Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Um 7^/2 Uhr siel die letzte Barricade, die der Se. Teresa. Vorher aber
schon hatte die Deputirtenkammer ihr Schicksal erreicht; die Abgeordneten waren
während deö Kampfes in Permanenz geblieben. Gerüchte aller Art drangen
zu ihnen. Bald, hieß es, war der König geflohen, bald hatte der französische
Admiral Baudin Truppen gelandet. Die hitzigsten Köpfe versuchten eine Ent¬
thronung Ferdinands zum Kammerbeschluß zu erheben; als das nicht ging,
machten sie Gründe sür Errichtung eines Sicherheitscomitvs geltend und bil¬
deten ein solches endlich, obschon einige der dazu Auserlesenen protestirten
und die Beschlußfähigkeit der Versammlung überhaupt durch die Entfernung
einer Anzahl Gemäßigter aufgehoben war. Sobald das Comite ernannt war,
fanden sich Hände, welche des Königs Bildniß vom Balcon auf die Straße
warfen, und da die republikanische Partei hier zum ersten Male einen ent¬
schiedenen Ausdruck für ihre Wünsche gefunden hatte, so wurde von Gleichge¬
sinnten mit Lebhaftigkeit dem Viva, it Aoverno provisorio zugestimmt. Zwei
Botschaften, die eine vom Marchese Tupputi, als Präsident des Sicherheits-
ausschusses, unterzeichnet, die andere von dem Kammerpräsidenten Cagnazzi,
gingen dann an den Platzcommandanten General Labrano ab. Vermeidung
des Blutvergießens war der ausgesprochene Zweck beider Mittheilungen, zu
deren Ueberbringern Avvssa und Gabriel Pepe bestimmt wurden. Die Ant¬
wort war, wer capituliren wolle, möge weiße Tücher auSstecken. Eine andere
Deputation ging zum Ministerium; noch eine begab sich mit nicht geringer
Gefahr an Bord der französischen Flotille, um ihre Intervention zu veranlassen.
Die Vermittelung wurde angeboten, aber von der Negierung natürlich abgelehnt.

Nach einiger Zeit hörte man das Näherkommen deS GeschützfeuerS. Der
Capitän der Nationalgarde, Giov. La Cecilia, hatte nur wenig Mannschaft
zur Vertheidigung des Saales, und um jeden Anschein einer Feindseligkeit zu
meiden, beschloß die Kammer, die Nationalgarde zu ersuchen, jeder Gegenwehr
sich zu enthalten.

Als die Gefahr näher rückte, wurde auch die Mannschaft selbst fortgeschickt
und die Kammer verfaßte einen Protest, welchen die noch anwesenden 66 De¬
putaten (90 war ihre Gesammtzahl) unterschrieben. Bald darauf rückte eine
Abtheilung der Truppen des Generals Nunziante ein und trieb die Abgeord¬
neten mit den Kolben der Gewehre aus die Straße. Die Deputierten suchten
inmitten des Tumults ihren Weg, der eine hier-, der andere dorthin. Sie
zeigten eine, für die Vertreter des schlechtestregierten Landes nicht gering zu
achtende Ruhe und Besonnenheit, wobei das Beispiel ihres neunzigjährigen
Alterspräsidenten, Cav. Cagnazzi, nicht ohne Einfluß war.

So schloß der für Neapels Geschichte verhängnißvolle 13. Mai.

Etwa 600 Gefangene wurden während der nächsten drei Tage aus Kriegs¬
schiffen festgehalten. Die Marineartilleristen kühlten ihr Müthchen an diesen


Um 7^/2 Uhr siel die letzte Barricade, die der Se. Teresa. Vorher aber
schon hatte die Deputirtenkammer ihr Schicksal erreicht; die Abgeordneten waren
während deö Kampfes in Permanenz geblieben. Gerüchte aller Art drangen
zu ihnen. Bald, hieß es, war der König geflohen, bald hatte der französische
Admiral Baudin Truppen gelandet. Die hitzigsten Köpfe versuchten eine Ent¬
thronung Ferdinands zum Kammerbeschluß zu erheben; als das nicht ging,
machten sie Gründe sür Errichtung eines Sicherheitscomitvs geltend und bil¬
deten ein solches endlich, obschon einige der dazu Auserlesenen protestirten
und die Beschlußfähigkeit der Versammlung überhaupt durch die Entfernung
einer Anzahl Gemäßigter aufgehoben war. Sobald das Comite ernannt war,
fanden sich Hände, welche des Königs Bildniß vom Balcon auf die Straße
warfen, und da die republikanische Partei hier zum ersten Male einen ent¬
schiedenen Ausdruck für ihre Wünsche gefunden hatte, so wurde von Gleichge¬
sinnten mit Lebhaftigkeit dem Viva, it Aoverno provisorio zugestimmt. Zwei
Botschaften, die eine vom Marchese Tupputi, als Präsident des Sicherheits-
ausschusses, unterzeichnet, die andere von dem Kammerpräsidenten Cagnazzi,
gingen dann an den Platzcommandanten General Labrano ab. Vermeidung
des Blutvergießens war der ausgesprochene Zweck beider Mittheilungen, zu
deren Ueberbringern Avvssa und Gabriel Pepe bestimmt wurden. Die Ant¬
wort war, wer capituliren wolle, möge weiße Tücher auSstecken. Eine andere
Deputation ging zum Ministerium; noch eine begab sich mit nicht geringer
Gefahr an Bord der französischen Flotille, um ihre Intervention zu veranlassen.
Die Vermittelung wurde angeboten, aber von der Negierung natürlich abgelehnt.

Nach einiger Zeit hörte man das Näherkommen deS GeschützfeuerS. Der
Capitän der Nationalgarde, Giov. La Cecilia, hatte nur wenig Mannschaft
zur Vertheidigung des Saales, und um jeden Anschein einer Feindseligkeit zu
meiden, beschloß die Kammer, die Nationalgarde zu ersuchen, jeder Gegenwehr
sich zu enthalten.

Als die Gefahr näher rückte, wurde auch die Mannschaft selbst fortgeschickt
und die Kammer verfaßte einen Protest, welchen die noch anwesenden 66 De¬
putaten (90 war ihre Gesammtzahl) unterschrieben. Bald darauf rückte eine
Abtheilung der Truppen des Generals Nunziante ein und trieb die Abgeord¬
neten mit den Kolben der Gewehre aus die Straße. Die Deputierten suchten
inmitten des Tumults ihren Weg, der eine hier-, der andere dorthin. Sie
zeigten eine, für die Vertreter des schlechtestregierten Landes nicht gering zu
achtende Ruhe und Besonnenheit, wobei das Beispiel ihres neunzigjährigen
Alterspräsidenten, Cav. Cagnazzi, nicht ohne Einfluß war.

So schloß der für Neapels Geschichte verhängnißvolle 13. Mai.

Etwa 600 Gefangene wurden während der nächsten drei Tage aus Kriegs¬
schiffen festgehalten. Die Marineartilleristen kühlten ihr Müthchen an diesen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102895"/>
            <p xml:id="ID_1017"> Um 7^/2 Uhr siel die letzte Barricade, die der Se. Teresa. Vorher aber<lb/>
schon hatte die Deputirtenkammer ihr Schicksal erreicht; die Abgeordneten waren<lb/>
während deö Kampfes in Permanenz geblieben. Gerüchte aller Art drangen<lb/>
zu ihnen. Bald, hieß es, war der König geflohen, bald hatte der französische<lb/>
Admiral Baudin Truppen gelandet. Die hitzigsten Köpfe versuchten eine Ent¬<lb/>
thronung Ferdinands zum Kammerbeschluß zu erheben; als das nicht ging,<lb/>
machten sie Gründe sür Errichtung eines Sicherheitscomitvs geltend und bil¬<lb/>
deten ein solches endlich, obschon einige der dazu Auserlesenen protestirten<lb/>
und die Beschlußfähigkeit der Versammlung überhaupt durch die Entfernung<lb/>
einer Anzahl Gemäßigter aufgehoben war. Sobald das Comite ernannt war,<lb/>
fanden sich Hände, welche des Königs Bildniß vom Balcon auf die Straße<lb/>
warfen, und da die republikanische Partei hier zum ersten Male einen ent¬<lb/>
schiedenen Ausdruck für ihre Wünsche gefunden hatte, so wurde von Gleichge¬<lb/>
sinnten mit Lebhaftigkeit dem Viva, it Aoverno provisorio zugestimmt. Zwei<lb/>
Botschaften, die eine vom Marchese Tupputi, als Präsident des Sicherheits-<lb/>
ausschusses, unterzeichnet, die andere von dem Kammerpräsidenten Cagnazzi,<lb/>
gingen dann an den Platzcommandanten General Labrano ab. Vermeidung<lb/>
des Blutvergießens war der ausgesprochene Zweck beider Mittheilungen, zu<lb/>
deren Ueberbringern Avvssa und Gabriel Pepe bestimmt wurden. Die Ant¬<lb/>
wort war, wer capituliren wolle, möge weiße Tücher auSstecken. Eine andere<lb/>
Deputation ging zum Ministerium; noch eine begab sich mit nicht geringer<lb/>
Gefahr an Bord der französischen Flotille, um ihre Intervention zu veranlassen.<lb/>
Die Vermittelung wurde angeboten, aber von der Negierung natürlich abgelehnt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1018"> Nach einiger Zeit hörte man das Näherkommen deS GeschützfeuerS. Der<lb/>
Capitän der Nationalgarde, Giov. La Cecilia, hatte nur wenig Mannschaft<lb/>
zur Vertheidigung des Saales, und um jeden Anschein einer Feindseligkeit zu<lb/>
meiden, beschloß die Kammer, die Nationalgarde zu ersuchen, jeder Gegenwehr<lb/>
sich zu enthalten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1019"> Als die Gefahr näher rückte, wurde auch die Mannschaft selbst fortgeschickt<lb/>
und die Kammer verfaßte einen Protest, welchen die noch anwesenden 66 De¬<lb/>
putaten (90 war ihre Gesammtzahl) unterschrieben. Bald darauf rückte eine<lb/>
Abtheilung der Truppen des Generals Nunziante ein und trieb die Abgeord¬<lb/>
neten mit den Kolben der Gewehre aus die Straße. Die Deputierten suchten<lb/>
inmitten des Tumults ihren Weg, der eine hier-, der andere dorthin. Sie<lb/>
zeigten eine, für die Vertreter des schlechtestregierten Landes nicht gering zu<lb/>
achtende Ruhe und Besonnenheit, wobei das Beispiel ihres neunzigjährigen<lb/>
Alterspräsidenten, Cav. Cagnazzi, nicht ohne Einfluß war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1020"> So schloß der für Neapels Geschichte verhängnißvolle 13. Mai.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1021" next="#ID_1022"> Etwa 600 Gefangene wurden während der nächsten drei Tage aus Kriegs¬<lb/>
schiffen festgehalten.  Die Marineartilleristen kühlten ihr Müthchen an diesen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0300] Um 7^/2 Uhr siel die letzte Barricade, die der Se. Teresa. Vorher aber schon hatte die Deputirtenkammer ihr Schicksal erreicht; die Abgeordneten waren während deö Kampfes in Permanenz geblieben. Gerüchte aller Art drangen zu ihnen. Bald, hieß es, war der König geflohen, bald hatte der französische Admiral Baudin Truppen gelandet. Die hitzigsten Köpfe versuchten eine Ent¬ thronung Ferdinands zum Kammerbeschluß zu erheben; als das nicht ging, machten sie Gründe sür Errichtung eines Sicherheitscomitvs geltend und bil¬ deten ein solches endlich, obschon einige der dazu Auserlesenen protestirten und die Beschlußfähigkeit der Versammlung überhaupt durch die Entfernung einer Anzahl Gemäßigter aufgehoben war. Sobald das Comite ernannt war, fanden sich Hände, welche des Königs Bildniß vom Balcon auf die Straße warfen, und da die republikanische Partei hier zum ersten Male einen ent¬ schiedenen Ausdruck für ihre Wünsche gefunden hatte, so wurde von Gleichge¬ sinnten mit Lebhaftigkeit dem Viva, it Aoverno provisorio zugestimmt. Zwei Botschaften, die eine vom Marchese Tupputi, als Präsident des Sicherheits- ausschusses, unterzeichnet, die andere von dem Kammerpräsidenten Cagnazzi, gingen dann an den Platzcommandanten General Labrano ab. Vermeidung des Blutvergießens war der ausgesprochene Zweck beider Mittheilungen, zu deren Ueberbringern Avvssa und Gabriel Pepe bestimmt wurden. Die Ant¬ wort war, wer capituliren wolle, möge weiße Tücher auSstecken. Eine andere Deputation ging zum Ministerium; noch eine begab sich mit nicht geringer Gefahr an Bord der französischen Flotille, um ihre Intervention zu veranlassen. Die Vermittelung wurde angeboten, aber von der Negierung natürlich abgelehnt. Nach einiger Zeit hörte man das Näherkommen deS GeschützfeuerS. Der Capitän der Nationalgarde, Giov. La Cecilia, hatte nur wenig Mannschaft zur Vertheidigung des Saales, und um jeden Anschein einer Feindseligkeit zu meiden, beschloß die Kammer, die Nationalgarde zu ersuchen, jeder Gegenwehr sich zu enthalten. Als die Gefahr näher rückte, wurde auch die Mannschaft selbst fortgeschickt und die Kammer verfaßte einen Protest, welchen die noch anwesenden 66 De¬ putaten (90 war ihre Gesammtzahl) unterschrieben. Bald darauf rückte eine Abtheilung der Truppen des Generals Nunziante ein und trieb die Abgeord¬ neten mit den Kolben der Gewehre aus die Straße. Die Deputierten suchten inmitten des Tumults ihren Weg, der eine hier-, der andere dorthin. Sie zeigten eine, für die Vertreter des schlechtestregierten Landes nicht gering zu achtende Ruhe und Besonnenheit, wobei das Beispiel ihres neunzigjährigen Alterspräsidenten, Cav. Cagnazzi, nicht ohne Einfluß war. So schloß der für Neapels Geschichte verhängnißvolle 13. Mai. Etwa 600 Gefangene wurden während der nächsten drei Tage aus Kriegs¬ schiffen festgehalten. Die Marineartilleristen kühlten ihr Müthchen an diesen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/300
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/300>, abgerufen am 23.07.2024.