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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Jahre lang hatten nSittlich seine Gendarmen nicht vermocht, des calabresischen
Räubers Giosafatte Talarico habhaft zu werden; jetzt brachte er ihn dahin,
auf Lipari freie Wohnung und eine runde königliche Pension anzunehmen und
dafür seinem gefährlichen Handwerk zu entsagen. Man hat Talarico, welcher
sich mit Frau und Kindern wohl sein läßt, spater nach Ischia versetzt, dem
beneidenswerthesten Eilande der Welt, und Fremde versagen sich selten die
traurige Augenweide, diesen Dieb und Mörder, welcher frei herumgeht und
auf Staatskosten für sein Alter versorgt ist, zu besuchen. Mangel an Scham¬
gefühl verräth es, daß dieser Mann grade eine so vielbesuchte Insel bewohnen
darf, die ohnehin zu des Königs Lieblingsaufenthalten gehört; aber daß über¬
haupt ein Staat in der gezwungenen Lage ist, seine Verbrecher durch Pen¬
sionen unschädlich zu machen, wie dies schon mit Vnrdarelli und anbellt ge¬
schah , verurtheilt die Regierung dieses Staats und ist eins der augenfälligsten
Kennzeichen ihrer Unfähigkeit.

Im Jahre 1846 verweilte der russische Kaiser kurze Zeit in Neapel und,
befestigte das Band natürlicher Zuni'igutig, das schön seit langem beide Dy¬
nastien umschlang. Die Lebhaftigkeit der neapolitanischen Phantasie übte sich
damals an Erfindungen über die Art, wie Nikolaus seine Person sicher zü
stellen Pflegte. Zwei Pistolen lagen, so hieß es, als er im königlichen Palast
schlief, zu beiden Seiten seines aus einem Löwenfell bestehenden Lagers. Ein
großer russischer Hund lag vor det Schwelle auf Wache. Man hatte Sorge
getragen, die gewöhnlichen Bettler und Krüppel des Toledo und der Chiaia
in Gefängnissen und Spitälern unterzubringen; der Kaiser kannte zwar den
Kunstgriff aus eigner Erfahrung, hütete sich aber wohl, der damals eben be¬
ginnenden Hungersnoth Erwähnung zu thun und stattete seinen Dank durch
zwei kolossale Bronzepferde (Arbeit des Preußen Cloot) ab. Sie schmücken den
Eingang des Gartens hinter Se. Carlo. Da man aber an dem Märchen von
dem russischen Hunde noch nicht genug hatte, so gab es noch eine palermitaner
Version > wonach der ohne sein Wissen immer von Polizeicommissaren um¬
gebene Kaiser, in einen! derselben ein verdächtiges Subject vermuthend, diesem
Plötzlich die Pistole auf die Brust gesetzt hätte. Der arme Commissär sei vor
Schreck vom Schlage gerührt worden. Es ist wenigstens charakteristisch für
das Verhältniß eines Volkes zu seinen Regenten, wenn es sich Herrscher nur
von der mißtrauischen und furchtsamen Seite vorstellt.

Im bewegungsreichen Jahre 1847 unternahm der König eine zweite Reise.
Er hatte die Absicht Jncognito zu reisen und mit eignen Augen zu sehen, wo
es fehlte. Da ein neapolitanischer König aber nicht nach der Art Josephs oder
Friedrich des Großen reisen kann, und das Morgenland schon die fernsten
Ausläufer seiner Sitten in dieser Gegend geltend macht, so verrieth ihn n""-


Jahre lang hatten nSittlich seine Gendarmen nicht vermocht, des calabresischen
Räubers Giosafatte Talarico habhaft zu werden; jetzt brachte er ihn dahin,
auf Lipari freie Wohnung und eine runde königliche Pension anzunehmen und
dafür seinem gefährlichen Handwerk zu entsagen. Man hat Talarico, welcher
sich mit Frau und Kindern wohl sein läßt, spater nach Ischia versetzt, dem
beneidenswerthesten Eilande der Welt, und Fremde versagen sich selten die
traurige Augenweide, diesen Dieb und Mörder, welcher frei herumgeht und
auf Staatskosten für sein Alter versorgt ist, zu besuchen. Mangel an Scham¬
gefühl verräth es, daß dieser Mann grade eine so vielbesuchte Insel bewohnen
darf, die ohnehin zu des Königs Lieblingsaufenthalten gehört; aber daß über¬
haupt ein Staat in der gezwungenen Lage ist, seine Verbrecher durch Pen¬
sionen unschädlich zu machen, wie dies schon mit Vnrdarelli und anbellt ge¬
schah , verurtheilt die Regierung dieses Staats und ist eins der augenfälligsten
Kennzeichen ihrer Unfähigkeit.

Im Jahre 1846 verweilte der russische Kaiser kurze Zeit in Neapel und,
befestigte das Band natürlicher Zuni'igutig, das schön seit langem beide Dy¬
nastien umschlang. Die Lebhaftigkeit der neapolitanischen Phantasie übte sich
damals an Erfindungen über die Art, wie Nikolaus seine Person sicher zü
stellen Pflegte. Zwei Pistolen lagen, so hieß es, als er im königlichen Palast
schlief, zu beiden Seiten seines aus einem Löwenfell bestehenden Lagers. Ein
großer russischer Hund lag vor det Schwelle auf Wache. Man hatte Sorge
getragen, die gewöhnlichen Bettler und Krüppel des Toledo und der Chiaia
in Gefängnissen und Spitälern unterzubringen; der Kaiser kannte zwar den
Kunstgriff aus eigner Erfahrung, hütete sich aber wohl, der damals eben be¬
ginnenden Hungersnoth Erwähnung zu thun und stattete seinen Dank durch
zwei kolossale Bronzepferde (Arbeit des Preußen Cloot) ab. Sie schmücken den
Eingang des Gartens hinter Se. Carlo. Da man aber an dem Märchen von
dem russischen Hunde noch nicht genug hatte, so gab es noch eine palermitaner
Version > wonach der ohne sein Wissen immer von Polizeicommissaren um¬
gebene Kaiser, in einen! derselben ein verdächtiges Subject vermuthend, diesem
Plötzlich die Pistole auf die Brust gesetzt hätte. Der arme Commissär sei vor
Schreck vom Schlage gerührt worden. Es ist wenigstens charakteristisch für
das Verhältniß eines Volkes zu seinen Regenten, wenn es sich Herrscher nur
von der mißtrauischen und furchtsamen Seite vorstellt.

Im bewegungsreichen Jahre 1847 unternahm der König eine zweite Reise.
Er hatte die Absicht Jncognito zu reisen und mit eignen Augen zu sehen, wo
es fehlte. Da ein neapolitanischer König aber nicht nach der Art Josephs oder
Friedrich des Großen reisen kann, und das Morgenland schon die fernsten
Ausläufer seiner Sitten in dieser Gegend geltend macht, so verrieth ihn n««-


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[0245] Jahre lang hatten nSittlich seine Gendarmen nicht vermocht, des calabresischen Räubers Giosafatte Talarico habhaft zu werden; jetzt brachte er ihn dahin, auf Lipari freie Wohnung und eine runde königliche Pension anzunehmen und dafür seinem gefährlichen Handwerk zu entsagen. Man hat Talarico, welcher sich mit Frau und Kindern wohl sein läßt, spater nach Ischia versetzt, dem beneidenswerthesten Eilande der Welt, und Fremde versagen sich selten die traurige Augenweide, diesen Dieb und Mörder, welcher frei herumgeht und auf Staatskosten für sein Alter versorgt ist, zu besuchen. Mangel an Scham¬ gefühl verräth es, daß dieser Mann grade eine so vielbesuchte Insel bewohnen darf, die ohnehin zu des Königs Lieblingsaufenthalten gehört; aber daß über¬ haupt ein Staat in der gezwungenen Lage ist, seine Verbrecher durch Pen¬ sionen unschädlich zu machen, wie dies schon mit Vnrdarelli und anbellt ge¬ schah , verurtheilt die Regierung dieses Staats und ist eins der augenfälligsten Kennzeichen ihrer Unfähigkeit. Im Jahre 1846 verweilte der russische Kaiser kurze Zeit in Neapel und, befestigte das Band natürlicher Zuni'igutig, das schön seit langem beide Dy¬ nastien umschlang. Die Lebhaftigkeit der neapolitanischen Phantasie übte sich damals an Erfindungen über die Art, wie Nikolaus seine Person sicher zü stellen Pflegte. Zwei Pistolen lagen, so hieß es, als er im königlichen Palast schlief, zu beiden Seiten seines aus einem Löwenfell bestehenden Lagers. Ein großer russischer Hund lag vor det Schwelle auf Wache. Man hatte Sorge getragen, die gewöhnlichen Bettler und Krüppel des Toledo und der Chiaia in Gefängnissen und Spitälern unterzubringen; der Kaiser kannte zwar den Kunstgriff aus eigner Erfahrung, hütete sich aber wohl, der damals eben be¬ ginnenden Hungersnoth Erwähnung zu thun und stattete seinen Dank durch zwei kolossale Bronzepferde (Arbeit des Preußen Cloot) ab. Sie schmücken den Eingang des Gartens hinter Se. Carlo. Da man aber an dem Märchen von dem russischen Hunde noch nicht genug hatte, so gab es noch eine palermitaner Version > wonach der ohne sein Wissen immer von Polizeicommissaren um¬ gebene Kaiser, in einen! derselben ein verdächtiges Subject vermuthend, diesem Plötzlich die Pistole auf die Brust gesetzt hätte. Der arme Commissär sei vor Schreck vom Schlage gerührt worden. Es ist wenigstens charakteristisch für das Verhältniß eines Volkes zu seinen Regenten, wenn es sich Herrscher nur von der mißtrauischen und furchtsamen Seite vorstellt. Im bewegungsreichen Jahre 1847 unternahm der König eine zweite Reise. Er hatte die Absicht Jncognito zu reisen und mit eignen Augen zu sehen, wo es fehlte. Da ein neapolitanischer König aber nicht nach der Art Josephs oder Friedrich des Großen reisen kann, und das Morgenland schon die fernsten Ausläufer seiner Sitten in dieser Gegend geltend macht, so verrieth ihn n««-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/245>, abgerufen am 23.07.2024.