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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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endlich zusammengebracht, die Hälfte deö Gesammtbestands; sie wurde somit
beschlußfähig. Die hervorragendsten Führer tagten inzwischen in Cosenza und
die Debatten in Neapel erhoben sich während der nächsten zwei Monate zu
keiner Bedeutung. Der Minister Bozzelli, das letzte Verbindungsglied zwischen
König und Verfassung, mußte, je weiter diese beiden Gegensätze auseinander¬
strebten, sich immer mehr zu der Rolle des Gummi elasticums bequemen und bot
das traurigste Bild dieser Dehnbarkeit bis in den Tod, als der König am
S. September endlich durch eine Vertagung der Kammern bis zum 30. Novem¬
ber sich dieses ganzen NevolutionsüberbleibselS entschlug. Im November fand
er eine neue Vertagung bis zum 1. Februar u. s. w. für passend, so daß
von irgend einer historischen Thätigkeit dieser Institute in der neuern Geschichte
des Landes nicht die Rede sein konnte.

Um so freiern Spielraum hatten die Befehlshaber des Heeres, unter ihnen
besonders Nunziante, Lanza, Busacca. Nach manchen Niederlagen in Cala-
brien gelang es ihnen endlich um die Mitte des Monats Juli, Pizzo und
andre Orte einzuäschern und die Empörung allenthalben niederzuwerfen. 372
Calabresen und in Calabrien thätig gewesene Sicilianer entkamen mit acht
Kanonen auf drei Schiffen, wurden aber durch den Dampfer Stromboli,
welcher die englische Flagge aufhißte, überholt. Die Häupter des Aufstandes
warf man in die Kerker des Se. Elmo, dann schleppte man sie nach der Insel
Nisita; endlich, auf Verwendung des englischen und französischen Gesandten
wurden sie nach Capua geschafft, das Gros der Gefangenen stapelte man in
den Gefängnissen von Reggio auf.

Das Festland war somit unter den eisernen Griffen des Heeres zum
Schweigen gebracht worden. Neapel wurde wieder für eine gewisse Classe
Vertriebener zugänglich. Man sah in den Schattengängen der Villa Reale
die Geschöpfe Del Carrettos, Campo Basso, Morbillo und de Christoforeö als
trauliches Kleeblatt beieinander stehen, und es dauerte gar nicht lange, so
hatte auch der Beichtvater Conte den Uebeln der Seereise von neuem Trotz
geboten und steckte, durch den Toledo fahrend, sein ominöses Gesicht aus der
vergoldeten Bischofskarosse.

Inzwischen waren freilich in Sicilien Dinge vorgefallen, welche den Ver¬
ehrern von Pulver, Blei und Rosenkranz gerechte Freude machen mußten.
Messina lag in Schutt und Zische.

Am 28. August hatte der Gesandte Frankreichs, am 29. derjenige Eng¬
lands beim Könige Vermittlungsversuche gemacht, um die Rüstungen gegen
SiLllien zu verhindern. Da sich indessen wenig Ernst in der bisherigen Haltung
beider Mächte zeigte und namentlich Palmerston erst am i. August dem nea¬
politanischen Gesandten in London versichert hatte, England werde sich unthätig
verhalten, so beeilte der König den gegen Messina beabsichtigten Schlag. Ge-


endlich zusammengebracht, die Hälfte deö Gesammtbestands; sie wurde somit
beschlußfähig. Die hervorragendsten Führer tagten inzwischen in Cosenza und
die Debatten in Neapel erhoben sich während der nächsten zwei Monate zu
keiner Bedeutung. Der Minister Bozzelli, das letzte Verbindungsglied zwischen
König und Verfassung, mußte, je weiter diese beiden Gegensätze auseinander¬
strebten, sich immer mehr zu der Rolle des Gummi elasticums bequemen und bot
das traurigste Bild dieser Dehnbarkeit bis in den Tod, als der König am
S. September endlich durch eine Vertagung der Kammern bis zum 30. Novem¬
ber sich dieses ganzen NevolutionsüberbleibselS entschlug. Im November fand
er eine neue Vertagung bis zum 1. Februar u. s. w. für passend, so daß
von irgend einer historischen Thätigkeit dieser Institute in der neuern Geschichte
des Landes nicht die Rede sein konnte.

Um so freiern Spielraum hatten die Befehlshaber des Heeres, unter ihnen
besonders Nunziante, Lanza, Busacca. Nach manchen Niederlagen in Cala-
brien gelang es ihnen endlich um die Mitte des Monats Juli, Pizzo und
andre Orte einzuäschern und die Empörung allenthalben niederzuwerfen. 372
Calabresen und in Calabrien thätig gewesene Sicilianer entkamen mit acht
Kanonen auf drei Schiffen, wurden aber durch den Dampfer Stromboli,
welcher die englische Flagge aufhißte, überholt. Die Häupter des Aufstandes
warf man in die Kerker des Se. Elmo, dann schleppte man sie nach der Insel
Nisita; endlich, auf Verwendung des englischen und französischen Gesandten
wurden sie nach Capua geschafft, das Gros der Gefangenen stapelte man in
den Gefängnissen von Reggio auf.

Das Festland war somit unter den eisernen Griffen des Heeres zum
Schweigen gebracht worden. Neapel wurde wieder für eine gewisse Classe
Vertriebener zugänglich. Man sah in den Schattengängen der Villa Reale
die Geschöpfe Del Carrettos, Campo Basso, Morbillo und de Christoforeö als
trauliches Kleeblatt beieinander stehen, und es dauerte gar nicht lange, so
hatte auch der Beichtvater Conte den Uebeln der Seereise von neuem Trotz
geboten und steckte, durch den Toledo fahrend, sein ominöses Gesicht aus der
vergoldeten Bischofskarosse.

Inzwischen waren freilich in Sicilien Dinge vorgefallen, welche den Ver¬
ehrern von Pulver, Blei und Rosenkranz gerechte Freude machen mußten.
Messina lag in Schutt und Zische.

Am 28. August hatte der Gesandte Frankreichs, am 29. derjenige Eng¬
lands beim Könige Vermittlungsversuche gemacht, um die Rüstungen gegen
SiLllien zu verhindern. Da sich indessen wenig Ernst in der bisherigen Haltung
beider Mächte zeigte und namentlich Palmerston erst am i. August dem nea¬
politanischen Gesandten in London versichert hatte, England werde sich unthätig
verhalten, so beeilte der König den gegen Messina beabsichtigten Schlag. Ge-


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[0302] endlich zusammengebracht, die Hälfte deö Gesammtbestands; sie wurde somit beschlußfähig. Die hervorragendsten Führer tagten inzwischen in Cosenza und die Debatten in Neapel erhoben sich während der nächsten zwei Monate zu keiner Bedeutung. Der Minister Bozzelli, das letzte Verbindungsglied zwischen König und Verfassung, mußte, je weiter diese beiden Gegensätze auseinander¬ strebten, sich immer mehr zu der Rolle des Gummi elasticums bequemen und bot das traurigste Bild dieser Dehnbarkeit bis in den Tod, als der König am S. September endlich durch eine Vertagung der Kammern bis zum 30. Novem¬ ber sich dieses ganzen NevolutionsüberbleibselS entschlug. Im November fand er eine neue Vertagung bis zum 1. Februar u. s. w. für passend, so daß von irgend einer historischen Thätigkeit dieser Institute in der neuern Geschichte des Landes nicht die Rede sein konnte. Um so freiern Spielraum hatten die Befehlshaber des Heeres, unter ihnen besonders Nunziante, Lanza, Busacca. Nach manchen Niederlagen in Cala- brien gelang es ihnen endlich um die Mitte des Monats Juli, Pizzo und andre Orte einzuäschern und die Empörung allenthalben niederzuwerfen. 372 Calabresen und in Calabrien thätig gewesene Sicilianer entkamen mit acht Kanonen auf drei Schiffen, wurden aber durch den Dampfer Stromboli, welcher die englische Flagge aufhißte, überholt. Die Häupter des Aufstandes warf man in die Kerker des Se. Elmo, dann schleppte man sie nach der Insel Nisita; endlich, auf Verwendung des englischen und französischen Gesandten wurden sie nach Capua geschafft, das Gros der Gefangenen stapelte man in den Gefängnissen von Reggio auf. Das Festland war somit unter den eisernen Griffen des Heeres zum Schweigen gebracht worden. Neapel wurde wieder für eine gewisse Classe Vertriebener zugänglich. Man sah in den Schattengängen der Villa Reale die Geschöpfe Del Carrettos, Campo Basso, Morbillo und de Christoforeö als trauliches Kleeblatt beieinander stehen, und es dauerte gar nicht lange, so hatte auch der Beichtvater Conte den Uebeln der Seereise von neuem Trotz geboten und steckte, durch den Toledo fahrend, sein ominöses Gesicht aus der vergoldeten Bischofskarosse. Inzwischen waren freilich in Sicilien Dinge vorgefallen, welche den Ver¬ ehrern von Pulver, Blei und Rosenkranz gerechte Freude machen mußten. Messina lag in Schutt und Zische. Am 28. August hatte der Gesandte Frankreichs, am 29. derjenige Eng¬ lands beim Könige Vermittlungsversuche gemacht, um die Rüstungen gegen SiLllien zu verhindern. Da sich indessen wenig Ernst in der bisherigen Haltung beider Mächte zeigte und namentlich Palmerston erst am i. August dem nea¬ politanischen Gesandten in London versichert hatte, England werde sich unthätig verhalten, so beeilte der König den gegen Messina beabsichtigten Schlag. Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/302>, abgerufen am 23.07.2024.