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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Sie accreditirt sind, sondern auch stets gegen den eignen in Anwendung
kommen muß. In Ihren Berichten nach Hof müssen Sie wenig Werth darauf
legen, die Verhältnisse so zu schildern, wie sie wirklich sind; sondern sie stets
in dem Lichte zeigen, in welchem man sie dort sehen will. Glauben Sie nicht,
daß man es Ihnen Dank wissen wird, wenn Sie sich der Wahrheit befleißigen
und unerwünschte Evenements mit prophetischem Geiste vorhersagen. Mir ist
bekannt, daß ein alter verdienter Diplomat in Paris, der unter dem Ministe¬
rium Polignac in seinen Berichten die Gefahren der Monarchie schilderte und
den Sturz der Bourbons befürchten ließ, einen derben Verweis erhielt und
zugleich den Befehl, seine Berichte in streng royalistischem Sinne abzufassen.
Es ist daher sehr nützlich, am eignen Hofe einen Freund zu halten, der von
Zeit zu Zeit Nachricht gibt, wie dort der Wind weht.

Sie wissen, daß es nur eine gute Gesellschaft gibt, welche sich in allen
Residenzstädten so ziemlich gleicht, in Ansichten und Sitten übereinstimmt, und
in Europa gleichsam eine große Familie bildet. Leute von Welt unterscheiden
auf den ersten Blick, wer dazu gehört, wer nicht. Ihr bekannter, in aristo¬
kratischen Ohren wohlklingender Name ist Ihnen die beste Einlaßkarte. Ihre
Erziehung und die Muster, welche Sie stets vor Augen gehabt haben, werden
es Ihnen leicht machen, alle nationalen Vorurtheile und Eigenheiten sehr bald
abzustreifen, und in dieser Gesellschaft einheimisch zu werden. Lassen Sie eS sich
vor allem angelegen sein, durch ihre Aeußerungen und die Wahl ihres Um¬
gangs die Meinung zu begründen --- vous sich xur, Wut ö, kalt. pur. --
Man bezeichnet damit an Höfen Leute, deren rein royalistische Gesinnungen
über allen Zweifel erhaben, und die von den politischen Schwindeleien der
Zeit nicht angesteckt sind. -- Sie werden sich zu diesem Zwecke, wenn von
Verfassungen, Parlamenten, Opposition :e. die Rede ist, stets mit gewissem
Affect der Ausdrücke: Jakobiner, Demagogen, Propaganda, Meuterer, Schreier,
Aufrührer zu bedienen haben. Das Wort Revolution, das in der Geschichte
eine gewisse neutrale Bezeichnung erhalten hat, ist zu vermeiden.

Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, Ihnen den Rath zu erthei¬
len, auch gewisse Vorurtheile einer veralteten Aristokratie abzulegen. Das ge¬
wisse einand, u, moi, der Geist der Unabhängigkeit, das stolze Selbstgefühl und
ritterliche point Ä'Kmmeur, das dieser sonst eigen zu sein pflegte, würde heut¬
zutage an sehr unrechter Stelle sein. Die wahre noblesso us cour muß un¬
ter den Augen des Monarchen in Blick und Geberde stets das Bekenntniß
legen, daß sie ein schwaches Rohr in seiner Hand sei. Wie kann man eS den
Fürsten, die täglich durch die Insolenzen des Volks und demagogische Umtriebe
erbittert werden, und durch die Anmaßungen der Kammern gezwungen sind,
sich zu verstellen und sich Gewalt anzuthun, -- wie kann man es diesen ver¬
argen, wenn sie sich in ihrem Interieur ein bischen gehen lassen und so zu


Sie accreditirt sind, sondern auch stets gegen den eignen in Anwendung
kommen muß. In Ihren Berichten nach Hof müssen Sie wenig Werth darauf
legen, die Verhältnisse so zu schildern, wie sie wirklich sind; sondern sie stets
in dem Lichte zeigen, in welchem man sie dort sehen will. Glauben Sie nicht,
daß man es Ihnen Dank wissen wird, wenn Sie sich der Wahrheit befleißigen
und unerwünschte Evenements mit prophetischem Geiste vorhersagen. Mir ist
bekannt, daß ein alter verdienter Diplomat in Paris, der unter dem Ministe¬
rium Polignac in seinen Berichten die Gefahren der Monarchie schilderte und
den Sturz der Bourbons befürchten ließ, einen derben Verweis erhielt und
zugleich den Befehl, seine Berichte in streng royalistischem Sinne abzufassen.
Es ist daher sehr nützlich, am eignen Hofe einen Freund zu halten, der von
Zeit zu Zeit Nachricht gibt, wie dort der Wind weht.

Sie wissen, daß es nur eine gute Gesellschaft gibt, welche sich in allen
Residenzstädten so ziemlich gleicht, in Ansichten und Sitten übereinstimmt, und
in Europa gleichsam eine große Familie bildet. Leute von Welt unterscheiden
auf den ersten Blick, wer dazu gehört, wer nicht. Ihr bekannter, in aristo¬
kratischen Ohren wohlklingender Name ist Ihnen die beste Einlaßkarte. Ihre
Erziehung und die Muster, welche Sie stets vor Augen gehabt haben, werden
es Ihnen leicht machen, alle nationalen Vorurtheile und Eigenheiten sehr bald
abzustreifen, und in dieser Gesellschaft einheimisch zu werden. Lassen Sie eS sich
vor allem angelegen sein, durch ihre Aeußerungen und die Wahl ihres Um¬
gangs die Meinung zu begründen -— vous sich xur, Wut ö, kalt. pur. —
Man bezeichnet damit an Höfen Leute, deren rein royalistische Gesinnungen
über allen Zweifel erhaben, und die von den politischen Schwindeleien der
Zeit nicht angesteckt sind. — Sie werden sich zu diesem Zwecke, wenn von
Verfassungen, Parlamenten, Opposition :e. die Rede ist, stets mit gewissem
Affect der Ausdrücke: Jakobiner, Demagogen, Propaganda, Meuterer, Schreier,
Aufrührer zu bedienen haben. Das Wort Revolution, das in der Geschichte
eine gewisse neutrale Bezeichnung erhalten hat, ist zu vermeiden.

Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, Ihnen den Rath zu erthei¬
len, auch gewisse Vorurtheile einer veralteten Aristokratie abzulegen. Das ge¬
wisse einand, u, moi, der Geist der Unabhängigkeit, das stolze Selbstgefühl und
ritterliche point Ä'Kmmeur, das dieser sonst eigen zu sein pflegte, würde heut¬
zutage an sehr unrechter Stelle sein. Die wahre noblesso us cour muß un¬
ter den Augen des Monarchen in Blick und Geberde stets das Bekenntniß
legen, daß sie ein schwaches Rohr in seiner Hand sei. Wie kann man eS den
Fürsten, die täglich durch die Insolenzen des Volks und demagogische Umtriebe
erbittert werden, und durch die Anmaßungen der Kammern gezwungen sind,
sich zu verstellen und sich Gewalt anzuthun, — wie kann man es diesen ver¬
argen, wenn sie sich in ihrem Interieur ein bischen gehen lassen und so zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/272>, abgerufen am 26.08.2024.