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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Gaumen, die an diese Speise gewöhnt sind, finden sie Nur schmackhaft, wenn
sie stark gewürzt ist. Doch ist auch darin mit Finesse einige Abwechselung
anzubringen, und so wie, man bei den geistlichen Fürsten sonst an Fasttagen
den Fisch in Gestalt von Schinken und Wildpret servirte, so lassen sich um¬
gekehrt die feinsten und fettesten Gerichte der Schmeichelei in Gestalt von
Fastenspeisen auftragen. Dahin gehört z. B. das Klagen und Schelten, daß
der Fürst sich mit Arbeiten zu Grund richte; das Boudiren; besonders absichtliche
kleine Vergehen, um darüber in Verzweiflung zu gerathen, die Vergebung für
unmöglich zu halten :c. , Hierin ganz neu, glänzend und gleichsam Erfinder
zu sein, ist freilich sehr schwer, da schon so viel Genie auf diesen Gegenstand
verwendet worden ist. Schmeichelei ist ein viel sichreres Mittel zu gefallen,
als Geist und Witz. Viel Geist wird überhaupt an Höfen nicht geliebt; theils
weil er nur für die eristirt, die ihn appreciren können, theils weil in der That
nicht geleugnet werden kann, daß in dem Witz etwas Demokratisches, Offen¬
sives, Hostiles liegt, während die mehr defensive Feinheit vorzugsweise am
Hofe ihre Anwendung findet.

Doch bleibt stets zu empfehlen, sich im gewöhnlichen Leben durch Auf¬
richtigkeit, Gradheit und wohlwollendes Entgegenkommen das, Vertrauen zu
erwerben, damit die Leute bei vorkommenden wichtigen Fällen leichter in die
Falle gehen.

Die Hauptaufgabe des Diplomaten ist, sich nie und nimmermehr zu com-
promittiren. Hierin versehen es Männer, denen man sonst Kopf und Talent
gar nicht absprechen kann, doch manchmal, weil sie sich vom Diensteifer fort¬
reißen lassen. Wenn auch das Wohl des Staates davon abhinge, muß man
doch seine Nesponsabilität nie engagiren, sondern unter allen Umständen sich
streng an die Instruction halten, und unerschüttert und fest, mit stoischer Ge¬
lassenheit, das Unglück des Staates hereinbrechen sehen. -- Sollten Sie -jemals
in die traurige Lage versetzt werden, ohne vorher eingeholte Instruction in
schwierigen Verhältnissen aus eignem Antrieb und nach eigner Ansicht handeln
zu müssen, so wird Ihr Genie in den entscheidenden Augenblicken gewiß Mittel
finden, sich durch eine zweckmäßige Ambiguität des Ausdrucks, welche ver¬
schiedene Auslegungen zuläßt, aus der Verlegenheit zu ziehen und Ihre Ver¬
antwortlichkeit zu decken. In solcher Lage muß man keinen Augenblick anstehen,
andern, besonders Untergebenen, die Verlegenheit zuzuwälzen und sie im Noth¬
fall zu sacrificiren.

Was nun insbesondere den russischen Hof betrifft, so müssen Sie nie
vergessen, daß er vollkommen die Conscience seiner Ueberlegenheit und seines
Vorrangs vor allen übrigen hat. Während andere Staaten mit den Schwie¬
rigkeiten der innern Verwaltung zu kämpfen haben, absolvirt dieser seine innern
Angelegenheiten mit der größten Leichtigkeit und bedeckt diese Pudenda gewisser-


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Gaumen, die an diese Speise gewöhnt sind, finden sie Nur schmackhaft, wenn
sie stark gewürzt ist. Doch ist auch darin mit Finesse einige Abwechselung
anzubringen, und so wie, man bei den geistlichen Fürsten sonst an Fasttagen
den Fisch in Gestalt von Schinken und Wildpret servirte, so lassen sich um¬
gekehrt die feinsten und fettesten Gerichte der Schmeichelei in Gestalt von
Fastenspeisen auftragen. Dahin gehört z. B. das Klagen und Schelten, daß
der Fürst sich mit Arbeiten zu Grund richte; das Boudiren; besonders absichtliche
kleine Vergehen, um darüber in Verzweiflung zu gerathen, die Vergebung für
unmöglich zu halten :c. , Hierin ganz neu, glänzend und gleichsam Erfinder
zu sein, ist freilich sehr schwer, da schon so viel Genie auf diesen Gegenstand
verwendet worden ist. Schmeichelei ist ein viel sichreres Mittel zu gefallen,
als Geist und Witz. Viel Geist wird überhaupt an Höfen nicht geliebt; theils
weil er nur für die eristirt, die ihn appreciren können, theils weil in der That
nicht geleugnet werden kann, daß in dem Witz etwas Demokratisches, Offen¬
sives, Hostiles liegt, während die mehr defensive Feinheit vorzugsweise am
Hofe ihre Anwendung findet.

Doch bleibt stets zu empfehlen, sich im gewöhnlichen Leben durch Auf¬
richtigkeit, Gradheit und wohlwollendes Entgegenkommen das, Vertrauen zu
erwerben, damit die Leute bei vorkommenden wichtigen Fällen leichter in die
Falle gehen.

Die Hauptaufgabe des Diplomaten ist, sich nie und nimmermehr zu com-
promittiren. Hierin versehen es Männer, denen man sonst Kopf und Talent
gar nicht absprechen kann, doch manchmal, weil sie sich vom Diensteifer fort¬
reißen lassen. Wenn auch das Wohl des Staates davon abhinge, muß man
doch seine Nesponsabilität nie engagiren, sondern unter allen Umständen sich
streng an die Instruction halten, und unerschüttert und fest, mit stoischer Ge¬
lassenheit, das Unglück des Staates hereinbrechen sehen. — Sollten Sie -jemals
in die traurige Lage versetzt werden, ohne vorher eingeholte Instruction in
schwierigen Verhältnissen aus eignem Antrieb und nach eigner Ansicht handeln
zu müssen, so wird Ihr Genie in den entscheidenden Augenblicken gewiß Mittel
finden, sich durch eine zweckmäßige Ambiguität des Ausdrucks, welche ver¬
schiedene Auslegungen zuläßt, aus der Verlegenheit zu ziehen und Ihre Ver¬
antwortlichkeit zu decken. In solcher Lage muß man keinen Augenblick anstehen,
andern, besonders Untergebenen, die Verlegenheit zuzuwälzen und sie im Noth¬
fall zu sacrificiren.

Was nun insbesondere den russischen Hof betrifft, so müssen Sie nie
vergessen, daß er vollkommen die Conscience seiner Ueberlegenheit und seines
Vorrangs vor allen übrigen hat. Während andere Staaten mit den Schwie¬
rigkeiten der innern Verwaltung zu kämpfen haben, absolvirt dieser seine innern
Angelegenheiten mit der größten Leichtigkeit und bedeckt diese Pudenda gewisser-


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[0275] Gaumen, die an diese Speise gewöhnt sind, finden sie Nur schmackhaft, wenn sie stark gewürzt ist. Doch ist auch darin mit Finesse einige Abwechselung anzubringen, und so wie, man bei den geistlichen Fürsten sonst an Fasttagen den Fisch in Gestalt von Schinken und Wildpret servirte, so lassen sich um¬ gekehrt die feinsten und fettesten Gerichte der Schmeichelei in Gestalt von Fastenspeisen auftragen. Dahin gehört z. B. das Klagen und Schelten, daß der Fürst sich mit Arbeiten zu Grund richte; das Boudiren; besonders absichtliche kleine Vergehen, um darüber in Verzweiflung zu gerathen, die Vergebung für unmöglich zu halten :c. , Hierin ganz neu, glänzend und gleichsam Erfinder zu sein, ist freilich sehr schwer, da schon so viel Genie auf diesen Gegenstand verwendet worden ist. Schmeichelei ist ein viel sichreres Mittel zu gefallen, als Geist und Witz. Viel Geist wird überhaupt an Höfen nicht geliebt; theils weil er nur für die eristirt, die ihn appreciren können, theils weil in der That nicht geleugnet werden kann, daß in dem Witz etwas Demokratisches, Offen¬ sives, Hostiles liegt, während die mehr defensive Feinheit vorzugsweise am Hofe ihre Anwendung findet. Doch bleibt stets zu empfehlen, sich im gewöhnlichen Leben durch Auf¬ richtigkeit, Gradheit und wohlwollendes Entgegenkommen das, Vertrauen zu erwerben, damit die Leute bei vorkommenden wichtigen Fällen leichter in die Falle gehen. Die Hauptaufgabe des Diplomaten ist, sich nie und nimmermehr zu com- promittiren. Hierin versehen es Männer, denen man sonst Kopf und Talent gar nicht absprechen kann, doch manchmal, weil sie sich vom Diensteifer fort¬ reißen lassen. Wenn auch das Wohl des Staates davon abhinge, muß man doch seine Nesponsabilität nie engagiren, sondern unter allen Umständen sich streng an die Instruction halten, und unerschüttert und fest, mit stoischer Ge¬ lassenheit, das Unglück des Staates hereinbrechen sehen. — Sollten Sie -jemals in die traurige Lage versetzt werden, ohne vorher eingeholte Instruction in schwierigen Verhältnissen aus eignem Antrieb und nach eigner Ansicht handeln zu müssen, so wird Ihr Genie in den entscheidenden Augenblicken gewiß Mittel finden, sich durch eine zweckmäßige Ambiguität des Ausdrucks, welche ver¬ schiedene Auslegungen zuläßt, aus der Verlegenheit zu ziehen und Ihre Ver¬ antwortlichkeit zu decken. In solcher Lage muß man keinen Augenblick anstehen, andern, besonders Untergebenen, die Verlegenheit zuzuwälzen und sie im Noth¬ fall zu sacrificiren. Was nun insbesondere den russischen Hof betrifft, so müssen Sie nie vergessen, daß er vollkommen die Conscience seiner Ueberlegenheit und seines Vorrangs vor allen übrigen hat. Während andere Staaten mit den Schwie¬ rigkeiten der innern Verwaltung zu kämpfen haben, absolvirt dieser seine innern Angelegenheiten mit der größten Leichtigkeit und bedeckt diese Pudenda gewisser- 34'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/275>, abgerufen am 23.07.2024.