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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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mit Unterhandluttgen über diesen Gegenstand hin. Während man noch hin
und herstritt, wie und ob geschworen werden sollte, mischte sich plötzlich das
Parterre des StraßenpublicumS in die Discussion.

Ein Capitän der Nationalgarde nämlich stürzte kurz vor Mitternacht in
den Saal und rief in höchster Aufregung: die königlichen Truppen seien im
Begriff auszurücken. Noch hatte der Commandant der Nationalgarde, General
Gabriel Pepe nicht den Saal verlassen, als die Rufe: Tradimento, armi,
barricate! schon von außen ertönten. Vergebens waren die Zureden Pepes
und deS Obersten Piccolelli, die Bestürzung unter der Garde ward schon zu
allgemein. Sie zählte damals noch nicht völlig 9000 Mann gegen eine dop¬
pelte Anzahl regulären Militärs. Oberst Carducci ließ eigenmächtig General¬
marsch schlagen und gleichzeitig wuchsen Barricaden in allen Straßen aus dem
Pflaster, die erste aus dem Largo Se. Nicolo della Carna.

Der alte General Pignatelli Strongoli arbeitete sich während dieses
Tumults von der provisorischen Pairskammer (Palazzo Cariati) nach dem
Monte Oliveto durch. Er hatte die von der Pairskammer angenommene
Schwurformel in der Hand und empfahl sie mit zitternder Stimme den Depu¬
taten zur Annahme. Sie lautete: "Ich verspreche und schwöre zu gehorchen,
und Gehorsam zu verschaffen der Verfassung vom 10. Februar und sie weiter
zu entwickeln, (ti svolgerla) nach Maßgabe des Decrets vom 5. April." Auch
d^ehe Formel wurde verworfen, weil die Majorität von der Pairskammer nichts
wissen wollte. Dagegen beschloß man von dem Könige eine Verschiebung des
Schwurs zu erbitten.

Während der Nacht vom -IL. auf den 13. Mai war die Bevölkerung
Neapels nicht zur Ruhe gekommen. Der Ausbau von Barricaden wurde in
allen, dem Mittelpunkt der Stadt nahe gelegenen Straßen ununterbrochen
fortgesetzt. Da niemand zu Bette ging, erhielten Matratzen, Kissen und Decken
ihren Posten theils auf den umgestürzten Wagen und Marktgestellen, theils
auf den Altären des Toledo, um bei etwaigen Ausbruch des Kampfes eine
schützende Brustwehr zu bilden. Aus allen umliegenden Ortschaften trafen
Zuzüge Kampfluftiger ein, manche mit der vorsorglicher Absicht, bei möglicher
Plünderungsgelegenheit zur rechten Zeit am Platze zu sein. An Waffen war
noch immer Mangel. Man bemächtigte sich ohne Mühe einiger abgelegener
Gendarmeriewachthäuser, und bediente sich der vorgefundenen Musketen. Auch
in dem großen Armenhause suchte und fand man eine Anzahl brauchbarer
Spieße und Gewehre.

Als der Morgenhimmel sich röthete, und der selten ganz verschwindende
Dampf des Vesuves deutlicher und goldner wurde, durchstrich ein Haufen
Unbewaffneter die Strada de'Tribunale. Die alte Votivkirche Karls des l.
von Anjou, Se. Lorenzo Maggiore, lockte die Wassensuchenden. Es war


mit Unterhandluttgen über diesen Gegenstand hin. Während man noch hin
und herstritt, wie und ob geschworen werden sollte, mischte sich plötzlich das
Parterre des StraßenpublicumS in die Discussion.

Ein Capitän der Nationalgarde nämlich stürzte kurz vor Mitternacht in
den Saal und rief in höchster Aufregung: die königlichen Truppen seien im
Begriff auszurücken. Noch hatte der Commandant der Nationalgarde, General
Gabriel Pepe nicht den Saal verlassen, als die Rufe: Tradimento, armi,
barricate! schon von außen ertönten. Vergebens waren die Zureden Pepes
und deS Obersten Piccolelli, die Bestürzung unter der Garde ward schon zu
allgemein. Sie zählte damals noch nicht völlig 9000 Mann gegen eine dop¬
pelte Anzahl regulären Militärs. Oberst Carducci ließ eigenmächtig General¬
marsch schlagen und gleichzeitig wuchsen Barricaden in allen Straßen aus dem
Pflaster, die erste aus dem Largo Se. Nicolo della Carna.

Der alte General Pignatelli Strongoli arbeitete sich während dieses
Tumults von der provisorischen Pairskammer (Palazzo Cariati) nach dem
Monte Oliveto durch. Er hatte die von der Pairskammer angenommene
Schwurformel in der Hand und empfahl sie mit zitternder Stimme den Depu¬
taten zur Annahme. Sie lautete: „Ich verspreche und schwöre zu gehorchen,
und Gehorsam zu verschaffen der Verfassung vom 10. Februar und sie weiter
zu entwickeln, (ti svolgerla) nach Maßgabe des Decrets vom 5. April." Auch
d^ehe Formel wurde verworfen, weil die Majorität von der Pairskammer nichts
wissen wollte. Dagegen beschloß man von dem Könige eine Verschiebung des
Schwurs zu erbitten.

Während der Nacht vom -IL. auf den 13. Mai war die Bevölkerung
Neapels nicht zur Ruhe gekommen. Der Ausbau von Barricaden wurde in
allen, dem Mittelpunkt der Stadt nahe gelegenen Straßen ununterbrochen
fortgesetzt. Da niemand zu Bette ging, erhielten Matratzen, Kissen und Decken
ihren Posten theils auf den umgestürzten Wagen und Marktgestellen, theils
auf den Altären des Toledo, um bei etwaigen Ausbruch des Kampfes eine
schützende Brustwehr zu bilden. Aus allen umliegenden Ortschaften trafen
Zuzüge Kampfluftiger ein, manche mit der vorsorglicher Absicht, bei möglicher
Plünderungsgelegenheit zur rechten Zeit am Platze zu sein. An Waffen war
noch immer Mangel. Man bemächtigte sich ohne Mühe einiger abgelegener
Gendarmeriewachthäuser, und bediente sich der vorgefundenen Musketen. Auch
in dem großen Armenhause suchte und fand man eine Anzahl brauchbarer
Spieße und Gewehre.

Als der Morgenhimmel sich röthete, und der selten ganz verschwindende
Dampf des Vesuves deutlicher und goldner wurde, durchstrich ein Haufen
Unbewaffneter die Strada de'Tribunale. Die alte Votivkirche Karls des l.
von Anjou, Se. Lorenzo Maggiore, lockte die Wassensuchenden. Es war


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[0296] mit Unterhandluttgen über diesen Gegenstand hin. Während man noch hin und herstritt, wie und ob geschworen werden sollte, mischte sich plötzlich das Parterre des StraßenpublicumS in die Discussion. Ein Capitän der Nationalgarde nämlich stürzte kurz vor Mitternacht in den Saal und rief in höchster Aufregung: die königlichen Truppen seien im Begriff auszurücken. Noch hatte der Commandant der Nationalgarde, General Gabriel Pepe nicht den Saal verlassen, als die Rufe: Tradimento, armi, barricate! schon von außen ertönten. Vergebens waren die Zureden Pepes und deS Obersten Piccolelli, die Bestürzung unter der Garde ward schon zu allgemein. Sie zählte damals noch nicht völlig 9000 Mann gegen eine dop¬ pelte Anzahl regulären Militärs. Oberst Carducci ließ eigenmächtig General¬ marsch schlagen und gleichzeitig wuchsen Barricaden in allen Straßen aus dem Pflaster, die erste aus dem Largo Se. Nicolo della Carna. Der alte General Pignatelli Strongoli arbeitete sich während dieses Tumults von der provisorischen Pairskammer (Palazzo Cariati) nach dem Monte Oliveto durch. Er hatte die von der Pairskammer angenommene Schwurformel in der Hand und empfahl sie mit zitternder Stimme den Depu¬ taten zur Annahme. Sie lautete: „Ich verspreche und schwöre zu gehorchen, und Gehorsam zu verschaffen der Verfassung vom 10. Februar und sie weiter zu entwickeln, (ti svolgerla) nach Maßgabe des Decrets vom 5. April." Auch d^ehe Formel wurde verworfen, weil die Majorität von der Pairskammer nichts wissen wollte. Dagegen beschloß man von dem Könige eine Verschiebung des Schwurs zu erbitten. Während der Nacht vom -IL. auf den 13. Mai war die Bevölkerung Neapels nicht zur Ruhe gekommen. Der Ausbau von Barricaden wurde in allen, dem Mittelpunkt der Stadt nahe gelegenen Straßen ununterbrochen fortgesetzt. Da niemand zu Bette ging, erhielten Matratzen, Kissen und Decken ihren Posten theils auf den umgestürzten Wagen und Marktgestellen, theils auf den Altären des Toledo, um bei etwaigen Ausbruch des Kampfes eine schützende Brustwehr zu bilden. Aus allen umliegenden Ortschaften trafen Zuzüge Kampfluftiger ein, manche mit der vorsorglicher Absicht, bei möglicher Plünderungsgelegenheit zur rechten Zeit am Platze zu sein. An Waffen war noch immer Mangel. Man bemächtigte sich ohne Mühe einiger abgelegener Gendarmeriewachthäuser, und bediente sich der vorgefundenen Musketen. Auch in dem großen Armenhause suchte und fand man eine Anzahl brauchbarer Spieße und Gewehre. Als der Morgenhimmel sich röthete, und der selten ganz verschwindende Dampf des Vesuves deutlicher und goldner wurde, durchstrich ein Haufen Unbewaffneter die Strada de'Tribunale. Die alte Votivkirche Karls des l. von Anjou, Se. Lorenzo Maggiore, lockte die Wassensuchenden. Es war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/296>, abgerufen am 23.07.2024.