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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Schilderungen aus dem Volksleben gewiß nicht am unrechten Ort, und Hol¬
berg malt ja Volksleben und keinen Salon, und muß man billigerweise doch
auch der Zeit und dem Zeitton -- wie bei Shakespeare -- sein Recht wider¬
fahren lassen.

Doch wird jene Ansicht Schillers und seiner Zeitgenossen begreiflich, wenn
man die damaligen Uebersetzungen kennt, und aus sonstigen Quellen konnte
ja Schiller seine ^Kenntniß nicht ziehen. Nicht Holberg, wohl aber die Ueber¬
setzungen damaliger Zeit gefielen sich im Schlamm, denn die Uebersetzer be¬
liebten sie mit einer Fülle von Anstatt) auszustatten, die im dänischen Original
gar nicht vorhanden ist. So wird eS noch zum Lob für Holberg, daß trotz
dieser schmuzigen Uebersetzung seine komische Kraft so groß war, daß man sie
auch unter solch unscheinbarem und widerlichem Kleid nicht verkennen konnte.
Eine gute und lesbare Uebersetzung erhielten wir erst in den zwanziger Jahren
von Oehlenschläger, der sich seinem dänischen Molisre mit Begeisterung widmete.

Späterhin versuchten Kotzebue und andere ihn zu bearbeiten, und legten
ihn ihren Stücken zu Grunde. Doch erschien der holbergsche^ und kvtze-
buesche Geist zu entgegengesetzt, als daß sie sich hätten vertragen können. Der
scharfe, strenge Geist des Alten, seine consequente, gespannte Haltung, sein
ngenthüiulichcr Witz verlor sich in der breiten, platten Behandlung, die viel
eher dazu geeignet war, die Schwäche des alten Meisters noch mehr hervor¬
zuheben.

Wenn aber auch Holberg jetzt nicht mehr auf unsrer Bühne lebt, --- wir
dürfen nicht vergessen, daß er von sehr bedeutendem Einfluß für unsre drama¬
tische Dichtung war. Mit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts
begann Gottsched im Verein mit der Ncuberin seine Reform der Bühne und
seinen Kampf für die Franzosen. So nothwendig und wohlthätig dies in ge¬
wisser Beziehung auch war, so wirkte doch Holberg, der um dieselbe Zeit sich
in Deutschland einzubürgern begann, als Gegengewicht gegen die conventio-
nelle Steifheit sehr nachhaltig für das Festhalten an dem natürlichen Ton.
Seine Stücke sind aus dem Leben genommen, knüpfen an das Leben an, und
vertragen keine gekünstelte Behandlung. So hat er der wahren Reform durch
Lesstng die Bahn geebnet, und auf Lessing selbst keinen unbedeutenden Einfluß
geübt, und zu wünschen wäre nur gewesen, daß auch die andern Lustspiel¬
dichter, wie Chr. Felix Weisse, Gellert und andre mehr von der Beweglichkeit
und dem Geist ihres nordischen Vorgängers angenommen hätten. Doch frei¬
lich, ein Gellert, der in der Vorrede zu seiner Ausgabe von -1747 gestand,
daß ihm bei seinen Lustspielen gerührte Thränen lieber seien, als freudiges
Lachen, paßte nicht zu Holberg, der in der Erregung der heitersten Laune und
in der über den Stoff mit voller Herrschaft sich breitenden ironischen Behand¬
lung seiner kleinen Menschenwelt sein Ziel fand.


Schilderungen aus dem Volksleben gewiß nicht am unrechten Ort, und Hol¬
berg malt ja Volksleben und keinen Salon, und muß man billigerweise doch
auch der Zeit und dem Zeitton — wie bei Shakespeare — sein Recht wider¬
fahren lassen.

Doch wird jene Ansicht Schillers und seiner Zeitgenossen begreiflich, wenn
man die damaligen Uebersetzungen kennt, und aus sonstigen Quellen konnte
ja Schiller seine ^Kenntniß nicht ziehen. Nicht Holberg, wohl aber die Ueber¬
setzungen damaliger Zeit gefielen sich im Schlamm, denn die Uebersetzer be¬
liebten sie mit einer Fülle von Anstatt) auszustatten, die im dänischen Original
gar nicht vorhanden ist. So wird eS noch zum Lob für Holberg, daß trotz
dieser schmuzigen Uebersetzung seine komische Kraft so groß war, daß man sie
auch unter solch unscheinbarem und widerlichem Kleid nicht verkennen konnte.
Eine gute und lesbare Uebersetzung erhielten wir erst in den zwanziger Jahren
von Oehlenschläger, der sich seinem dänischen Molisre mit Begeisterung widmete.

Späterhin versuchten Kotzebue und andere ihn zu bearbeiten, und legten
ihn ihren Stücken zu Grunde. Doch erschien der holbergsche^ und kvtze-
buesche Geist zu entgegengesetzt, als daß sie sich hätten vertragen können. Der
scharfe, strenge Geist des Alten, seine consequente, gespannte Haltung, sein
ngenthüiulichcr Witz verlor sich in der breiten, platten Behandlung, die viel
eher dazu geeignet war, die Schwäche des alten Meisters noch mehr hervor¬
zuheben.

Wenn aber auch Holberg jetzt nicht mehr auf unsrer Bühne lebt, -— wir
dürfen nicht vergessen, daß er von sehr bedeutendem Einfluß für unsre drama¬
tische Dichtung war. Mit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts
begann Gottsched im Verein mit der Ncuberin seine Reform der Bühne und
seinen Kampf für die Franzosen. So nothwendig und wohlthätig dies in ge¬
wisser Beziehung auch war, so wirkte doch Holberg, der um dieselbe Zeit sich
in Deutschland einzubürgern begann, als Gegengewicht gegen die conventio-
nelle Steifheit sehr nachhaltig für das Festhalten an dem natürlichen Ton.
Seine Stücke sind aus dem Leben genommen, knüpfen an das Leben an, und
vertragen keine gekünstelte Behandlung. So hat er der wahren Reform durch
Lesstng die Bahn geebnet, und auf Lessing selbst keinen unbedeutenden Einfluß
geübt, und zu wünschen wäre nur gewesen, daß auch die andern Lustspiel¬
dichter, wie Chr. Felix Weisse, Gellert und andre mehr von der Beweglichkeit
und dem Geist ihres nordischen Vorgängers angenommen hätten. Doch frei¬
lich, ein Gellert, der in der Vorrede zu seiner Ausgabe von -1747 gestand,
daß ihm bei seinen Lustspielen gerührte Thränen lieber seien, als freudiges
Lachen, paßte nicht zu Holberg, der in der Erregung der heitersten Laune und
in der über den Stoff mit voller Herrschaft sich breitenden ironischen Behand¬
lung seiner kleinen Menschenwelt sein Ziel fand.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/191>, abgerufen am 23.07.2024.