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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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einer reichen Erbin erscheinen und natürlich sich gegenseitig vernichten läßt.
Daß Holberg überhaupt Plautus viel benutzt, zeigen noch mehre seiner Lust¬
spiele, so besonders sein "Diedrich Menschenschreck", der als Nachbildung des
Pseudolus und Curculio erscheint. Noch genauer wie in diesem Stück hat
er sich in dem "Poltergeist" an die^ Mostellaria des römischen Komödicndichterö
gehalten. . >

Zwei Lustspiele mögen noch kurz erwähnt werden, -- die "Zauberei" und
"der Pfalzgraf oder der verpfändete Bauernjunge". In dem ersten Stück eröffnet
sich uns ein Blick in das damalige Treiben des Schauspielerlebens und die An¬
sichten des Philisterthums darüber, und wird dabei auf ergötzliche Weise der
Aberglaube der Zeit gegeißelt, ohne daß jedoch eigentliche Verwicklungen ein¬
treten. Bei weitem launiger ist "der verpfändete Bauernjunge", in dem zwei
Gauner einen dummen Bauernknaben für einen jungen Pfalzgrafen ausgeben,
der krank und etwas geistcsverwirrt, aber unermeßlich reich sei, und auf dessen
Credit hin sie nun jedermann betrügen und am Schlüsse durchgehend, den armen
Bauer zurücklassen, der mit Mühe durch seine Eltern vor dem Gefängniß
bewahrt wird.

Bei der Darstellung müssen diese Stücke hauptsächlich ein abgerundetes
Ensemble verlangt haben, wie denn auch Tieck in seinen dramaturgischen Blättern
gelegentlich über sie schrieb: "Ja freilich -- und das ist die größte Schwierig¬
keit -- müssen die holbergschen Lustspiele in dem Sinn dargestellt werden, in
welchem sie geschrieben sind. Der Schauspieler muß Genie genug sein,
auch da noch mir Humor und Ironie aufzuhelfen, wo der alte Moralist ernst¬
haft und trocken wird. Und wo finden wir dieses scharfe, aber ruhige Spiel,
jene komische Laune, die uns ohne Vorbereitung täuscht, jene durchgeführte
Charakteristik, die auch das Widersprechende der Geberden und Situationen zu
einem vollständigen Ganzen zu vereinigen weiß?"

Tieck macht hier besonders auf das Ungesuchte und Natürliche der hol¬
bergschen Komik aufmerksam. Was aber die Ausführbarkeit seiner Stücke an¬
langt, so bedürften sie für unsre Zeit einer sichern Hand, die sie Heerichtete --
wonach sie allerdings noch Nepertoirstücke werde" könnten.

Holberg war mit Moliere aus unsrer Bühne heimisch bis in die sechziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts, um welche Zeit er allmälig verschwand.
Die feinere Gestaltung der Bühne, wie sie damals im Gang war, konnte ihm
nicht förderlich sein, man griff mehr nach Goldoni. Schon in Lessings Dra¬
maturgie finden wir ihn nicht mehr, und bekannt ist Schillers Ausspruch
über ihn in dem Aufsatz über naive und sentimentale Dichtung, wobei er frei¬
lich seine komische Kraft anerkennt: "In welchen Schmuz zieht uns nicht Hol-
berg hinab?" Holberg galt also damals für ein Vorbild der Gemeinheit und
des SchmuzeS. Gewiß mit Unrecht, denn einzelne derbe Ausdrücke sind bei


einer reichen Erbin erscheinen und natürlich sich gegenseitig vernichten läßt.
Daß Holberg überhaupt Plautus viel benutzt, zeigen noch mehre seiner Lust¬
spiele, so besonders sein „Diedrich Menschenschreck", der als Nachbildung des
Pseudolus und Curculio erscheint. Noch genauer wie in diesem Stück hat
er sich in dem „Poltergeist" an die^ Mostellaria des römischen Komödicndichterö
gehalten. . >

Zwei Lustspiele mögen noch kurz erwähnt werden, — die „Zauberei" und
„der Pfalzgraf oder der verpfändete Bauernjunge". In dem ersten Stück eröffnet
sich uns ein Blick in das damalige Treiben des Schauspielerlebens und die An¬
sichten des Philisterthums darüber, und wird dabei auf ergötzliche Weise der
Aberglaube der Zeit gegeißelt, ohne daß jedoch eigentliche Verwicklungen ein¬
treten. Bei weitem launiger ist „der verpfändete Bauernjunge", in dem zwei
Gauner einen dummen Bauernknaben für einen jungen Pfalzgrafen ausgeben,
der krank und etwas geistcsverwirrt, aber unermeßlich reich sei, und auf dessen
Credit hin sie nun jedermann betrügen und am Schlüsse durchgehend, den armen
Bauer zurücklassen, der mit Mühe durch seine Eltern vor dem Gefängniß
bewahrt wird.

Bei der Darstellung müssen diese Stücke hauptsächlich ein abgerundetes
Ensemble verlangt haben, wie denn auch Tieck in seinen dramaturgischen Blättern
gelegentlich über sie schrieb: „Ja freilich — und das ist die größte Schwierig¬
keit — müssen die holbergschen Lustspiele in dem Sinn dargestellt werden, in
welchem sie geschrieben sind. Der Schauspieler muß Genie genug sein,
auch da noch mir Humor und Ironie aufzuhelfen, wo der alte Moralist ernst¬
haft und trocken wird. Und wo finden wir dieses scharfe, aber ruhige Spiel,
jene komische Laune, die uns ohne Vorbereitung täuscht, jene durchgeführte
Charakteristik, die auch das Widersprechende der Geberden und Situationen zu
einem vollständigen Ganzen zu vereinigen weiß?"

Tieck macht hier besonders auf das Ungesuchte und Natürliche der hol¬
bergschen Komik aufmerksam. Was aber die Ausführbarkeit seiner Stücke an¬
langt, so bedürften sie für unsre Zeit einer sichern Hand, die sie Heerichtete —
wonach sie allerdings noch Nepertoirstücke werde» könnten.

Holberg war mit Moliere aus unsrer Bühne heimisch bis in die sechziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts, um welche Zeit er allmälig verschwand.
Die feinere Gestaltung der Bühne, wie sie damals im Gang war, konnte ihm
nicht förderlich sein, man griff mehr nach Goldoni. Schon in Lessings Dra¬
maturgie finden wir ihn nicht mehr, und bekannt ist Schillers Ausspruch
über ihn in dem Aufsatz über naive und sentimentale Dichtung, wobei er frei¬
lich seine komische Kraft anerkennt: „In welchen Schmuz zieht uns nicht Hol-
berg hinab?" Holberg galt also damals für ein Vorbild der Gemeinheit und
des SchmuzeS. Gewiß mit Unrecht, denn einzelne derbe Ausdrücke sind bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/190>, abgerufen am 23.07.2024.