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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Eigenthümlich ist Bacons Stellung zur Religion. Er, der unermüdliche
Denker, demnach allen Seiten hin die Wahrheit das unabweisbare Bedürfniß
war, ging in Bezug auf die Religion von dem tertullianischen creeio, quo
Kdsurcwm aus. Je vernunftwidriger das göttliche Mysterium ist, um so mehr
muß eS zur Ehre Gottes geglaubt werden. -- Diesen seltsamen Contrast erklärt
Fischer wol vollkommen richtig durch das Bestreben, die Philosophie von allen
theologischen Einflüssen frei zu erhalten, und diese Freiheit dadurch zu erkaufen,
daß er die Philosophie von der Religion fern hielt. "Sein eignes Interesse
lebte in der Welt, in der Natur und der Erfahrung. Der religiöse Glaube
war und wurde nie der Schatz seines Herzens. . . . Denken wir uns seine
religiöse Gesinnung dem Unglauben näher als dem Aberglauben und gleich
weit entfernt von Frömmigkeit und Heuchelei, so treffen wir sie an ihrem rich¬
tigen Orte, in einer kühlen Mitte, welche wenigstens sehr nahe an Gleich-
giltigkeit oder Glaubensindifferenz grenzte, wenn sie nicht wirklich im Jndiffe-
rcnzpunkte stand. Gemüthlich bellachtet, kostete ihm die Anerkennung, welche
er der Religion zollte, nichts, nicht einmal eine Vorstellung. Seine Glaubens-
ansichten kamen nicht aus der Fülle deS Herzens, sondern waren eine wohl¬
überlegte und wohlbegründete Haltung; sie waren nicht Maske, sondern
zeitgemäßes Costüm, welches ihm natürlich stand, aber sie waren auch streng¬
genommen kaum mehr als seine Kleidung."

Wie wenig die innere Ueberzeugung unsers Philosophen mit dem Ernst
des christlichen Glaubens harmonirte, ergibt sich aus seiner Erörterung der
sittlichen Begriffe. Nach ihm hat der Begriff des Guten nur eine relative
Bestimmung. Gut ist, was deu Menschen nützt, den Individuen wie der
Menschheit. Das gemeinnützige Handeln ist die höchste der menschlichen Pflichten.
Die ethische Verfassung, der Bacon nachstrebt, liegt in der Mitte oder im
Indifferenzpunkt,der Leidenschaften; sie ist die zur Gewohnheit gewordene Ge¬
müthsruhe, die angebildete Gleichgiltigkeit gegen die Macht der Affecte. --
Man mag mit diesem Moralprincip übereinstimmen oder nicht, jedenfalls wird
man zugeben, daß es mit dem Christenthum nichts zu thun hat, weil dieses
den Zweck begriff, aus dem System der Pflichten entfernte.

Wir brechen hier ab, indem wir noch mit Dank anerkennen, daß der
Verfasser sich nicht blos um die Geschichte der Philosophie, sondern auch Um
die Feststellung dessen, was der Zweck der Philosophie ist, ein nicht gemeines
Verdienst erworben hat. Um so erfreulicher ist es, daß ' in Bezug auf
ihn die thüringischen Regierungen wieder gut gemacht haben, was die Heidel¬
berger Behörden in übergroßem Eifer verfehlten, und wir können nicht unter¬
lassen, auch der philosophischen Facultät von Berlin rühmend zu gedenken, die
"und bei dieser Frage gezeigt hat, wie ehrlich sie es mit dem freien Fortschritt
in den Wissenschaften meint.




Eigenthümlich ist Bacons Stellung zur Religion. Er, der unermüdliche
Denker, demnach allen Seiten hin die Wahrheit das unabweisbare Bedürfniß
war, ging in Bezug auf die Religion von dem tertullianischen creeio, quo
Kdsurcwm aus. Je vernunftwidriger das göttliche Mysterium ist, um so mehr
muß eS zur Ehre Gottes geglaubt werden. — Diesen seltsamen Contrast erklärt
Fischer wol vollkommen richtig durch das Bestreben, die Philosophie von allen
theologischen Einflüssen frei zu erhalten, und diese Freiheit dadurch zu erkaufen,
daß er die Philosophie von der Religion fern hielt. „Sein eignes Interesse
lebte in der Welt, in der Natur und der Erfahrung. Der religiöse Glaube
war und wurde nie der Schatz seines Herzens. . . . Denken wir uns seine
religiöse Gesinnung dem Unglauben näher als dem Aberglauben und gleich
weit entfernt von Frömmigkeit und Heuchelei, so treffen wir sie an ihrem rich¬
tigen Orte, in einer kühlen Mitte, welche wenigstens sehr nahe an Gleich-
giltigkeit oder Glaubensindifferenz grenzte, wenn sie nicht wirklich im Jndiffe-
rcnzpunkte stand. Gemüthlich bellachtet, kostete ihm die Anerkennung, welche
er der Religion zollte, nichts, nicht einmal eine Vorstellung. Seine Glaubens-
ansichten kamen nicht aus der Fülle deS Herzens, sondern waren eine wohl¬
überlegte und wohlbegründete Haltung; sie waren nicht Maske, sondern
zeitgemäßes Costüm, welches ihm natürlich stand, aber sie waren auch streng¬
genommen kaum mehr als seine Kleidung."

Wie wenig die innere Ueberzeugung unsers Philosophen mit dem Ernst
des christlichen Glaubens harmonirte, ergibt sich aus seiner Erörterung der
sittlichen Begriffe. Nach ihm hat der Begriff des Guten nur eine relative
Bestimmung. Gut ist, was deu Menschen nützt, den Individuen wie der
Menschheit. Das gemeinnützige Handeln ist die höchste der menschlichen Pflichten.
Die ethische Verfassung, der Bacon nachstrebt, liegt in der Mitte oder im
Indifferenzpunkt,der Leidenschaften; sie ist die zur Gewohnheit gewordene Ge¬
müthsruhe, die angebildete Gleichgiltigkeit gegen die Macht der Affecte. —
Man mag mit diesem Moralprincip übereinstimmen oder nicht, jedenfalls wird
man zugeben, daß es mit dem Christenthum nichts zu thun hat, weil dieses
den Zweck begriff, aus dem System der Pflichten entfernte.

Wir brechen hier ab, indem wir noch mit Dank anerkennen, daß der
Verfasser sich nicht blos um die Geschichte der Philosophie, sondern auch Um
die Feststellung dessen, was der Zweck der Philosophie ist, ein nicht gemeines
Verdienst erworben hat. Um so erfreulicher ist es, daß ' in Bezug auf
ihn die thüringischen Regierungen wieder gut gemacht haben, was die Heidel¬
berger Behörden in übergroßem Eifer verfehlten, und wir können nicht unter¬
lassen, auch der philosophischen Facultät von Berlin rühmend zu gedenken, die
"und bei dieser Frage gezeigt hat, wie ehrlich sie es mit dem freien Fortschritt
in den Wissenschaften meint.




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[0261] Eigenthümlich ist Bacons Stellung zur Religion. Er, der unermüdliche Denker, demnach allen Seiten hin die Wahrheit das unabweisbare Bedürfniß war, ging in Bezug auf die Religion von dem tertullianischen creeio, quo Kdsurcwm aus. Je vernunftwidriger das göttliche Mysterium ist, um so mehr muß eS zur Ehre Gottes geglaubt werden. — Diesen seltsamen Contrast erklärt Fischer wol vollkommen richtig durch das Bestreben, die Philosophie von allen theologischen Einflüssen frei zu erhalten, und diese Freiheit dadurch zu erkaufen, daß er die Philosophie von der Religion fern hielt. „Sein eignes Interesse lebte in der Welt, in der Natur und der Erfahrung. Der religiöse Glaube war und wurde nie der Schatz seines Herzens. . . . Denken wir uns seine religiöse Gesinnung dem Unglauben näher als dem Aberglauben und gleich weit entfernt von Frömmigkeit und Heuchelei, so treffen wir sie an ihrem rich¬ tigen Orte, in einer kühlen Mitte, welche wenigstens sehr nahe an Gleich- giltigkeit oder Glaubensindifferenz grenzte, wenn sie nicht wirklich im Jndiffe- rcnzpunkte stand. Gemüthlich bellachtet, kostete ihm die Anerkennung, welche er der Religion zollte, nichts, nicht einmal eine Vorstellung. Seine Glaubens- ansichten kamen nicht aus der Fülle deS Herzens, sondern waren eine wohl¬ überlegte und wohlbegründete Haltung; sie waren nicht Maske, sondern zeitgemäßes Costüm, welches ihm natürlich stand, aber sie waren auch streng¬ genommen kaum mehr als seine Kleidung." Wie wenig die innere Ueberzeugung unsers Philosophen mit dem Ernst des christlichen Glaubens harmonirte, ergibt sich aus seiner Erörterung der sittlichen Begriffe. Nach ihm hat der Begriff des Guten nur eine relative Bestimmung. Gut ist, was deu Menschen nützt, den Individuen wie der Menschheit. Das gemeinnützige Handeln ist die höchste der menschlichen Pflichten. Die ethische Verfassung, der Bacon nachstrebt, liegt in der Mitte oder im Indifferenzpunkt,der Leidenschaften; sie ist die zur Gewohnheit gewordene Ge¬ müthsruhe, die angebildete Gleichgiltigkeit gegen die Macht der Affecte. — Man mag mit diesem Moralprincip übereinstimmen oder nicht, jedenfalls wird man zugeben, daß es mit dem Christenthum nichts zu thun hat, weil dieses den Zweck begriff, aus dem System der Pflichten entfernte. Wir brechen hier ab, indem wir noch mit Dank anerkennen, daß der Verfasser sich nicht blos um die Geschichte der Philosophie, sondern auch Um die Feststellung dessen, was der Zweck der Philosophie ist, ein nicht gemeines Verdienst erworben hat. Um so erfreulicher ist es, daß ' in Bezug auf ihn die thüringischen Regierungen wieder gut gemacht haben, was die Heidel¬ berger Behörden in übergroßem Eifer verfehlten, und wir können nicht unter¬ lassen, auch der philosophischen Facultät von Berlin rühmend zu gedenken, die "und bei dieser Frage gezeigt hat, wie ehrlich sie es mit dem freien Fortschritt in den Wissenschaften meint.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/261>, abgerufen am 23.07.2024.