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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Und doch ist kein Zweifel, daß das Bruchstück echt ist. Im Jahr 1846
wurde dasselbe unter dem Titel "Aus den Denkwürdigkeiten der Helene Kottan-
nerin. 4439. 1440. Leipzig Will). Engelmann 1846." nach der Handschrift mit
einigen erläuternden Bemerkungen gedruckt. Daß der Herausgeber (Stephan
Endlicher) sich nicht genannt, und daß die alte Handschrift in der Vorrede nur
so beiläufig erwähnt ist, konnte die Befremdung über das Ungewöhnliche des
Inhalts vermehren. Indeß innere und äußere Gründe machten die Echtheit
des Bruchstücks bald unzweifelhaft, die Handschrist selbst befindet sich dem
Vernehmen nach jetzt unter den Manuskripten der k. k. Bibliothek zu Wien.
Aus diesen Denkwürdigkeiten sei hier die Hauptbegebenheit, der Raub der
ungarischen Krone, und die dadurch möglich gewordene Krönung des Kindes
Ladislaus herausgehoben. Zwar ist Mehreres davon in den letzten Jahren
durch die östreichische Tagespresse mitgetheilt worden, demungeachtet wird ein
größeres zusammenhängendes Stück nicht als Wiederholung bekannter Anekdoten
betrachtet werden. Der Bericht ist reich an Detail, durch welches das Hofleben
und die Sitten deö 13. Jahrhunderts charakterisirt werden. Er folgt unten in
wortgetreuer Uebertragung in unsere Sprache.

Zum Verständniß genügt es, daran zu erinnern, daß die Krone des hei¬
ligen Stephan, "die heilige", bis in die neueste Zeit für das ungarische Volk
eine geheimnißvolle Bedeutung hatte; nur durch sie konnte man der echte König
von Ungarn werden. Und diese mystische Bedeutung hat, wie bekannt, noch in
neuester Zeit der langen und traurigen Geschichte dieser Krone einige roman-
hafte^Abenteuer zugesetzt. Damals als König Albrecht starb, hatte seine Witwe
Elisabeth den Erben, welchem die Ungarn schon vor Jahren die Nachfolge im
Lande zugesichert hatten, noch nicht geboren. In dem wilden und egoistischen
Hader der einzelnen Aristokraten, welcher damals Ungarns Schicksale bestimmt,
lassen sich doch im Ganzen zwei große Parteien unterscheiden, die nationale,
zu gleicher Zeit die aristokratische, und die deutsche, die Partei der Königs-
familie und der deutschen Bürgerschaften. Keine von beiden hat unveränderlich
das beste Recht, doch ist nicht zu leugnen, daß die deutsche Partei zum Theil
durch Elisabeth, noch mehr unter ihrem Sohne, Ladislaus V. durch die größere
Schwäche und Unwürdigkeit sich selbst vernichtet und in der glänzenden Person
des Matthias die nationale Fraktion zum Siege gebracht hat. Bei Albrechts
Tode war das Land nicht nur durch die Rohheit und die Gelüste seines Adels
zerrissen, sondern auch von den Türken ernsthaft bedroht. Die nationale Partei
vereinigte sich, den König Wladiölaus von Polen zum König zu machen, die
deutsche suchte jede Möglichkeit, dem deutschen Königsgeschlecht und sich die
Herrschaft zu erhalten. -- -

Ihre Gnaden die edle Königin kam auf die Plintenburg?) und viele



Das berühmte Königsschloß Vlssegrao, in einem Knie der Donau, vier Stunden nörd¬
lich von Bnda-Pest.

Und doch ist kein Zweifel, daß das Bruchstück echt ist. Im Jahr 1846
wurde dasselbe unter dem Titel „Aus den Denkwürdigkeiten der Helene Kottan-
nerin. 4439. 1440. Leipzig Will). Engelmann 1846." nach der Handschrift mit
einigen erläuternden Bemerkungen gedruckt. Daß der Herausgeber (Stephan
Endlicher) sich nicht genannt, und daß die alte Handschrift in der Vorrede nur
so beiläufig erwähnt ist, konnte die Befremdung über das Ungewöhnliche des
Inhalts vermehren. Indeß innere und äußere Gründe machten die Echtheit
des Bruchstücks bald unzweifelhaft, die Handschrist selbst befindet sich dem
Vernehmen nach jetzt unter den Manuskripten der k. k. Bibliothek zu Wien.
Aus diesen Denkwürdigkeiten sei hier die Hauptbegebenheit, der Raub der
ungarischen Krone, und die dadurch möglich gewordene Krönung des Kindes
Ladislaus herausgehoben. Zwar ist Mehreres davon in den letzten Jahren
durch die östreichische Tagespresse mitgetheilt worden, demungeachtet wird ein
größeres zusammenhängendes Stück nicht als Wiederholung bekannter Anekdoten
betrachtet werden. Der Bericht ist reich an Detail, durch welches das Hofleben
und die Sitten deö 13. Jahrhunderts charakterisirt werden. Er folgt unten in
wortgetreuer Uebertragung in unsere Sprache.

Zum Verständniß genügt es, daran zu erinnern, daß die Krone des hei¬
ligen Stephan, „die heilige", bis in die neueste Zeit für das ungarische Volk
eine geheimnißvolle Bedeutung hatte; nur durch sie konnte man der echte König
von Ungarn werden. Und diese mystische Bedeutung hat, wie bekannt, noch in
neuester Zeit der langen und traurigen Geschichte dieser Krone einige roman-
hafte^Abenteuer zugesetzt. Damals als König Albrecht starb, hatte seine Witwe
Elisabeth den Erben, welchem die Ungarn schon vor Jahren die Nachfolge im
Lande zugesichert hatten, noch nicht geboren. In dem wilden und egoistischen
Hader der einzelnen Aristokraten, welcher damals Ungarns Schicksale bestimmt,
lassen sich doch im Ganzen zwei große Parteien unterscheiden, die nationale,
zu gleicher Zeit die aristokratische, und die deutsche, die Partei der Königs-
familie und der deutschen Bürgerschaften. Keine von beiden hat unveränderlich
das beste Recht, doch ist nicht zu leugnen, daß die deutsche Partei zum Theil
durch Elisabeth, noch mehr unter ihrem Sohne, Ladislaus V. durch die größere
Schwäche und Unwürdigkeit sich selbst vernichtet und in der glänzenden Person
des Matthias die nationale Fraktion zum Siege gebracht hat. Bei Albrechts
Tode war das Land nicht nur durch die Rohheit und die Gelüste seines Adels
zerrissen, sondern auch von den Türken ernsthaft bedroht. Die nationale Partei
vereinigte sich, den König Wladiölaus von Polen zum König zu machen, die
deutsche suchte jede Möglichkeit, dem deutschen Königsgeschlecht und sich die
Herrschaft zu erhalten. — -

Ihre Gnaden die edle Königin kam auf die Plintenburg?) und viele



Das berühmte Königsschloß Vlssegrao, in einem Knie der Donau, vier Stunden nörd¬
lich von Bnda-Pest.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/18>, abgerufen am 23.07.2024.