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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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den Fall, daß die preußische Politik von, Anbeginn bis jetzt eine schwan¬
kende , haltlose und böswillige gewesen ist, dennoch die Sache für uns ent¬
schieden; es würde sich dann zeigen, daß der Jnstinct des Volks, nicht blos
des preußischen, sondern des deutschen Volks, seine Hoffnungen auf Preußen
setzt, und diese ideelle Stimmung ist das Capital, mit dem Preußen arbeiten
muß und auch stets gearbeitet hat. -- Noch ein andrer Punkt, den Jürgens
gleichfalls anführt, ist aus demselben Grunde zu erklären. Wenn in einer
Krisis die Sache sür Deutschland schief steht, so ist alle Welt darüber einig,
die Schuld auf Preußen zu schieben und die preußische Regierung mit Schmä¬
hungen zu überhäufen. So war z. B. seit langer Zeit keine Sache in Deutsch¬
land so populär, als die Sache, von Schleswig-Holstein. Bis zu Ende des
Jahres 1850 hatte sich Preußen dieser Sache angenommen, zuerst im offnen
Kampf, dann wenigstens durch mittelbare Unterstützung, die es den helden-
müthigen Bewohnern dieser Provinzen allein möglich machte, sich gegen die
Uebermacht zu halten. Nun verbanden sich Oestreich, Baiern, Würtemberg,
Sachsen, Hessen-Kassel u. s. w. zunächst untereinander, dann in weiterer Aus¬
sicht mit Rußland, Frankreich und andern auswärtigen Mächten, um die
Herzogthümer zu pacificiren d. h. sie Dänemark wieder zu unterwerfen und
Preußen zu zwingen, sich dieser Entscheidung zu fügen. Anstatt nun den
Kampf mit Rußland, Frankreich, Dänemark, Oestreich, Baiern, Sachsen, Hessen-
Kassel :c. ohne alle Unterstützung von außen gleichzeitig aufzunehmen, gab
Preußen nach und unterzeichnete die olmützer Punctationen, durch welche
Schleswig-Holstein Preis gegeben wurde. -- Gegen wen richtete sich nun der
Zorn des deutschen Publicums? Etwa gegen Oestreich und die übrigen Staaten,
die durch ihre Uebermacht Preußen gezwungen hatten, eine Sache aufzugeben,
die doch nicht von Preußen allein, sondern von dem gesammten deutschen
Reich angefangen war? -- Keineswegs, sondern gegen Preußen. -- Und
woher ist das zu erklären? -- Weil die öffentliche Meinung nach dem Grund¬
satz: liodlLsss oblisse Preußen die heldenmüthigsten Aufopferungen zur Ehre
Deutschlands zumuthet, den übrigen Mächten aber nichts zumuthet, weil sie
nichts von ihnen erwartet. Das ist freilich eine Schmeichelei,' die mitunter
sehr verdrießlich fallen kann/die aber 'doch auch einen sehr ernsthaften Inhalt
hat, denn sie zeigt, daß Preußen in seiner wie in der Meinung anderer ein
geschichtliches Leben hat. Herr Jürgens behauptet zwar S. 412, ein jeder
Staat hat sein eignes geschichtliches Leben, und es sei das kein besonderes
Vorrecht des preußischen Staats; aber diese Behauptung ist unwahr., denn
daß Frankreich, England in. ein geschichtliches Leben haben, weiß jeder, man
bezieht sich mit jener Vergleichung eben nur aus die deutschen Staaten;
gegenüber den deutschen Staaten darf man aber nicht blos von Hessen-Kassel
-behaupten, -daß es kein historisches Leben habe.


den Fall, daß die preußische Politik von, Anbeginn bis jetzt eine schwan¬
kende , haltlose und böswillige gewesen ist, dennoch die Sache für uns ent¬
schieden; es würde sich dann zeigen, daß der Jnstinct des Volks, nicht blos
des preußischen, sondern des deutschen Volks, seine Hoffnungen auf Preußen
setzt, und diese ideelle Stimmung ist das Capital, mit dem Preußen arbeiten
muß und auch stets gearbeitet hat. — Noch ein andrer Punkt, den Jürgens
gleichfalls anführt, ist aus demselben Grunde zu erklären. Wenn in einer
Krisis die Sache sür Deutschland schief steht, so ist alle Welt darüber einig,
die Schuld auf Preußen zu schieben und die preußische Regierung mit Schmä¬
hungen zu überhäufen. So war z. B. seit langer Zeit keine Sache in Deutsch¬
land so populär, als die Sache, von Schleswig-Holstein. Bis zu Ende des
Jahres 1850 hatte sich Preußen dieser Sache angenommen, zuerst im offnen
Kampf, dann wenigstens durch mittelbare Unterstützung, die es den helden-
müthigen Bewohnern dieser Provinzen allein möglich machte, sich gegen die
Uebermacht zu halten. Nun verbanden sich Oestreich, Baiern, Würtemberg,
Sachsen, Hessen-Kassel u. s. w. zunächst untereinander, dann in weiterer Aus¬
sicht mit Rußland, Frankreich und andern auswärtigen Mächten, um die
Herzogthümer zu pacificiren d. h. sie Dänemark wieder zu unterwerfen und
Preußen zu zwingen, sich dieser Entscheidung zu fügen. Anstatt nun den
Kampf mit Rußland, Frankreich, Dänemark, Oestreich, Baiern, Sachsen, Hessen-
Kassel :c. ohne alle Unterstützung von außen gleichzeitig aufzunehmen, gab
Preußen nach und unterzeichnete die olmützer Punctationen, durch welche
Schleswig-Holstein Preis gegeben wurde. — Gegen wen richtete sich nun der
Zorn des deutschen Publicums? Etwa gegen Oestreich und die übrigen Staaten,
die durch ihre Uebermacht Preußen gezwungen hatten, eine Sache aufzugeben,
die doch nicht von Preußen allein, sondern von dem gesammten deutschen
Reich angefangen war? — Keineswegs, sondern gegen Preußen. — Und
woher ist das zu erklären? — Weil die öffentliche Meinung nach dem Grund¬
satz: liodlLsss oblisse Preußen die heldenmüthigsten Aufopferungen zur Ehre
Deutschlands zumuthet, den übrigen Mächten aber nichts zumuthet, weil sie
nichts von ihnen erwartet. Das ist freilich eine Schmeichelei,' die mitunter
sehr verdrießlich fallen kann/die aber 'doch auch einen sehr ernsthaften Inhalt
hat, denn sie zeigt, daß Preußen in seiner wie in der Meinung anderer ein
geschichtliches Leben hat. Herr Jürgens behauptet zwar S. 412, ein jeder
Staat hat sein eignes geschichtliches Leben, und es sei das kein besonderes
Vorrecht des preußischen Staats; aber diese Behauptung ist unwahr., denn
daß Frankreich, England in. ein geschichtliches Leben haben, weiß jeder, man
bezieht sich mit jener Vergleichung eben nur aus die deutschen Staaten;
gegenüber den deutschen Staaten darf man aber nicht blos von Hessen-Kassel
-behaupten, -daß es kein historisches Leben habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/220>, abgerufen am 23.07.2024.