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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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führung nicht mehr selbst übernahmen, so gaben sie doch den Ton an, und
ihre übrige Thätigkeit wirkte auf die Kunst zurück. Man hat wol die Mängel
dieser Kunstepoche der klösterlichen Abgezogenheit und Unkenntniß der Mönche,
welche sie übten, zugeschrieben; in gewissem Sinne verhielt es sich aber grade
umgekehrt, die Kunst stand vielmehr mit dem praktischen Leben in allzu großer,
nicht wünschenswerther Verbindung. Der Staatsmann, der Priester und
überhaupt jeder, der praktisch wirkt, muß im Drange der Umstände mit dem
Erreichbaren zufrieden sein, kleine Uebel wegen größerer Vortheile übersehen,
er darf nicht nach dem Höchsten, dem Vollendeten streben, nicht mit weich¬
herziger Vorliebe am Einzelnen hängen. Seine Hand, an den Kampf mit
harten Stoffen gewöhnt, wird nothwendig das zarte Gefühl für die feinern
Schönheiten verlieren. Mit Recht und instinctmäßig pflegen sich daher auch
die Künstler von allzu großer, praktischer Thätigkeit, von dem Kampfe mit der
Noth deS Lebens fern zu halten.

Diese Vermischung so heterogener Thätigkeiten wirkte aber besonders nach¬
theilig in Beziehung aus die darstellenden Künste. Der Architektur stand sie
weniger im Wege, weil diese Kunst selbst von der Nützlichkeit ausgeht, weil
sie, wie die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten, vorwaltenden Verstandes
bedarf und ihre geistige Ausgabe in der Darstellung allgemeiner Verhältnisse
hat, in deren Würdigung der Blick des klugen Weltmannes geübt wird, weil
endlich das Detail ihrer Formen keine praktische Anwendung duldet. Die dar¬
stellenden Künste dagegen, weil sie allgemein verständliche Gestalten mit mora¬
lischen Beziehungen geben, können allerdings auch zu Nutzanwendungen ge¬
braucht werden, aber ein solcher Gebrauch ist ihrem Wesen feindlich, zerstört
grade die innere Freiheit ihrer Entfaltung. Und doch brachte es die Noth der
Tage und die lehrhafte Stellung der Geistlichen mit sich, daß sie nach un¬
mittelbaren Wirkungen strebten. Sie mußten gewissermaßen ihre Kunstübung
dadurch rechtfertigen, daß sie sie als nützlich betrachteten. Das konnte in mehr¬
facher Weise geschehen. Der allgemeinste, künstlerischer Auffassung nächste
Zweck war der unbestimmtere, durch ernste, strenge Haltung und Würde die
Beschauer feierlich zu stimmen, rohe, sinnliche Gefühle aus ihrer Brust zu ver¬
drängen, sie zur Theilnahme am Kirchendienste vorzubereiten. Dieser Zweck
war ohne Zweifel auch der vorherrschende, aus ihm gingen die höchsten Lei¬
stungen der Zeit hervor, die meisten Kunstwerke verrathen ihn. Sie dienen
nur der Architektur, verstärken die Stimmung, welche diese hervorbringen sollte.
Dies wird indessen nirgend von den gleichzeitigen Schriftstellern ausgesprochen;
es verstand sich für feinere Gemüther von selbst, lag aber nicht in dem be¬
wußten Zwecke der Zeit. Daher genügte >es auch der großen Zahl gemeiner
Praktiker unter den Geistlichen noch nicht, sie wollten noch eine andere, hand¬
greiflichere Nützlichkeit. Ihnen mußte es wichtig scheinen, die rohe, stumpfe


führung nicht mehr selbst übernahmen, so gaben sie doch den Ton an, und
ihre übrige Thätigkeit wirkte auf die Kunst zurück. Man hat wol die Mängel
dieser Kunstepoche der klösterlichen Abgezogenheit und Unkenntniß der Mönche,
welche sie übten, zugeschrieben; in gewissem Sinne verhielt es sich aber grade
umgekehrt, die Kunst stand vielmehr mit dem praktischen Leben in allzu großer,
nicht wünschenswerther Verbindung. Der Staatsmann, der Priester und
überhaupt jeder, der praktisch wirkt, muß im Drange der Umstände mit dem
Erreichbaren zufrieden sein, kleine Uebel wegen größerer Vortheile übersehen,
er darf nicht nach dem Höchsten, dem Vollendeten streben, nicht mit weich¬
herziger Vorliebe am Einzelnen hängen. Seine Hand, an den Kampf mit
harten Stoffen gewöhnt, wird nothwendig das zarte Gefühl für die feinern
Schönheiten verlieren. Mit Recht und instinctmäßig pflegen sich daher auch
die Künstler von allzu großer, praktischer Thätigkeit, von dem Kampfe mit der
Noth deS Lebens fern zu halten.

Diese Vermischung so heterogener Thätigkeiten wirkte aber besonders nach¬
theilig in Beziehung aus die darstellenden Künste. Der Architektur stand sie
weniger im Wege, weil diese Kunst selbst von der Nützlichkeit ausgeht, weil
sie, wie die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten, vorwaltenden Verstandes
bedarf und ihre geistige Ausgabe in der Darstellung allgemeiner Verhältnisse
hat, in deren Würdigung der Blick des klugen Weltmannes geübt wird, weil
endlich das Detail ihrer Formen keine praktische Anwendung duldet. Die dar¬
stellenden Künste dagegen, weil sie allgemein verständliche Gestalten mit mora¬
lischen Beziehungen geben, können allerdings auch zu Nutzanwendungen ge¬
braucht werden, aber ein solcher Gebrauch ist ihrem Wesen feindlich, zerstört
grade die innere Freiheit ihrer Entfaltung. Und doch brachte es die Noth der
Tage und die lehrhafte Stellung der Geistlichen mit sich, daß sie nach un¬
mittelbaren Wirkungen strebten. Sie mußten gewissermaßen ihre Kunstübung
dadurch rechtfertigen, daß sie sie als nützlich betrachteten. Das konnte in mehr¬
facher Weise geschehen. Der allgemeinste, künstlerischer Auffassung nächste
Zweck war der unbestimmtere, durch ernste, strenge Haltung und Würde die
Beschauer feierlich zu stimmen, rohe, sinnliche Gefühle aus ihrer Brust zu ver¬
drängen, sie zur Theilnahme am Kirchendienste vorzubereiten. Dieser Zweck
war ohne Zweifel auch der vorherrschende, aus ihm gingen die höchsten Lei¬
stungen der Zeit hervor, die meisten Kunstwerke verrathen ihn. Sie dienen
nur der Architektur, verstärken die Stimmung, welche diese hervorbringen sollte.
Dies wird indessen nirgend von den gleichzeitigen Schriftstellern ausgesprochen;
es verstand sich für feinere Gemüther von selbst, lag aber nicht in dem be¬
wußten Zwecke der Zeit. Daher genügte >es auch der großen Zahl gemeiner
Praktiker unter den Geistlichen noch nicht, sie wollten noch eine andere, hand¬
greiflichere Nützlichkeit. Ihnen mußte es wichtig scheinen, die rohe, stumpfe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/215>, abgerufen am 23.07.2024.