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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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werden mußte, so bildete sie doch bereits ein bedrohliches Element in der Be¬
wegung, und veranlaßte die gemäßigte Schattirung der Progresststen, an
O'Dommel sich anzulehnen.

Die Lage des Landes war somit bei dem Amtsantritt des Ministeriums
Espartero in hohem Grade verwickelt und gefahrdrohend. In der Hauptstadt,
deren Barrikaden erst nach der Ernennung des Cabinets allmälig und wider¬
strebend hinweggeräumt wurden, übten die Clubs ihre aufregende Agitation,
und schälkelen bewaffnete Banden, unter deren Führern sich der Stierkämpfer
Pucheta durch wilde und grausame Energie hervorthat. Die Nachforschung
nach den Mitgliedern und hervorragenden Werkzeugen der Verwaltung des
Grafen von San Luis, so wie die Verhinderung der Entweichung der Königin
Mutter, die mit iHrem Gemahl und ihren Kindern im königlichen Schlosse
selbst in angstvollst Verborgenheit weilte, gab namentlich Pucheta den Vor¬
wand zu gröbsten Excessen gegen Hausrecht und persönliche Freiheit. Die
zügellose Straßenpresse, welche der Kampf der Julitage ins Leben gerufen,
stachelte unaufhörlich die revolutionären Leidenschaften. Die Provinzialjunten,
die nach echt spanischer Weise aller Orten Beamte und Offiziere ab- und ein¬
gesetzt, militärische Grade freigebig ausgetheilt, unbeliebte Steuern abgeschafft,
und besonders im Süden dem Schmuggelhandel Thür und Thor geöffnet
hatten, zeigten wenig Neigung, dem Genuß der Gewalt sofort zu Gunsten des
neuen Ministeriums zu entsagen. Selbst unter den Truppen gab sich ver¬
schiedener Orten, namentlich in Barcelona, dem gefährlichsten Herd der Um¬
wälzung in Spanien, ein Geist der Meuterei kund, der auch die Armee den
Revolutionären zuzuführen drohte. Diesen von allen Seiten . einstürmenden
Schwierigkeiten gegenüber hatte das Cabinet sich zuerst und schleunigst über die
Entscheidung der alles dominirenden Verfassungsfrage zu entscheiden. Bei der
Verfassung von -I84S, deren Erhaltung und Vertheidigung gegen die abso¬
lutistische Reaction, die Erhebung vom 28. Juni eigentlich gegolten, stehn zu
bleiben, war unmöglich. Schon das Programm von Manzanares ging weit
über sie hinaus. Die Progresststen betrachteten dieselbe nicht mit Unrecht als
das Werk ihrer Gegner, ausdrücklich gemacht,, um sie von der Gewalt auszu¬
schließen, und erklärten sie als durch die Revolution beseitigt. Das Einfachste
wäre gewesen, auf die Verfassung von 1837 zurückzugehn, die von constituirenden,
nach den Bestimmungen der Verfassung von 1812 gewählten Cortes unter einem
progressistischen Ministerium festgestellt, dem Dogma jener Partei, dem Princip
der Nationalsvuveränetcit genügte, und gewiß das äußerste Maß von Freiheiten
enthielt, welches Spanien zu ertragen fähig ist. Selbst die Bewegung von
18L0 hatte diese Verfassung respectirt und, indem man sie wieder herstellte,
annullirte man nur daS Werk der moderirten Reaction, welche nach Esparteros
Sturz durch ihr ergebene Cortes die Verfassung von 1837 in die von 18es


werden mußte, so bildete sie doch bereits ein bedrohliches Element in der Be¬
wegung, und veranlaßte die gemäßigte Schattirung der Progresststen, an
O'Dommel sich anzulehnen.

Die Lage des Landes war somit bei dem Amtsantritt des Ministeriums
Espartero in hohem Grade verwickelt und gefahrdrohend. In der Hauptstadt,
deren Barrikaden erst nach der Ernennung des Cabinets allmälig und wider¬
strebend hinweggeräumt wurden, übten die Clubs ihre aufregende Agitation,
und schälkelen bewaffnete Banden, unter deren Führern sich der Stierkämpfer
Pucheta durch wilde und grausame Energie hervorthat. Die Nachforschung
nach den Mitgliedern und hervorragenden Werkzeugen der Verwaltung des
Grafen von San Luis, so wie die Verhinderung der Entweichung der Königin
Mutter, die mit iHrem Gemahl und ihren Kindern im königlichen Schlosse
selbst in angstvollst Verborgenheit weilte, gab namentlich Pucheta den Vor¬
wand zu gröbsten Excessen gegen Hausrecht und persönliche Freiheit. Die
zügellose Straßenpresse, welche der Kampf der Julitage ins Leben gerufen,
stachelte unaufhörlich die revolutionären Leidenschaften. Die Provinzialjunten,
die nach echt spanischer Weise aller Orten Beamte und Offiziere ab- und ein¬
gesetzt, militärische Grade freigebig ausgetheilt, unbeliebte Steuern abgeschafft,
und besonders im Süden dem Schmuggelhandel Thür und Thor geöffnet
hatten, zeigten wenig Neigung, dem Genuß der Gewalt sofort zu Gunsten des
neuen Ministeriums zu entsagen. Selbst unter den Truppen gab sich ver¬
schiedener Orten, namentlich in Barcelona, dem gefährlichsten Herd der Um¬
wälzung in Spanien, ein Geist der Meuterei kund, der auch die Armee den
Revolutionären zuzuführen drohte. Diesen von allen Seiten . einstürmenden
Schwierigkeiten gegenüber hatte das Cabinet sich zuerst und schleunigst über die
Entscheidung der alles dominirenden Verfassungsfrage zu entscheiden. Bei der
Verfassung von -I84S, deren Erhaltung und Vertheidigung gegen die abso¬
lutistische Reaction, die Erhebung vom 28. Juni eigentlich gegolten, stehn zu
bleiben, war unmöglich. Schon das Programm von Manzanares ging weit
über sie hinaus. Die Progresststen betrachteten dieselbe nicht mit Unrecht als
das Werk ihrer Gegner, ausdrücklich gemacht,, um sie von der Gewalt auszu¬
schließen, und erklärten sie als durch die Revolution beseitigt. Das Einfachste
wäre gewesen, auf die Verfassung von 1837 zurückzugehn, die von constituirenden,
nach den Bestimmungen der Verfassung von 1812 gewählten Cortes unter einem
progressistischen Ministerium festgestellt, dem Dogma jener Partei, dem Princip
der Nationalsvuveränetcit genügte, und gewiß das äußerste Maß von Freiheiten
enthielt, welches Spanien zu ertragen fähig ist. Selbst die Bewegung von
18L0 hatte diese Verfassung respectirt und, indem man sie wieder herstellte,
annullirte man nur daS Werk der moderirten Reaction, welche nach Esparteros
Sturz durch ihr ergebene Cortes die Verfassung von 1837 in die von 18es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/336>, abgerufen am 23.07.2024.