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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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umrevidiren ließ, eine Revistoi!, deren Legalität die progressistische Partei sogar
bestritten hatte, weil sie von gewöhnlichen nicht mit den erforderlichen Vollmachten
ausgestatteten Cortes ausgegangen war. Ein beträchtlicher und gewiß der größte
und beste Theil der Progressisten wäre mit der sofortigen Herstellung der Ver¬
fassung von 1837 zufrieden gewesen und unter den obwaltenden Umständen
würde selbst eine große Fraction der Moderados diese Lösung' alö eine günstige
betrachtet haben. Sie war möglich, aber nur unter der Bedingung möglich,
daß Espartero das ganze Gewicht seiner Popularität und seines Einflusses
dafür in die Wagschale warf. Aber zum Unglück für Spanien und für ihn
selbst neigte sich der Siegeöherzog unter der Einwirkung Salazars damals
stark der extremen Seite der Progressisten zu. Den ehrgeizigen Projecten, die
ihn unzweifelhaft erfüllten, eröffnete die Fortdauer des Provisoriums viele weite
Aussichten, während sie eine Proclamirung der Verfassung von 1837 im Keime
ersticken mußte. Schon in Saragossa war der stete Refrain seiner Reden
"Möge der Nationalwille in Erfüllung gehn", eine Phrase, die er in Madrid
bei sast jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholte. Ein derartiges Verhalten
kam dem Ruf nach constituirenden Cortes, welchen nicht blos die Demokratie,
sondern auch die schärfere Fraction der Progressisten erhoben, entgegen, ein
Ruf, der ebensowol den aufgewühlten Leidenschaften der Massen, wie dem auf¬
geregten Ehrgeiz vieler großen und kleinen politischen. Parteiungen schmei¬
chelte. Esparteros Entscheidung dafür machte jeden Widerstand unmöglich,
und O'Dommel und seine gemäßigtem College" mußten gegen ihre bessere Ein¬
sicht dem Strome nachgeben. Wenigstens kam man glücklich um die Klippe
des allgemeinen Stimmrechts herum. Mit Ausnahme der demokratischen
Partei, die für sich allein zu schwach war, eine solche Forderung durchzusetzen,
fand dies Idol aller abstracten politischen Theoretiker fast keine Befürwortung
in Spanien. In der That gehörte auch eine unvergleichliche Thorheit dazu,
in einem Lande, wo die Geistlichkeit der gefährlichste Feind jeder bürgerlichen
Freiheit ist und über die ländliche Bevölkerung der meisten Provinzen noch immer
einen vorherrschenden Einfluß ausübt, dies Princip zur Ausführung zubringen, und
auf feiner Grundlage ein freies Staatswesen errichten zu wollen. Es konnte nur
dem Knrlismus zu Gute kommen. Wenn trotzdem die spanische Demokratie in
äußerster doctrinärer Verblendung auch hierin nicht die Verwandtschaft mit ihren
festländischen Schwestern verleugnete, so waren denn doch selbst die entschiedeneren
Progressisten nicht so alles politischen Verstandes baar, um ihr auf dies Gebiet
zu folgen. Man begnügte sich mit dein Wahlgesetz von 1837, welches directe
Wahlen nach Provinzen und einen Census festsetzte, der die Wählerschaft un¬
gefähr auf ein Fünftel der Zahl beschränkte, die sie nach dem allgemeinen
Stimmrecht betragen hätte, eine Beschränkung, die gewiß nach dem Zustande
der politischen Bildung in Spanien nicht zu stark ist. In dem Einberufungs-


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umrevidiren ließ, eine Revistoi!, deren Legalität die progressistische Partei sogar
bestritten hatte, weil sie von gewöhnlichen nicht mit den erforderlichen Vollmachten
ausgestatteten Cortes ausgegangen war. Ein beträchtlicher und gewiß der größte
und beste Theil der Progressisten wäre mit der sofortigen Herstellung der Ver¬
fassung von 1837 zufrieden gewesen und unter den obwaltenden Umständen
würde selbst eine große Fraction der Moderados diese Lösung' alö eine günstige
betrachtet haben. Sie war möglich, aber nur unter der Bedingung möglich,
daß Espartero das ganze Gewicht seiner Popularität und seines Einflusses
dafür in die Wagschale warf. Aber zum Unglück für Spanien und für ihn
selbst neigte sich der Siegeöherzog unter der Einwirkung Salazars damals
stark der extremen Seite der Progressisten zu. Den ehrgeizigen Projecten, die
ihn unzweifelhaft erfüllten, eröffnete die Fortdauer des Provisoriums viele weite
Aussichten, während sie eine Proclamirung der Verfassung von 1837 im Keime
ersticken mußte. Schon in Saragossa war der stete Refrain seiner Reden
„Möge der Nationalwille in Erfüllung gehn", eine Phrase, die er in Madrid
bei sast jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholte. Ein derartiges Verhalten
kam dem Ruf nach constituirenden Cortes, welchen nicht blos die Demokratie,
sondern auch die schärfere Fraction der Progressisten erhoben, entgegen, ein
Ruf, der ebensowol den aufgewühlten Leidenschaften der Massen, wie dem auf¬
geregten Ehrgeiz vieler großen und kleinen politischen. Parteiungen schmei¬
chelte. Esparteros Entscheidung dafür machte jeden Widerstand unmöglich,
und O'Dommel und seine gemäßigtem College» mußten gegen ihre bessere Ein¬
sicht dem Strome nachgeben. Wenigstens kam man glücklich um die Klippe
des allgemeinen Stimmrechts herum. Mit Ausnahme der demokratischen
Partei, die für sich allein zu schwach war, eine solche Forderung durchzusetzen,
fand dies Idol aller abstracten politischen Theoretiker fast keine Befürwortung
in Spanien. In der That gehörte auch eine unvergleichliche Thorheit dazu,
in einem Lande, wo die Geistlichkeit der gefährlichste Feind jeder bürgerlichen
Freiheit ist und über die ländliche Bevölkerung der meisten Provinzen noch immer
einen vorherrschenden Einfluß ausübt, dies Princip zur Ausführung zubringen, und
auf feiner Grundlage ein freies Staatswesen errichten zu wollen. Es konnte nur
dem Knrlismus zu Gute kommen. Wenn trotzdem die spanische Demokratie in
äußerster doctrinärer Verblendung auch hierin nicht die Verwandtschaft mit ihren
festländischen Schwestern verleugnete, so waren denn doch selbst die entschiedeneren
Progressisten nicht so alles politischen Verstandes baar, um ihr auf dies Gebiet
zu folgen. Man begnügte sich mit dein Wahlgesetz von 1837, welches directe
Wahlen nach Provinzen und einen Census festsetzte, der die Wählerschaft un¬
gefähr auf ein Fünftel der Zahl beschränkte, die sie nach dem allgemeinen
Stimmrecht betragen hätte, eine Beschränkung, die gewiß nach dem Zustande
der politischen Bildung in Spanien nicht zu stark ist. In dem Einberufungs-


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[0337] umrevidiren ließ, eine Revistoi!, deren Legalität die progressistische Partei sogar bestritten hatte, weil sie von gewöhnlichen nicht mit den erforderlichen Vollmachten ausgestatteten Cortes ausgegangen war. Ein beträchtlicher und gewiß der größte und beste Theil der Progressisten wäre mit der sofortigen Herstellung der Ver¬ fassung von 1837 zufrieden gewesen und unter den obwaltenden Umständen würde selbst eine große Fraction der Moderados diese Lösung' alö eine günstige betrachtet haben. Sie war möglich, aber nur unter der Bedingung möglich, daß Espartero das ganze Gewicht seiner Popularität und seines Einflusses dafür in die Wagschale warf. Aber zum Unglück für Spanien und für ihn selbst neigte sich der Siegeöherzog unter der Einwirkung Salazars damals stark der extremen Seite der Progressisten zu. Den ehrgeizigen Projecten, die ihn unzweifelhaft erfüllten, eröffnete die Fortdauer des Provisoriums viele weite Aussichten, während sie eine Proclamirung der Verfassung von 1837 im Keime ersticken mußte. Schon in Saragossa war der stete Refrain seiner Reden „Möge der Nationalwille in Erfüllung gehn", eine Phrase, die er in Madrid bei sast jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholte. Ein derartiges Verhalten kam dem Ruf nach constituirenden Cortes, welchen nicht blos die Demokratie, sondern auch die schärfere Fraction der Progressisten erhoben, entgegen, ein Ruf, der ebensowol den aufgewühlten Leidenschaften der Massen, wie dem auf¬ geregten Ehrgeiz vieler großen und kleinen politischen. Parteiungen schmei¬ chelte. Esparteros Entscheidung dafür machte jeden Widerstand unmöglich, und O'Dommel und seine gemäßigtem College» mußten gegen ihre bessere Ein¬ sicht dem Strome nachgeben. Wenigstens kam man glücklich um die Klippe des allgemeinen Stimmrechts herum. Mit Ausnahme der demokratischen Partei, die für sich allein zu schwach war, eine solche Forderung durchzusetzen, fand dies Idol aller abstracten politischen Theoretiker fast keine Befürwortung in Spanien. In der That gehörte auch eine unvergleichliche Thorheit dazu, in einem Lande, wo die Geistlichkeit der gefährlichste Feind jeder bürgerlichen Freiheit ist und über die ländliche Bevölkerung der meisten Provinzen noch immer einen vorherrschenden Einfluß ausübt, dies Princip zur Ausführung zubringen, und auf feiner Grundlage ein freies Staatswesen errichten zu wollen. Es konnte nur dem Knrlismus zu Gute kommen. Wenn trotzdem die spanische Demokratie in äußerster doctrinärer Verblendung auch hierin nicht die Verwandtschaft mit ihren festländischen Schwestern verleugnete, so waren denn doch selbst die entschiedeneren Progressisten nicht so alles politischen Verstandes baar, um ihr auf dies Gebiet zu folgen. Man begnügte sich mit dein Wahlgesetz von 1837, welches directe Wahlen nach Provinzen und einen Census festsetzte, der die Wählerschaft un¬ gefähr auf ein Fünftel der Zahl beschränkte, die sie nach dem allgemeinen Stimmrecht betragen hätte, eine Beschränkung, die gewiß nach dem Zustande der politischen Bildung in Spanien nicht zu stark ist. In dem Einberufungs- Grenzboten. IV. -ILöti. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/337>, abgerufen am 23.07.2024.