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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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tum der Vogt wieder an das Steinhaus und ließ sich wieder hinaufziehen.
Als er herauf kam, da fragte ihn sein Gevatter der Pfarrer, wie es ihm ge¬
gangen wäre, ob er auch ihn und seinen Kaplan von den Feinden los und
frei gebracht halte. Da sprach der Vogt: "Nein, Gevatter, sie wollen keinen
Pfaffen zu Gnaden annehmen." Da war der Pfarrer mit seinem Kaplan sehr
betrübt und sprach: "Wie gar jämmerlich verlaßt ihr mich und verrathet mich,
das sei Gott dem Allmächtige" geklagt. Da ich vormals von euch wollte
ziehen und fliehen, sprächet ihr, ich sollte bei euch bleiben, ihr wolltet gut
und übel mit mir leiden, und auch sterben oder Rettung finden, und ihr sprä¬
chet: wie darf der Hirte von den Schafen fliehen. Und jetzt steht es gar
übel, jetzt fliehen leider die Schafe von dem Hirten." Da sprachen die Frauen
und die Bürgerinnen weinend zu ihm: "O lieber Herr, nicht weinet, nicht be¬
trübet Euch, wir wollen Euch und Euren Kaplan in Flor hüllen") und wollen
Euch wohl mit hinab und wegbringen." Da sprach der Pfarrer Herr Meger-
lein: "Das wolle Gott nicht, daß ich mein Amt und Würdigkeit verleugnen soll,
denn ich bin ein Pfaffe und nicht eine Fraue, eure Männer aber w?rden das wohl
gewahr werben, wie jämmerlich sie mich dem Tod überantworten und hingeben
und sich selbst durch mich retten." Alle diese Klage und Rede beachtete man
">ehe. Nur zwei Kapläne ließen sich schleiern und nahmen Kinder auf ihre
Achseln. Aber der Pfarrer nicht.

Während dieser Rede einigte sich der Vogt mit den Bürgern, wie sie sich
ngeben wollten, und sie ergaben sich. Sie gingen hinab einer nach dem an¬
dern. Da standen die Böhmen und Hussen gar stark unten vor dem Stein¬
haus und nahmen sie alle gefangen. Nur die Frauen mit den Kindern ließen
sie los und frei hinweggehen. Aber ein großer Theil der Frauen, Jungfrauen
und Kinder war geflüchtet aus Furcht in die Keller; als nun das Feuer über
sie kam, da erstickten sie und vergingen alle. AIS sich nun alle von dem Stein¬
hause ergeben hatten, da blieb zuletzt der Pfarrer darauf und sonst noch ledige
Gesellschaft, als Knappen und andere Handwerksgesellen, die nichts hatten,
sich loszukaufen und vie besorgten, gefangen zu werben und zu verderben, die
vermahnte der Pfarrer und sprach: "Liebe Gesellen, wehrt euch heute eurer
Hälse und steht feste; denn werdet ihr euch gefangen geben, so werden sie
euch quälen, martern und peinigen." Da sprachen sie wieder, sie wollten es
thun. Aber als sie sahen, daß sich die Bürger alle ergeben hatten, da begann
ihnen zu grauen und gaben sich auch und gingen hinab. Und der Pfarrer
blieb also zuletzt da oben mit einem alten Dorfpfarrer. Da liefen die Hussen
hinauf und nahmen sie herab und führten sie in das Heer und den Pöbel.
Da war zur Hand gegenwärtig Meister Ambrosius, ein Ketzer von Grätz, der



*) Flvern, Floren und schleiern, in Frcmcntmcht hüllen.

tum der Vogt wieder an das Steinhaus und ließ sich wieder hinaufziehen.
Als er herauf kam, da fragte ihn sein Gevatter der Pfarrer, wie es ihm ge¬
gangen wäre, ob er auch ihn und seinen Kaplan von den Feinden los und
frei gebracht halte. Da sprach der Vogt: „Nein, Gevatter, sie wollen keinen
Pfaffen zu Gnaden annehmen." Da war der Pfarrer mit seinem Kaplan sehr
betrübt und sprach: „Wie gar jämmerlich verlaßt ihr mich und verrathet mich,
das sei Gott dem Allmächtige» geklagt. Da ich vormals von euch wollte
ziehen und fliehen, sprächet ihr, ich sollte bei euch bleiben, ihr wolltet gut
und übel mit mir leiden, und auch sterben oder Rettung finden, und ihr sprä¬
chet: wie darf der Hirte von den Schafen fliehen. Und jetzt steht es gar
übel, jetzt fliehen leider die Schafe von dem Hirten." Da sprachen die Frauen
und die Bürgerinnen weinend zu ihm: „O lieber Herr, nicht weinet, nicht be¬
trübet Euch, wir wollen Euch und Euren Kaplan in Flor hüllen") und wollen
Euch wohl mit hinab und wegbringen." Da sprach der Pfarrer Herr Meger-
lein: „Das wolle Gott nicht, daß ich mein Amt und Würdigkeit verleugnen soll,
denn ich bin ein Pfaffe und nicht eine Fraue, eure Männer aber w?rden das wohl
gewahr werben, wie jämmerlich sie mich dem Tod überantworten und hingeben
und sich selbst durch mich retten." Alle diese Klage und Rede beachtete man
">ehe. Nur zwei Kapläne ließen sich schleiern und nahmen Kinder auf ihre
Achseln. Aber der Pfarrer nicht.

Während dieser Rede einigte sich der Vogt mit den Bürgern, wie sie sich
ngeben wollten, und sie ergaben sich. Sie gingen hinab einer nach dem an¬
dern. Da standen die Böhmen und Hussen gar stark unten vor dem Stein¬
haus und nahmen sie alle gefangen. Nur die Frauen mit den Kindern ließen
sie los und frei hinweggehen. Aber ein großer Theil der Frauen, Jungfrauen
und Kinder war geflüchtet aus Furcht in die Keller; als nun das Feuer über
sie kam, da erstickten sie und vergingen alle. AIS sich nun alle von dem Stein¬
hause ergeben hatten, da blieb zuletzt der Pfarrer darauf und sonst noch ledige
Gesellschaft, als Knappen und andere Handwerksgesellen, die nichts hatten,
sich loszukaufen und vie besorgten, gefangen zu werben und zu verderben, die
vermahnte der Pfarrer und sprach: „Liebe Gesellen, wehrt euch heute eurer
Hälse und steht feste; denn werdet ihr euch gefangen geben, so werden sie
euch quälen, martern und peinigen." Da sprachen sie wieder, sie wollten es
thun. Aber als sie sahen, daß sich die Bürger alle ergeben hatten, da begann
ihnen zu grauen und gaben sich auch und gingen hinab. Und der Pfarrer
blieb also zuletzt da oben mit einem alten Dorfpfarrer. Da liefen die Hussen
hinauf und nahmen sie herab und führten sie in das Heer und den Pöbel.
Da war zur Hand gegenwärtig Meister Ambrosius, ein Ketzer von Grätz, der



*) Flvern, Floren und schleiern, in Frcmcntmcht hüllen.
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[0197] tum der Vogt wieder an das Steinhaus und ließ sich wieder hinaufziehen. Als er herauf kam, da fragte ihn sein Gevatter der Pfarrer, wie es ihm ge¬ gangen wäre, ob er auch ihn und seinen Kaplan von den Feinden los und frei gebracht halte. Da sprach der Vogt: „Nein, Gevatter, sie wollen keinen Pfaffen zu Gnaden annehmen." Da war der Pfarrer mit seinem Kaplan sehr betrübt und sprach: „Wie gar jämmerlich verlaßt ihr mich und verrathet mich, das sei Gott dem Allmächtige» geklagt. Da ich vormals von euch wollte ziehen und fliehen, sprächet ihr, ich sollte bei euch bleiben, ihr wolltet gut und übel mit mir leiden, und auch sterben oder Rettung finden, und ihr sprä¬ chet: wie darf der Hirte von den Schafen fliehen. Und jetzt steht es gar übel, jetzt fliehen leider die Schafe von dem Hirten." Da sprachen die Frauen und die Bürgerinnen weinend zu ihm: „O lieber Herr, nicht weinet, nicht be¬ trübet Euch, wir wollen Euch und Euren Kaplan in Flor hüllen") und wollen Euch wohl mit hinab und wegbringen." Da sprach der Pfarrer Herr Meger- lein: „Das wolle Gott nicht, daß ich mein Amt und Würdigkeit verleugnen soll, denn ich bin ein Pfaffe und nicht eine Fraue, eure Männer aber w?rden das wohl gewahr werben, wie jämmerlich sie mich dem Tod überantworten und hingeben und sich selbst durch mich retten." Alle diese Klage und Rede beachtete man ">ehe. Nur zwei Kapläne ließen sich schleiern und nahmen Kinder auf ihre Achseln. Aber der Pfarrer nicht. Während dieser Rede einigte sich der Vogt mit den Bürgern, wie sie sich ngeben wollten, und sie ergaben sich. Sie gingen hinab einer nach dem an¬ dern. Da standen die Böhmen und Hussen gar stark unten vor dem Stein¬ haus und nahmen sie alle gefangen. Nur die Frauen mit den Kindern ließen sie los und frei hinweggehen. Aber ein großer Theil der Frauen, Jungfrauen und Kinder war geflüchtet aus Furcht in die Keller; als nun das Feuer über sie kam, da erstickten sie und vergingen alle. AIS sich nun alle von dem Stein¬ hause ergeben hatten, da blieb zuletzt der Pfarrer darauf und sonst noch ledige Gesellschaft, als Knappen und andere Handwerksgesellen, die nichts hatten, sich loszukaufen und vie besorgten, gefangen zu werben und zu verderben, die vermahnte der Pfarrer und sprach: „Liebe Gesellen, wehrt euch heute eurer Hälse und steht feste; denn werdet ihr euch gefangen geben, so werden sie euch quälen, martern und peinigen." Da sprachen sie wieder, sie wollten es thun. Aber als sie sahen, daß sich die Bürger alle ergeben hatten, da begann ihnen zu grauen und gaben sich auch und gingen hinab. Und der Pfarrer blieb also zuletzt da oben mit einem alten Dorfpfarrer. Da liefen die Hussen hinauf und nahmen sie herab und führten sie in das Heer und den Pöbel. Da war zur Hand gegenwärtig Meister Ambrosius, ein Ketzer von Grätz, der *) Flvern, Floren und schleiern, in Frcmcntmcht hüllen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/197>, abgerufen am 23.07.2024.