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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Se. Ferdinands. Eine Menge Verwundeter blieben auf dem Platze. Die Tam¬
boure riefen die Truppen zurück, nachdem die Barricade zerstört war, und fast
eine Stunde lang ruhte das Gefecht an dieser Stelle.

In der Zwischenzeit wüthete der Kampf an der Ecke des Vico Campane
und der Piazza Se. Brigida. Auch hier war eine Barricade genommen wor¬
den. Die Vertheidiger derselben flüchteten in die Häuser und beschossen von
den Fenstern und Balconen aus mit Erfolg die Truppen. Lazzaroni waren an
dieser Stelle noch thätig, die Hausthore zu versperren und das Militär von
den Dächern aus mit Steinen zu belästigen.

Da die Kanonen nicht ausreichten, zündeten die Soldaten einige Haus¬
thüren an und drangen auf diese Weise ins Innere der Gebäude. Der Palast
der Duca ti Cirelli fiel zuerst in ihre Hände. Die Vertheidiger, unter denen
ein bewaffnetes Frauenzimmer von gutem Stande, entkamen zum größten Theil
ins Nebengebäude.

So kämpfend gelangten die Schweizer von der Via Se. Ferdinands und
Se. Brigida nach dem Finanzministerium und Se. Giacomo, bis ihnen endlich
der Palazzo ti Lieto neuen Widerstand entschiedener Art bot. Auch dieser wurde
gebrochen und die darin versammelten Studenten und Provinzialen retteten
sich über die Dächer und durch Maueröffnungen in die Nebenhäuser.

Seit die Revolution zu unterliegen begann, hatten sich die Lazzaroni aus
Seite des Militärs geschlagen; hier war Beute, während man in den verthei¬
digten Häusern ihnen strenge auf die Finger gesehen hatte. Die Angriffsweise
war dabei immer dieselbe. Zuerst donnerten die Geschütze gegen die Barrica-
den, dann stürzten die Lazzaroni vor und schleppten for.t, was beweglich war;
endlich ging's in die benachbarten Häuser, und dort wurde wieder genommen,
was sich irgend fortschaffen ließ. Daß Scheußlichkeiten anderer Art dabei vor¬
kamen, ist erwiesen genug, doch überstimmte zum Glück die Habgier in den
meisten Fällen Leidenschaften noch schlimmern Charakters. Ob dies bei den
Soldaten in gleicher Weise der Fall war, bleibt, trotz der spätern Rechtferti¬
gung ihres Benehmens, Seitens der von der Schweiz nach Neapel gesandten
Delegirten, sehr zweifelhaft. Sie konnten nur leichtere, daher werthvollere
Beute unterbringen, Schmuck, Uhren, Geld, und da sie Ursache hatten mit der
größten Erbitterung Rache zu nehmen, so mögen die vielen Gerüchte über die
Ausbrüche ihrer Brutalität kaum die Wahrheit verletzen. Ueber diese
Vorwürfe, die dem Einzelnen weit weniger als dem System zur Last fallen,
können wir hier um so eher hinweggehen, als die Schweizer Neapels seitdem
nur zu zahlreiche Gelegenheit gehabt haben, sich auf ähnliche Vorgänge in civi-
listrteren Ländern zu berufen.

Neapels Hauptstraßen wurden bis zum Abend des Is. Mai den Schrecken
einer Plünderung ausgesetzt und eS wiederholten sich die Greuel von 1799.


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Se. Ferdinands. Eine Menge Verwundeter blieben auf dem Platze. Die Tam¬
boure riefen die Truppen zurück, nachdem die Barricade zerstört war, und fast
eine Stunde lang ruhte das Gefecht an dieser Stelle.

In der Zwischenzeit wüthete der Kampf an der Ecke des Vico Campane
und der Piazza Se. Brigida. Auch hier war eine Barricade genommen wor¬
den. Die Vertheidiger derselben flüchteten in die Häuser und beschossen von
den Fenstern und Balconen aus mit Erfolg die Truppen. Lazzaroni waren an
dieser Stelle noch thätig, die Hausthore zu versperren und das Militär von
den Dächern aus mit Steinen zu belästigen.

Da die Kanonen nicht ausreichten, zündeten die Soldaten einige Haus¬
thüren an und drangen auf diese Weise ins Innere der Gebäude. Der Palast
der Duca ti Cirelli fiel zuerst in ihre Hände. Die Vertheidiger, unter denen
ein bewaffnetes Frauenzimmer von gutem Stande, entkamen zum größten Theil
ins Nebengebäude.

So kämpfend gelangten die Schweizer von der Via Se. Ferdinands und
Se. Brigida nach dem Finanzministerium und Se. Giacomo, bis ihnen endlich
der Palazzo ti Lieto neuen Widerstand entschiedener Art bot. Auch dieser wurde
gebrochen und die darin versammelten Studenten und Provinzialen retteten
sich über die Dächer und durch Maueröffnungen in die Nebenhäuser.

Seit die Revolution zu unterliegen begann, hatten sich die Lazzaroni aus
Seite des Militärs geschlagen; hier war Beute, während man in den verthei¬
digten Häusern ihnen strenge auf die Finger gesehen hatte. Die Angriffsweise
war dabei immer dieselbe. Zuerst donnerten die Geschütze gegen die Barrica-
den, dann stürzten die Lazzaroni vor und schleppten for.t, was beweglich war;
endlich ging's in die benachbarten Häuser, und dort wurde wieder genommen,
was sich irgend fortschaffen ließ. Daß Scheußlichkeiten anderer Art dabei vor¬
kamen, ist erwiesen genug, doch überstimmte zum Glück die Habgier in den
meisten Fällen Leidenschaften noch schlimmern Charakters. Ob dies bei den
Soldaten in gleicher Weise der Fall war, bleibt, trotz der spätern Rechtferti¬
gung ihres Benehmens, Seitens der von der Schweiz nach Neapel gesandten
Delegirten, sehr zweifelhaft. Sie konnten nur leichtere, daher werthvollere
Beute unterbringen, Schmuck, Uhren, Geld, und da sie Ursache hatten mit der
größten Erbitterung Rache zu nehmen, so mögen die vielen Gerüchte über die
Ausbrüche ihrer Brutalität kaum die Wahrheit verletzen. Ueber diese
Vorwürfe, die dem Einzelnen weit weniger als dem System zur Last fallen,
können wir hier um so eher hinweggehen, als die Schweizer Neapels seitdem
nur zu zahlreiche Gelegenheit gehabt haben, sich auf ähnliche Vorgänge in civi-
listrteren Ländern zu berufen.

Neapels Hauptstraßen wurden bis zum Abend des Is. Mai den Schrecken
einer Plünderung ausgesetzt und eS wiederholten sich die Greuel von 1799.


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[0299] Se. Ferdinands. Eine Menge Verwundeter blieben auf dem Platze. Die Tam¬ boure riefen die Truppen zurück, nachdem die Barricade zerstört war, und fast eine Stunde lang ruhte das Gefecht an dieser Stelle. In der Zwischenzeit wüthete der Kampf an der Ecke des Vico Campane und der Piazza Se. Brigida. Auch hier war eine Barricade genommen wor¬ den. Die Vertheidiger derselben flüchteten in die Häuser und beschossen von den Fenstern und Balconen aus mit Erfolg die Truppen. Lazzaroni waren an dieser Stelle noch thätig, die Hausthore zu versperren und das Militär von den Dächern aus mit Steinen zu belästigen. Da die Kanonen nicht ausreichten, zündeten die Soldaten einige Haus¬ thüren an und drangen auf diese Weise ins Innere der Gebäude. Der Palast der Duca ti Cirelli fiel zuerst in ihre Hände. Die Vertheidiger, unter denen ein bewaffnetes Frauenzimmer von gutem Stande, entkamen zum größten Theil ins Nebengebäude. So kämpfend gelangten die Schweizer von der Via Se. Ferdinands und Se. Brigida nach dem Finanzministerium und Se. Giacomo, bis ihnen endlich der Palazzo ti Lieto neuen Widerstand entschiedener Art bot. Auch dieser wurde gebrochen und die darin versammelten Studenten und Provinzialen retteten sich über die Dächer und durch Maueröffnungen in die Nebenhäuser. Seit die Revolution zu unterliegen begann, hatten sich die Lazzaroni aus Seite des Militärs geschlagen; hier war Beute, während man in den verthei¬ digten Häusern ihnen strenge auf die Finger gesehen hatte. Die Angriffsweise war dabei immer dieselbe. Zuerst donnerten die Geschütze gegen die Barrica- den, dann stürzten die Lazzaroni vor und schleppten for.t, was beweglich war; endlich ging's in die benachbarten Häuser, und dort wurde wieder genommen, was sich irgend fortschaffen ließ. Daß Scheußlichkeiten anderer Art dabei vor¬ kamen, ist erwiesen genug, doch überstimmte zum Glück die Habgier in den meisten Fällen Leidenschaften noch schlimmern Charakters. Ob dies bei den Soldaten in gleicher Weise der Fall war, bleibt, trotz der spätern Rechtferti¬ gung ihres Benehmens, Seitens der von der Schweiz nach Neapel gesandten Delegirten, sehr zweifelhaft. Sie konnten nur leichtere, daher werthvollere Beute unterbringen, Schmuck, Uhren, Geld, und da sie Ursache hatten mit der größten Erbitterung Rache zu nehmen, so mögen die vielen Gerüchte über die Ausbrüche ihrer Brutalität kaum die Wahrheit verletzen. Ueber diese Vorwürfe, die dem Einzelnen weit weniger als dem System zur Last fallen, können wir hier um so eher hinweggehen, als die Schweizer Neapels seitdem nur zu zahlreiche Gelegenheit gehabt haben, sich auf ähnliche Vorgänge in civi- listrteren Ländern zu berufen. Neapels Hauptstraßen wurden bis zum Abend des Is. Mai den Schrecken einer Plünderung ausgesetzt und eS wiederholten sich die Greuel von 1799. 37"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/299>, abgerufen am 23.07.2024.