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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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leidenschaftlichen Charakter wurden sie nicht immer gerecht, es fehlte mitunter an
jener überwältigenden Macht, wie sie Joachim z. B. im letzten Satz des ^V-moll
Quartetts entfaltet. Allein einzelne Wünsche der Art können.nicht maßgebend sein
sür die Beurtheilung der ganzen Leistung, wobei man nicht vergessen darf, daß
man es nicht mit einem einzelnen Künstler zu thun hat, sondern mit einem Quar¬
tettverein, der in seiner Totalität beurtheilt sein will, und als solcher keinen Ver¬
gleich, keine Prüfung zu scheuen hat.




' i.

Man hört in Frankreich nicht wie in Spanien von Palastrevolutionen, obgleich
wir hier wie dort unter der Herrschaft des l-ein plin^i- stehen. Aber in Frankreich
hält eine feste Hand die Zügel der Regierung, und der Mann, welcher die Ange¬
legenheiten dieses Landes leitet, hat keinen Vertrauten seines geheimsten Gedankens.
Die Hofintriguen beschränken sich auf kleinliche Dinge, denn auch bei Aeußerlichkeiten
spielt der Wille des Staatsoberhauptes eine große Rolle, und die Höflinge find
vollauf damit beschäftigt, Toilcttenfragcn zu verhandeln und zu entscheiden, ob
zusammengerollte Strümpfe über oder uuter den kurzen Hosen zu tragen seien; ihre
Einbildungskrast erschöpft sich in Festauvrdnungcn und in Neuerungen, wie die, der
Meute zu Ehren des heiligen Hubertus Halsbänder von grün und rother Farbe
zu poliren.

Wenn doch einmal von Ministerkriscn oder von heftigen Scenen im Cabinetc
erzählt wird, so hängen diese immer mit Verstößen gegen die Absicht des Herrn
zusammen, oder weil ein Werkzeug als Sühnopfer eines allerhöchsten Irrthums
fallen muß.

Als vor einigen Tagen die Kunde von einem nahenden Miuisterwechsel erscholl,
wußte man, daß es sich um eine Wendung in der Politik handle, und die Mvni-
teurnote hat sogleich die Nichtigkeit der Vermuthung bestätigt. Die von
Petersburg aus erschütterte englisch-französische Allianz sollte wieder in ihre alten
Rechte eingesetzt werden, und das Wesentliche dafür ist geschehen. Der Moniteur
hat dem Constitutionncl wegen seines herausfordernden Auftretens einen Verweis
gegeben d. h. man hat ein Factum desavouirt, das vom Minister der auswärtigen
Geschäfte dem Münster des Innern unterbreitet, und zuletzt sogar von dem Gcheun-
schreiber des Kaisers, Herrn Moquard, einem intimen Freunde des Cvustitu-
tionncldirectvrs vorgelegt worden war. Der englische Einfluß, dessen warmer Für¬
sprecher Gras Persigny dies Mal ist, hat gesiegt, und Graf Walewski braucht sich
nur ruhig zu verhalten, um sein Portefeuille zu behalten.

Die Einigung zwischen England und Frankreich ist keine schwierige gewesen.
Der Kaiser erhielt die freundschaftliche und vertrauliche Andeutung, daß die eng¬
lische Regierung gern erkenne, Napoleon III. habe, den Wortlaut des Märzvcrtrages
im Auge, wol Grund, Rußlands Partei zu ergreifen, allein er müsse auch die


leidenschaftlichen Charakter wurden sie nicht immer gerecht, es fehlte mitunter an
jener überwältigenden Macht, wie sie Joachim z. B. im letzten Satz des ^V-moll
Quartetts entfaltet. Allein einzelne Wünsche der Art können.nicht maßgebend sein
sür die Beurtheilung der ganzen Leistung, wobei man nicht vergessen darf, daß
man es nicht mit einem einzelnen Künstler zu thun hat, sondern mit einem Quar¬
tettverein, der in seiner Totalität beurtheilt sein will, und als solcher keinen Ver¬
gleich, keine Prüfung zu scheuen hat.




' i.

Man hört in Frankreich nicht wie in Spanien von Palastrevolutionen, obgleich
wir hier wie dort unter der Herrschaft des l-ein plin^i- stehen. Aber in Frankreich
hält eine feste Hand die Zügel der Regierung, und der Mann, welcher die Ange¬
legenheiten dieses Landes leitet, hat keinen Vertrauten seines geheimsten Gedankens.
Die Hofintriguen beschränken sich auf kleinliche Dinge, denn auch bei Aeußerlichkeiten
spielt der Wille des Staatsoberhauptes eine große Rolle, und die Höflinge find
vollauf damit beschäftigt, Toilcttenfragcn zu verhandeln und zu entscheiden, ob
zusammengerollte Strümpfe über oder uuter den kurzen Hosen zu tragen seien; ihre
Einbildungskrast erschöpft sich in Festauvrdnungcn und in Neuerungen, wie die, der
Meute zu Ehren des heiligen Hubertus Halsbänder von grün und rother Farbe
zu poliren.

Wenn doch einmal von Ministerkriscn oder von heftigen Scenen im Cabinetc
erzählt wird, so hängen diese immer mit Verstößen gegen die Absicht des Herrn
zusammen, oder weil ein Werkzeug als Sühnopfer eines allerhöchsten Irrthums
fallen muß.

Als vor einigen Tagen die Kunde von einem nahenden Miuisterwechsel erscholl,
wußte man, daß es sich um eine Wendung in der Politik handle, und die Mvni-
teurnote hat sogleich die Nichtigkeit der Vermuthung bestätigt. Die von
Petersburg aus erschütterte englisch-französische Allianz sollte wieder in ihre alten
Rechte eingesetzt werden, und das Wesentliche dafür ist geschehen. Der Moniteur
hat dem Constitutionncl wegen seines herausfordernden Auftretens einen Verweis
gegeben d. h. man hat ein Factum desavouirt, das vom Minister der auswärtigen
Geschäfte dem Münster des Innern unterbreitet, und zuletzt sogar von dem Gcheun-
schreiber des Kaisers, Herrn Moquard, einem intimen Freunde des Cvustitu-
tionncldirectvrs vorgelegt worden war. Der englische Einfluß, dessen warmer Für¬
sprecher Gras Persigny dies Mal ist, hat gesiegt, und Graf Walewski braucht sich
nur ruhig zu verhalten, um sein Portefeuille zu behalten.

Die Einigung zwischen England und Frankreich ist keine schwierige gewesen.
Der Kaiser erhielt die freundschaftliche und vertrauliche Andeutung, daß die eng¬
lische Regierung gern erkenne, Napoleon III. habe, den Wortlaut des Märzvcrtrages
im Auge, wol Grund, Rußlands Partei zu ergreifen, allein er müsse auch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/322>, abgerufen am 03.07.2024.