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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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weder Gott, noch Engel, noch Teufel bei Namen genannt werden; alle Liebenden
mußten unschuldig sein, nur gute Grundsätze durften zur Sprache kommen und
die Tugend wurde durch die totale Abwesenheit jedes Lastercontrastes so ver¬
wässert und unwahrscheinlich, daß man im Theater nur noch vor Gähnen
Thränen vergoß. Waren gute Stücke durch die Censur zu solche" Fadheiten
umrevidirt worden, so fiel das Regierungsfeuillcton hinterdrein noch mit der
ganzen Malice der eignen Unproductivität über die verstümmelten Auto¬
ren her.

Alfieri war verboten. Die fleischfarbenen Beine der Tänzerinnen durftni
sich nur noch in den heiligen Farben Muhameds zeigen und ein lächerliches
Geschick hat gewollt, daß die Tricots der Balletnymphen für Neapel eine
Art Barometer der Knechtschaft geworden sind. Denn im Winter 18^7 mit
der Constitution zugleich trat das Ballet wieder in seine verkümmerten Rechte.
Die grünen Hosen warf man in die Rumpelkammer und machte die Gazehüllen
der Tänzerinnen anderer Hauptstädte zu seiner Devise. Aber der Umsturz der
Verfassung zog auch unerbittlich die grünen wieder aus der Rumpelkammer.
Das erstaunte Parterre sah die Farben der Hoffnung plötzlich wieder zu einer
Zeit auftauchen, als die Hollenüberschrift Dantes eben grade auf allen Lippen
schwebte. Als der Kronprinz einige Jahre später zum ersten Male -- er zählte
18 Jahre -- ins Theater Se. Carlo geführt wurde, legte man es ihm als
Zeichen guter Sitte aus, daß er, während des Ballets, der Bühne den Rücken
zuwandte. Da aber die Hosensrage längst in Neapel eine politische Bedeutung
angenommen hat, so gab es andere, welche in dieser kronprinzlichen Mißachtung
eine politische Demonstration erblickten und das Dämmern einer freisinnigen
Zukunft voraussagten, welche, sobald sie eintritt, die Tricots wieder fleisch¬
farben machen wird.

Während die Reformen im Kirchenstaat und in Toscana eine fieberhafte
Stimmung über die ganze Halbinsel verbreiteten, die Räubereien und politischen
Unruhen in der Silla Calabriens aber durch General Statella rasch unterdrückt
wurden, erschien ein Buch -- niemand wußte wo -- daß sich in Millionen
Cremplaren verbreitete und einen Kernpunkt für alle mißvergnügten Gespräche
in Neapel abgab. ES hieß la Protest" und brachte in vortrefflicher Klarheit
alle Gründe zusammen, die sich gegen das bisherige Regierungssystem und
zwar besonders vom Standpunkt der Sicilianer erheben ließen. Der Beicht¬
vater des Königs, Monsignor Conte, trug es zum König und die Verfolgungen
nahmen sofort ihren Anfang. Wer war der Autor? Niemand wußte ihn zu
nennen. Nach Dupins Meinung aber ist es rathsam, wo eine Verhaftung
droht, zu flüchten und wäre man auch beschuldigt, die Kirchthürme von Notre-
dame in die Tasche gesteckt -- d. h. das Unmögliche gethan zu haben. So
suchten denn eine Menge Verdächtigter das Weite. Man floh nach Griechen-


weder Gott, noch Engel, noch Teufel bei Namen genannt werden; alle Liebenden
mußten unschuldig sein, nur gute Grundsätze durften zur Sprache kommen und
die Tugend wurde durch die totale Abwesenheit jedes Lastercontrastes so ver¬
wässert und unwahrscheinlich, daß man im Theater nur noch vor Gähnen
Thränen vergoß. Waren gute Stücke durch die Censur zu solche» Fadheiten
umrevidirt worden, so fiel das Regierungsfeuillcton hinterdrein noch mit der
ganzen Malice der eignen Unproductivität über die verstümmelten Auto¬
ren her.

Alfieri war verboten. Die fleischfarbenen Beine der Tänzerinnen durftni
sich nur noch in den heiligen Farben Muhameds zeigen und ein lächerliches
Geschick hat gewollt, daß die Tricots der Balletnymphen für Neapel eine
Art Barometer der Knechtschaft geworden sind. Denn im Winter 18^7 mit
der Constitution zugleich trat das Ballet wieder in seine verkümmerten Rechte.
Die grünen Hosen warf man in die Rumpelkammer und machte die Gazehüllen
der Tänzerinnen anderer Hauptstädte zu seiner Devise. Aber der Umsturz der
Verfassung zog auch unerbittlich die grünen wieder aus der Rumpelkammer.
Das erstaunte Parterre sah die Farben der Hoffnung plötzlich wieder zu einer
Zeit auftauchen, als die Hollenüberschrift Dantes eben grade auf allen Lippen
schwebte. Als der Kronprinz einige Jahre später zum ersten Male — er zählte
18 Jahre — ins Theater Se. Carlo geführt wurde, legte man es ihm als
Zeichen guter Sitte aus, daß er, während des Ballets, der Bühne den Rücken
zuwandte. Da aber die Hosensrage längst in Neapel eine politische Bedeutung
angenommen hat, so gab es andere, welche in dieser kronprinzlichen Mißachtung
eine politische Demonstration erblickten und das Dämmern einer freisinnigen
Zukunft voraussagten, welche, sobald sie eintritt, die Tricots wieder fleisch¬
farben machen wird.

Während die Reformen im Kirchenstaat und in Toscana eine fieberhafte
Stimmung über die ganze Halbinsel verbreiteten, die Räubereien und politischen
Unruhen in der Silla Calabriens aber durch General Statella rasch unterdrückt
wurden, erschien ein Buch — niemand wußte wo — daß sich in Millionen
Cremplaren verbreitete und einen Kernpunkt für alle mißvergnügten Gespräche
in Neapel abgab. ES hieß la Protest« und brachte in vortrefflicher Klarheit
alle Gründe zusammen, die sich gegen das bisherige Regierungssystem und
zwar besonders vom Standpunkt der Sicilianer erheben ließen. Der Beicht¬
vater des Königs, Monsignor Conte, trug es zum König und die Verfolgungen
nahmen sofort ihren Anfang. Wer war der Autor? Niemand wußte ihn zu
nennen. Nach Dupins Meinung aber ist es rathsam, wo eine Verhaftung
droht, zu flüchten und wäre man auch beschuldigt, die Kirchthürme von Notre-
dame in die Tasche gesteckt — d. h. das Unmögliche gethan zu haben. So
suchten denn eine Menge Verdächtigter das Weite. Man floh nach Griechen-


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[0278] weder Gott, noch Engel, noch Teufel bei Namen genannt werden; alle Liebenden mußten unschuldig sein, nur gute Grundsätze durften zur Sprache kommen und die Tugend wurde durch die totale Abwesenheit jedes Lastercontrastes so ver¬ wässert und unwahrscheinlich, daß man im Theater nur noch vor Gähnen Thränen vergoß. Waren gute Stücke durch die Censur zu solche» Fadheiten umrevidirt worden, so fiel das Regierungsfeuillcton hinterdrein noch mit der ganzen Malice der eignen Unproductivität über die verstümmelten Auto¬ ren her. Alfieri war verboten. Die fleischfarbenen Beine der Tänzerinnen durftni sich nur noch in den heiligen Farben Muhameds zeigen und ein lächerliches Geschick hat gewollt, daß die Tricots der Balletnymphen für Neapel eine Art Barometer der Knechtschaft geworden sind. Denn im Winter 18^7 mit der Constitution zugleich trat das Ballet wieder in seine verkümmerten Rechte. Die grünen Hosen warf man in die Rumpelkammer und machte die Gazehüllen der Tänzerinnen anderer Hauptstädte zu seiner Devise. Aber der Umsturz der Verfassung zog auch unerbittlich die grünen wieder aus der Rumpelkammer. Das erstaunte Parterre sah die Farben der Hoffnung plötzlich wieder zu einer Zeit auftauchen, als die Hollenüberschrift Dantes eben grade auf allen Lippen schwebte. Als der Kronprinz einige Jahre später zum ersten Male — er zählte 18 Jahre — ins Theater Se. Carlo geführt wurde, legte man es ihm als Zeichen guter Sitte aus, daß er, während des Ballets, der Bühne den Rücken zuwandte. Da aber die Hosensrage längst in Neapel eine politische Bedeutung angenommen hat, so gab es andere, welche in dieser kronprinzlichen Mißachtung eine politische Demonstration erblickten und das Dämmern einer freisinnigen Zukunft voraussagten, welche, sobald sie eintritt, die Tricots wieder fleisch¬ farben machen wird. Während die Reformen im Kirchenstaat und in Toscana eine fieberhafte Stimmung über die ganze Halbinsel verbreiteten, die Räubereien und politischen Unruhen in der Silla Calabriens aber durch General Statella rasch unterdrückt wurden, erschien ein Buch — niemand wußte wo — daß sich in Millionen Cremplaren verbreitete und einen Kernpunkt für alle mißvergnügten Gespräche in Neapel abgab. ES hieß la Protest« und brachte in vortrefflicher Klarheit alle Gründe zusammen, die sich gegen das bisherige Regierungssystem und zwar besonders vom Standpunkt der Sicilianer erheben ließen. Der Beicht¬ vater des Königs, Monsignor Conte, trug es zum König und die Verfolgungen nahmen sofort ihren Anfang. Wer war der Autor? Niemand wußte ihn zu nennen. Nach Dupins Meinung aber ist es rathsam, wo eine Verhaftung droht, zu flüchten und wäre man auch beschuldigt, die Kirchthürme von Notre- dame in die Tasche gesteckt — d. h. das Unmögliche gethan zu haben. So suchten denn eine Menge Verdächtigter das Weite. Man floh nach Griechen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/278>, abgerufen am 23.07.2024.