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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Klage geschützt, welche andre Beamte in gewöhnlichem Criminalverfahren
treffen kann. Wenigstens würde die königliche Begnadigung, welche nur bei
jenen besonders qualisicirten Klagen ausgeschlossen ist, sie hier leicht jeder
nachtheiligen Folge entziehen können. -

Noch eine sehr bedenkliche Stelle der Verfassung mag hier erwähnt sein,
deren unverändertes Fortbestehen leicht dahin führen kann, den Kammern eins
ihrer wichtigsten Nechte,ganz aus den Händen zu nehmen. In Art. 99 und -100
wird den Kammern ein unbedingtes, in jedem Jahre auszuübendes Steuer-
bewilligungörecht zugesprochen. Der Art. 109 "die bestehenden Steuern und
Abgaben werden forterhoben, bis sie durch ein Gesetz abgeändert werden"
schränkt dieses Recht jedoch in Hinsicht der Steuererhebung bedeutend ein.
Das kann nach dem klaren Wortlaut kaum geleugnet werden, wenn auch zur
Evidenz bewiesen wird, daß die Beschränkung ursprünglich nicht beabsichtigt
wurde, sondern nur eine nothwendige transitvrische Bestimmung des Negierungs-
entwurfö vom 20. Mai 18i>8 bildete. Dagegen ist es wiederholt anerkannt
worden, daß die Regierung zu allen Staatsausgaben erst durch das jährlich
mit den-Kammern zu vereinbarende Budget ermächtigt werde. Da nun aber
die Kammern erst Ende November zusammentreten, und das Verwaltungsjahr
schon mit dem ersten Januar beginnt, wird die Berathung des Budgets bis
dahin nie fertig, und auch die Ausgaben werden nothgedrungen einseitig von
der Negierung fortgeleget. Das ist ein großer Uebelstand. Wenn das Recht
der Steuer- und Ausgabenverweigerung von den Kammern auch nicht benutzt
werden soll, die Negierung zu einem bestimmten Verfahren in jeder beliebigen
Angelegenheit zu zwingen -- dazu gibt es im constitutionellen Staat andre
Mittel, und die Motive einer etwaigen Verweigerung müssen immer aus der
Sache selbst genommen sein -- so hieße es doch den Kammern jede Controle
über den regelmäßigen Staatshaushalt entziehen, wollte man jener mißlichen
Nothwendigkeit eine rechtliche Existenz geben. Für die Gegenwart könnten die
Minister jedes Mal die nachträgliche Genehmigung der Kammern durch eine
Jndemnitätsbill einholen, die ohne triftige Gründe nicht'verweigert werden
kaun. Später ließe sich dann jede Jnconvenienz durch die frühere Einberu¬
fung der Kammern oder spätern Anfang des Verwaltungsjahrs beseitigen. --
Diese und ähnliche Punkte erörtert Romme weitläufig und scharfsinnig in den
Nöten seiner Arbeit. Seine Polemik, auch wo sie persönlich sein muß, verletzt
nie den Anstand der Form, und auch das Versprechen hält er fest "nirgend
das eigne Urtheil zurückzuhalten und doch das zu Recht-bestehende preußische
Staatsrecht in seiner objectiven Gestalt vorzutragen, nie die subjective Mei¬
nung und politische Doctrinen an ihre Stelle zu setzen." Es konnte hier nur
beabsichtigt werben, einzelne Andeutungen über den Inhalt des Buchs zu
geben, und dadurch zur Beschäftigung mit ihm und der preußischen Staats-


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Klage geschützt, welche andre Beamte in gewöhnlichem Criminalverfahren
treffen kann. Wenigstens würde die königliche Begnadigung, welche nur bei
jenen besonders qualisicirten Klagen ausgeschlossen ist, sie hier leicht jeder
nachtheiligen Folge entziehen können. -

Noch eine sehr bedenkliche Stelle der Verfassung mag hier erwähnt sein,
deren unverändertes Fortbestehen leicht dahin führen kann, den Kammern eins
ihrer wichtigsten Nechte,ganz aus den Händen zu nehmen. In Art. 99 und -100
wird den Kammern ein unbedingtes, in jedem Jahre auszuübendes Steuer-
bewilligungörecht zugesprochen. Der Art. 109 „die bestehenden Steuern und
Abgaben werden forterhoben, bis sie durch ein Gesetz abgeändert werden"
schränkt dieses Recht jedoch in Hinsicht der Steuererhebung bedeutend ein.
Das kann nach dem klaren Wortlaut kaum geleugnet werden, wenn auch zur
Evidenz bewiesen wird, daß die Beschränkung ursprünglich nicht beabsichtigt
wurde, sondern nur eine nothwendige transitvrische Bestimmung des Negierungs-
entwurfö vom 20. Mai 18i>8 bildete. Dagegen ist es wiederholt anerkannt
worden, daß die Regierung zu allen Staatsausgaben erst durch das jährlich
mit den-Kammern zu vereinbarende Budget ermächtigt werde. Da nun aber
die Kammern erst Ende November zusammentreten, und das Verwaltungsjahr
schon mit dem ersten Januar beginnt, wird die Berathung des Budgets bis
dahin nie fertig, und auch die Ausgaben werden nothgedrungen einseitig von
der Negierung fortgeleget. Das ist ein großer Uebelstand. Wenn das Recht
der Steuer- und Ausgabenverweigerung von den Kammern auch nicht benutzt
werden soll, die Negierung zu einem bestimmten Verfahren in jeder beliebigen
Angelegenheit zu zwingen — dazu gibt es im constitutionellen Staat andre
Mittel, und die Motive einer etwaigen Verweigerung müssen immer aus der
Sache selbst genommen sein — so hieße es doch den Kammern jede Controle
über den regelmäßigen Staatshaushalt entziehen, wollte man jener mißlichen
Nothwendigkeit eine rechtliche Existenz geben. Für die Gegenwart könnten die
Minister jedes Mal die nachträgliche Genehmigung der Kammern durch eine
Jndemnitätsbill einholen, die ohne triftige Gründe nicht'verweigert werden
kaun. Später ließe sich dann jede Jnconvenienz durch die frühere Einberu¬
fung der Kammern oder spätern Anfang des Verwaltungsjahrs beseitigen. —
Diese und ähnliche Punkte erörtert Romme weitläufig und scharfsinnig in den
Nöten seiner Arbeit. Seine Polemik, auch wo sie persönlich sein muß, verletzt
nie den Anstand der Form, und auch das Versprechen hält er fest „nirgend
das eigne Urtheil zurückzuhalten und doch das zu Recht-bestehende preußische
Staatsrecht in seiner objectiven Gestalt vorzutragen, nie die subjective Mei¬
nung und politische Doctrinen an ihre Stelle zu setzen." Es konnte hier nur
beabsichtigt werben, einzelne Andeutungen über den Inhalt des Buchs zu
geben, und dadurch zur Beschäftigung mit ihm und der preußischen Staats-


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[0315] Klage geschützt, welche andre Beamte in gewöhnlichem Criminalverfahren treffen kann. Wenigstens würde die königliche Begnadigung, welche nur bei jenen besonders qualisicirten Klagen ausgeschlossen ist, sie hier leicht jeder nachtheiligen Folge entziehen können. - Noch eine sehr bedenkliche Stelle der Verfassung mag hier erwähnt sein, deren unverändertes Fortbestehen leicht dahin führen kann, den Kammern eins ihrer wichtigsten Nechte,ganz aus den Händen zu nehmen. In Art. 99 und -100 wird den Kammern ein unbedingtes, in jedem Jahre auszuübendes Steuer- bewilligungörecht zugesprochen. Der Art. 109 „die bestehenden Steuern und Abgaben werden forterhoben, bis sie durch ein Gesetz abgeändert werden" schränkt dieses Recht jedoch in Hinsicht der Steuererhebung bedeutend ein. Das kann nach dem klaren Wortlaut kaum geleugnet werden, wenn auch zur Evidenz bewiesen wird, daß die Beschränkung ursprünglich nicht beabsichtigt wurde, sondern nur eine nothwendige transitvrische Bestimmung des Negierungs- entwurfö vom 20. Mai 18i>8 bildete. Dagegen ist es wiederholt anerkannt worden, daß die Regierung zu allen Staatsausgaben erst durch das jährlich mit den-Kammern zu vereinbarende Budget ermächtigt werde. Da nun aber die Kammern erst Ende November zusammentreten, und das Verwaltungsjahr schon mit dem ersten Januar beginnt, wird die Berathung des Budgets bis dahin nie fertig, und auch die Ausgaben werden nothgedrungen einseitig von der Negierung fortgeleget. Das ist ein großer Uebelstand. Wenn das Recht der Steuer- und Ausgabenverweigerung von den Kammern auch nicht benutzt werden soll, die Negierung zu einem bestimmten Verfahren in jeder beliebigen Angelegenheit zu zwingen — dazu gibt es im constitutionellen Staat andre Mittel, und die Motive einer etwaigen Verweigerung müssen immer aus der Sache selbst genommen sein — so hieße es doch den Kammern jede Controle über den regelmäßigen Staatshaushalt entziehen, wollte man jener mißlichen Nothwendigkeit eine rechtliche Existenz geben. Für die Gegenwart könnten die Minister jedes Mal die nachträgliche Genehmigung der Kammern durch eine Jndemnitätsbill einholen, die ohne triftige Gründe nicht'verweigert werden kaun. Später ließe sich dann jede Jnconvenienz durch die frühere Einberu¬ fung der Kammern oder spätern Anfang des Verwaltungsjahrs beseitigen. — Diese und ähnliche Punkte erörtert Romme weitläufig und scharfsinnig in den Nöten seiner Arbeit. Seine Polemik, auch wo sie persönlich sein muß, verletzt nie den Anstand der Form, und auch das Versprechen hält er fest „nirgend das eigne Urtheil zurückzuhalten und doch das zu Recht-bestehende preußische Staatsrecht in seiner objectiven Gestalt vorzutragen, nie die subjective Mei¬ nung und politische Doctrinen an ihre Stelle zu setzen." Es konnte hier nur beabsichtigt werben, einzelne Andeutungen über den Inhalt des Buchs zu geben, und dadurch zur Beschäftigung mit ihm und der preußischen Staats- 39 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/315>, abgerufen am 23.07.2024.