frage verpflichtet. Einer.
Deputation des republikanischen Clubs, der unter dem Vorsitz Oreneses, Mar¬
quis von Albaida, in Madrid tagte, hatte er sein Wort verpfändet, die Kö¬
nigin Christine solle weder bei Tag, noch bei Nacht, noch heimlich die Haupt¬
stadt verlassen. Außerdem hatte der Sicgesherzog die ihm angetragene „Ehren-
präsidentschast" jenes Clubs angenommen, eine seltsame Auszeichnung sür den
höchsten Würdenträger der Krone, aber ein Beweis mehr für die, wenn auch
vagen, ehrgeizigen Projecte, von denen Espartero damals erfüllt war.

ES schien indessen kaum möglich für das Ministerium, die Zusage seines
Chefs zu erfüllen. Die Königin Mutter, die ehemalige Regentin, vor den
Schranken der Cortes war ein Schauspiel, das alle revolutionären Leidenschaf¬
ten im Volke auf das höchste entflammen, den extremen Parteien willkomme¬
nen Stoff zur Aufregung darbieten, die Regierung endlich in die bedenklichste
Stellung zu den fremden Cabineten versetzen mußte. Vor allem aber brachte
es die Königin Jsabella selbst in eine unmögliche Lage, wollte man dieselbe
nicht zur Abdication drängen — und dagegen war in Betracht der daraus


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[0338] decret der Cortes entzog die Regierung der Entscheidung derselben nur die Frage über Aufrechthaltung der Monarchie und Dynastie, ein Zugeständnis), das O'Dommel und die gemäßigtere Fraction des Cabinets sich ausbedun¬ gen hatte. Der Junten suchte man sich auf eine schonende Weise zu entledigen, indem man sie zwar nicht auflöste, ihre Funktionen aber auf das Recht der Berathung der Behörden ermäßigte, bis zum Zusammentritt der Cortes; als¬ dann sollte ihre Auflösung erfolgen. Dies war ein schon bei früheren Umwäl¬ zungen in Spanien beliebter Ausweg. Die von den Junten ausgegangenen Ernennungen wurden ebenso, wie die von ihnen verfügten Absetzungen nur zum Theil bestätigt. Die Cortes selbst berief das Ministerium zum 8. Novem¬ ber ein, eine lange und unter den obwaltenden Umständen gefahrvolle Frist, die aber erforderlich erschien, um bis zur Vornahme der Wahlen die ersten und stürmischsten Wellenschlage der Revolution sich sänftigen zu lassen. Eine brennende und für die Negierung im höchsten Grade mißliche Frage, war die Entscheidung über daS Schicksal der Königin Christine, die mit ihrer Familie noch immer im Palaste verborgen war. Die öffentliche Meinung be¬ trachtete sie als die Haupturheberin alles Unglücks, das Spanien seit Jahren getroffen, als die Seele des verfassungsbrüchigen Systems und klagte sie und ihren Gemahl, den ehemaligen Leibgardisten MuZoz, jetzigen Herzog von Ricmzares, an, auf Kosten des Staats unter der Begünstigung feiler Minister unermeßliche Reichthümer erworben zu haben. Die demokratische Partei und die derselben nahestehende Fraction der Progressivsten verlangten ihre vorläu¬ fige Haft und spätere Vorführung vor das Gericht der constituirenden Cor¬ tes. Espartero hatte sich sogar persönlich in dieser Frage verpflichtet. Einer. Deputation des republikanischen Clubs, der unter dem Vorsitz Oreneses, Mar¬ quis von Albaida, in Madrid tagte, hatte er sein Wort verpfändet, die Kö¬ nigin Christine solle weder bei Tag, noch bei Nacht, noch heimlich die Haupt¬ stadt verlassen. Außerdem hatte der Sicgesherzog die ihm angetragene „Ehren- präsidentschast" jenes Clubs angenommen, eine seltsame Auszeichnung sür den höchsten Würdenträger der Krone, aber ein Beweis mehr für die, wenn auch vagen, ehrgeizigen Projecte, von denen Espartero damals erfüllt war. ES schien indessen kaum möglich für das Ministerium, die Zusage seines Chefs zu erfüllen. Die Königin Mutter, die ehemalige Regentin, vor den Schranken der Cortes war ein Schauspiel, das alle revolutionären Leidenschaf¬ ten im Volke auf das höchste entflammen, den extremen Parteien willkomme¬ nen Stoff zur Aufregung darbieten, die Regierung endlich in die bedenklichste Stellung zu den fremden Cabineten versetzen mußte. Vor allem aber brachte es die Königin Jsabella selbst in eine unmögliche Lage, wollte man dieselbe nicht zur Abdication drängen — und dagegen war in Betracht der daraus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/338>, abgerufen am 23.07.2024.