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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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die Schließer nicht ausgenommen, im Kerker tractirte) Verweisung anderer,
endlich Verbot des Rufes Viva it Ne! Dies drollige Verbot lautete:

"Die Rufe "Es lebe der König!" und das Beifallklatschen in einem der
Theater dieser Stadt, womit einige Neuerungen der Negierung aufgenommen
worden sind, dürften denn doch, wenn wiederholt, zu Ruhestörungen fuhren.
Deshalb befiehlt der Polizeipräfect u. s. w. Neapel 23. November 184,7." --
Die Musikbande zeigte sich von da an nicht mehr auf dem Largo del
Palazzo, das Volk war bearbeitet worden, jene Kundgebungen als Angriffe
auf König und Religion zu betrachten, und so verhielt sich denn eine Weile
alles wieder.ruhig.

Am 1i>. December wurde indessen eine Massendemonstration mit den be¬
kannten Unser von neuem auf der Piazza della Carien und in Toledo ohne
andern Erfolg versucht, als daß eine große Anzahl junger Nobili und Stu¬
denten arretirt wurden, was deren Angehörige dann wieder zu auffallenden
Besuchen im Gefängniß benutzten, wobei man seinen Namen an die Gefäng¬
nißthüre schrieb oder eine Visitenkarte in den Händen der Schließer zurückließ.

Gerüchte von einer auf den Weihnachtsabend beabsichtigten Empörung
waren inzwischen verbreitet worden; die Negierung beschloß ans ihrer Hut zu
sein, und der alte Prinz von Salerno mußte in nächtlicher Stille an allen
Wachen Verhaltungsbefehle herumtragen.

An ^ diesem Abende aber war an ein politisches Geschäft, also an eine
Auflehnung deS Volks, am allerwenigsten zu denken. Alte und Junge in
Neapel feiern die' Geburt des Messias durch eine ungewöhnliche Befriedigung
ihrer Eßlust. Die unglaublichsten Quantitäten Maccaroni, Pastiera, Struffolo,
Zeppole und Pizza werden vertilgt; LasagneS und Navioli können nie in
ausreichender Masse bereitet werden, und was an Pomme d'vro, an Granat¬
äpfeln, an Cocuzzen und Melonen aller Art bereits seit der Octoberernte an
allen Fenstern Neapels die Anwesenheit einer vorsorglicher Hausfrau verrieth,
kommt zum Weihnachtsfest aus der luftigen Speisekammer der Fenstergesimse
in die Küche und die Camera ti Pranzo. Alle andern Fragen, als die den
Magen betreffenden, sind ohne Gnade für diese festliche, Zeit in Verruf erklärt.
In den Räumen des Schlosses nicht minder als in den Sepolcri viol (den
strengsten Klöstern) und in den Fischer- und Lazzaronihütten des Largo del
merceuo, der Marinella und der Mergellina ist man einig darüber, daß heute
nur das eine Gesetz des guten Appetits Neapel regiert, und alle übrigen
Meinungsverschiedenheiten finden sich in diesem einen Gesammtbewußtsein
ausgeglichen.

Wenn die Maßregeln der Behörden an dem diesmaligen Weihnachtsfeste
hiermit nicht in Einklang waren; wenn man in allen Straßen Patrouillen
von Schweizern, Husaren, Gendarmen sah, denen mißmüthige und nach ihrer


Nlenzbvttn. IV. 18ö6. 33

die Schließer nicht ausgenommen, im Kerker tractirte) Verweisung anderer,
endlich Verbot des Rufes Viva it Ne! Dies drollige Verbot lautete:

„Die Rufe „Es lebe der König!" und das Beifallklatschen in einem der
Theater dieser Stadt, womit einige Neuerungen der Negierung aufgenommen
worden sind, dürften denn doch, wenn wiederholt, zu Ruhestörungen fuhren.
Deshalb befiehlt der Polizeipräfect u. s. w. Neapel 23. November 184,7." —
Die Musikbande zeigte sich von da an nicht mehr auf dem Largo del
Palazzo, das Volk war bearbeitet worden, jene Kundgebungen als Angriffe
auf König und Religion zu betrachten, und so verhielt sich denn eine Weile
alles wieder.ruhig.

Am 1i>. December wurde indessen eine Massendemonstration mit den be¬
kannten Unser von neuem auf der Piazza della Carien und in Toledo ohne
andern Erfolg versucht, als daß eine große Anzahl junger Nobili und Stu¬
denten arretirt wurden, was deren Angehörige dann wieder zu auffallenden
Besuchen im Gefängniß benutzten, wobei man seinen Namen an die Gefäng¬
nißthüre schrieb oder eine Visitenkarte in den Händen der Schließer zurückließ.

Gerüchte von einer auf den Weihnachtsabend beabsichtigten Empörung
waren inzwischen verbreitet worden; die Negierung beschloß ans ihrer Hut zu
sein, und der alte Prinz von Salerno mußte in nächtlicher Stille an allen
Wachen Verhaltungsbefehle herumtragen.

An ^ diesem Abende aber war an ein politisches Geschäft, also an eine
Auflehnung deS Volks, am allerwenigsten zu denken. Alte und Junge in
Neapel feiern die' Geburt des Messias durch eine ungewöhnliche Befriedigung
ihrer Eßlust. Die unglaublichsten Quantitäten Maccaroni, Pastiera, Struffolo,
Zeppole und Pizza werden vertilgt; LasagneS und Navioli können nie in
ausreichender Masse bereitet werden, und was an Pomme d'vro, an Granat¬
äpfeln, an Cocuzzen und Melonen aller Art bereits seit der Octoberernte an
allen Fenstern Neapels die Anwesenheit einer vorsorglicher Hausfrau verrieth,
kommt zum Weihnachtsfest aus der luftigen Speisekammer der Fenstergesimse
in die Küche und die Camera ti Pranzo. Alle andern Fragen, als die den
Magen betreffenden, sind ohne Gnade für diese festliche, Zeit in Verruf erklärt.
In den Räumen des Schlosses nicht minder als in den Sepolcri viol (den
strengsten Klöstern) und in den Fischer- und Lazzaronihütten des Largo del
merceuo, der Marinella und der Mergellina ist man einig darüber, daß heute
nur das eine Gesetz des guten Appetits Neapel regiert, und alle übrigen
Meinungsverschiedenheiten finden sich in diesem einen Gesammtbewußtsein
ausgeglichen.

Wenn die Maßregeln der Behörden an dem diesmaligen Weihnachtsfeste
hiermit nicht in Einklang waren; wenn man in allen Straßen Patrouillen
von Schweizern, Husaren, Gendarmen sah, denen mißmüthige und nach ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/281>, abgerufen am 23.07.2024.