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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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directe Unterstützung Rußlands; die Altpreußen und Gothaer haben mit einer
Ausdauer und Lebhaftigkeit, die nicht übertroffen werden könnte, die Regie¬
rung zu dem Bündniß mit Oestreich und den Westmächten zu treiben gesucht;
die ministeriellen Blätter meinten immer: nonctum in<zi'lal"zö, wir wollen zuerst
ruhig abwarten, wie die Sache sich gestalten wird, um dann entscheidend
einzugreifen, und die Demokraten der Nalioualzeitung meinten, da aus dem
Kriege doch nichts Kluges herauskommen wird, so wollen wir lieber Frieden
halten. Alle diese Parteien können unmöglich gleichzeitig Unrecht haben,
und namentlich sollte man erwarten, daß die Altpreußen und Goihaer, die
in dieser Frage ungefähr das Nämliche wollten, was Jürgens für recht hält,
sich seines Beifalls erfreuen müßten; aber grade die Gothaer haben auch in
dieser Sache nach ihm am meisten Unrecht, weil sie immer von der Absicht
ausgehen, Preußen in Deutschland zu heben, und diese Absicht ist das radi¬
kale Uebel, an dem Deutschland leidet. -- Wir glauben uns nicht zu stark
auszudrücken, wenn wir dergleichen als eine leere Faselei bezeichnen.

Wir sind durchaus nicht gemeint, die Berechtigung unserer Gegner zu
verkennen. Wir begreifen die Politik derjenigen, die eine Wiederherstellung
des deutschöstreichischcn Kaisertums erstreben und zu diesem Zweck Preußen
zu einer Macht zweiten oder dritten Ranges Herabdrücken möchten; namentlich
bei den Ultramontanen ist uns eine solche Politik sehr begreiflich. -- Wir be¬
greisen ferner die Politik derjenigen, die jede heftige Bewegung fürchten und
daher alles beim Alten lassen wollen, weil, wenn man eins in Frage stellt,
das ganze Leben bedroht wird. Wir begreifen endlich die Wünsche der¬
jenigen, die den deutschen Einheitsstaat von unten aufrichten wollen. -- Wenn
man aber diese drei höchst verschiedenen, ja zum Theil entgegengesetzten Motive
durcheinanverwirft, und als leitende Idee blos die instinctartige Abneigung
gegen Preußen festhält, so können wir darin nur entweder eine vollständige
Unklarheit, oder eine treulose Sophistik sehn. Wir fürchten sehr, in dieser
Schrift das Letztere finden zu müssen, wenigstens ist der folgende Passus
S. 371--372 äußerst bedenklich. Es werden nämlich die Freunde Preußens
getadelt, weil sie in Preußen die protestantische Schutzmacht Deutschlands sehen:
"Trotzdem daß es sich mit dem protestantischen Preußen ganz ähnlich wie mit
den Traditionen Friedrichs II. verhält, indem es damit nicht mehr recht geht,
da Preußen zu zwei Fünfteln seiner Bevölkerung katholisch und demnach so
viel weniger protestantisch und so viel mehr paritätisch geworden, und indem
Oestreich im Begriff ist -- wir setzen voraus, daß es den Geboten der Ge¬
rechtigkeit und Klugheit vollständig genügen werde--- die Grundsätze der Kirchen-
freiheit und der Gleichberechtigung der Konfessionen durchzuführen, wodurch die
Bedeutung eines protestantischen Schutzstaats in Deutschland als eines solchen,
wenn nicht obsolet doch wesentlich verringert wird." So zu schreiben, nachdem


directe Unterstützung Rußlands; die Altpreußen und Gothaer haben mit einer
Ausdauer und Lebhaftigkeit, die nicht übertroffen werden könnte, die Regie¬
rung zu dem Bündniß mit Oestreich und den Westmächten zu treiben gesucht;
die ministeriellen Blätter meinten immer: nonctum in<zi'lal«zö, wir wollen zuerst
ruhig abwarten, wie die Sache sich gestalten wird, um dann entscheidend
einzugreifen, und die Demokraten der Nalioualzeitung meinten, da aus dem
Kriege doch nichts Kluges herauskommen wird, so wollen wir lieber Frieden
halten. Alle diese Parteien können unmöglich gleichzeitig Unrecht haben,
und namentlich sollte man erwarten, daß die Altpreußen und Goihaer, die
in dieser Frage ungefähr das Nämliche wollten, was Jürgens für recht hält,
sich seines Beifalls erfreuen müßten; aber grade die Gothaer haben auch in
dieser Sache nach ihm am meisten Unrecht, weil sie immer von der Absicht
ausgehen, Preußen in Deutschland zu heben, und diese Absicht ist das radi¬
kale Uebel, an dem Deutschland leidet. — Wir glauben uns nicht zu stark
auszudrücken, wenn wir dergleichen als eine leere Faselei bezeichnen.

Wir sind durchaus nicht gemeint, die Berechtigung unserer Gegner zu
verkennen. Wir begreifen die Politik derjenigen, die eine Wiederherstellung
des deutschöstreichischcn Kaisertums erstreben und zu diesem Zweck Preußen
zu einer Macht zweiten oder dritten Ranges Herabdrücken möchten; namentlich
bei den Ultramontanen ist uns eine solche Politik sehr begreiflich. — Wir be¬
greisen ferner die Politik derjenigen, die jede heftige Bewegung fürchten und
daher alles beim Alten lassen wollen, weil, wenn man eins in Frage stellt,
das ganze Leben bedroht wird. Wir begreifen endlich die Wünsche der¬
jenigen, die den deutschen Einheitsstaat von unten aufrichten wollen. — Wenn
man aber diese drei höchst verschiedenen, ja zum Theil entgegengesetzten Motive
durcheinanverwirft, und als leitende Idee blos die instinctartige Abneigung
gegen Preußen festhält, so können wir darin nur entweder eine vollständige
Unklarheit, oder eine treulose Sophistik sehn. Wir fürchten sehr, in dieser
Schrift das Letztere finden zu müssen, wenigstens ist der folgende Passus
S. 371—372 äußerst bedenklich. Es werden nämlich die Freunde Preußens
getadelt, weil sie in Preußen die protestantische Schutzmacht Deutschlands sehen:
„Trotzdem daß es sich mit dem protestantischen Preußen ganz ähnlich wie mit
den Traditionen Friedrichs II. verhält, indem es damit nicht mehr recht geht,
da Preußen zu zwei Fünfteln seiner Bevölkerung katholisch und demnach so
viel weniger protestantisch und so viel mehr paritätisch geworden, und indem
Oestreich im Begriff ist — wir setzen voraus, daß es den Geboten der Ge¬
rechtigkeit und Klugheit vollständig genügen werde-— die Grundsätze der Kirchen-
freiheit und der Gleichberechtigung der Konfessionen durchzuführen, wodurch die
Bedeutung eines protestantischen Schutzstaats in Deutschland als eines solchen,
wenn nicht obsolet doch wesentlich verringert wird." So zu schreiben, nachdem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/222>, abgerufen am 23.07.2024.