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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Diese Ansicht wurde mir später "och von andern bestätigt. Einer sagte
dabei: Zum Glück haben uns die Preußen eine Eselsbrücke über die Weichsel
gebaut; -- der Esel aber war nicht der, welcher die Brücke benutzte! --

General Schilder, dem ich später noch'öfter begegnete, behandelte mich
immer mit ausnehmender Offenheit. Die Deutschen in russischem Dienst suchen
überhaupt gern ihre Landsleute auf, und es ist wol keiner, .der nicht, wenn
auch in den glücklichsten Verhältnissen', doch oft Heimweh hätte. --

Heute war Ball bei Hofe. Am russischen Hofe folgt immer ein- Fest auf
das andere, aber selten weiß man lange vorher, was geschieht, -- wo, wie,
in welchem Costüme? Alles das wird gewöhnlich erst ein paar Stunden vorher
bekannt gemacht, und es ist eine beständige Hetze und Hast, um von diesen
Dingen unterrichtet zu sein. Besonders auf dem Lande werden die Vergnü¬
gungsorte stets geändert, und meistens von dem Kaiser erst im letzten Augen¬
blicke bestimmt. Es ist gar nicht ungewöhnlich, daß man sich fünf bis sechs
Mal im Tage umkleiden muß. Viele glauben, das sei nicht Laune, sondern
Absicht; man wolle nicht ausschnaufen lassen, und durch die beständige Agitation
und Zerstreuung verhindern, sich mit Politik zu beschäftigen, oder viel davon
zu reden.

Ich habe schon gesagt, daß des Kaisers Benehmen gegen die Kaiserin
stets schonend und rücksichtsvoll ist; es war eine sehr glückliche Ehe. Eine der
Damen des Hoses sagte mir: ode/I'^luporsur 1a, luns alö miet äurs touZours.
-- (?u>g, n'empeckE pas, -- daß man mir heute auf dem Balle die schönen
Damen des Hofes zeigte, welche von dem Kaiser gern gesehen sind. Es sind
meistens Frauen der Flügeladjutanten des Kaisers, und eine ausgezeichnet
schöne Frau soll leicht zu einer solchen Adjutantenstelle verhelfen. Die Kai¬
serin selbst interesstrt sich für schöne Frauen zu ihrer Umgebung und Zierde
des Hofes. Es ist Sitte in Nußland, daß die Männer bei Assembleen oder
'auf Bällen gar keine Notiz von ihren Frauen nehmen; erst beim Nachhause-
fahren findet man sich wieder zusammen.

7. August. Morgens um 4 Uhr war großes Manöver der Garde-
cavalerie; drei Divisionen, zwei leichte, eine schwere, also zwölf Regimenter,
zusammen etwa 8000 Mann stark (66 Escadrons). Das erste Glied der
Kürassiere ist mit Lanzen bewaffnet; , die Feenaciiers ä en<zvAl und Dragoner
tragen die Gewehre su Kancloulisrs <zto. -- Der Kaiser leitete alle Bewegungen
selbst, ^ und ich hatte wieder Gelegenheit, die Langeweile und Ermüdung der
alten russischen Generale zu sehen, die sich gar nicht scheuten, es gegen mich
zu äußern.

Ich besuchte nach dem Manöver den General Schilder, der mir von dem
türkischen Feldzug erzählte; wieder sehr freimüthig: Der Kaiser habe ein Haar
darin gefunden, eine Armee zu commandiren; er fühle nun selbst, daß er nicht


Diese Ansicht wurde mir später »och von andern bestätigt. Einer sagte
dabei: Zum Glück haben uns die Preußen eine Eselsbrücke über die Weichsel
gebaut; — der Esel aber war nicht der, welcher die Brücke benutzte! —

General Schilder, dem ich später noch'öfter begegnete, behandelte mich
immer mit ausnehmender Offenheit. Die Deutschen in russischem Dienst suchen
überhaupt gern ihre Landsleute auf, und es ist wol keiner, .der nicht, wenn
auch in den glücklichsten Verhältnissen', doch oft Heimweh hätte. —

Heute war Ball bei Hofe. Am russischen Hofe folgt immer ein- Fest auf
das andere, aber selten weiß man lange vorher, was geschieht, — wo, wie,
in welchem Costüme? Alles das wird gewöhnlich erst ein paar Stunden vorher
bekannt gemacht, und es ist eine beständige Hetze und Hast, um von diesen
Dingen unterrichtet zu sein. Besonders auf dem Lande werden die Vergnü¬
gungsorte stets geändert, und meistens von dem Kaiser erst im letzten Augen¬
blicke bestimmt. Es ist gar nicht ungewöhnlich, daß man sich fünf bis sechs
Mal im Tage umkleiden muß. Viele glauben, das sei nicht Laune, sondern
Absicht; man wolle nicht ausschnaufen lassen, und durch die beständige Agitation
und Zerstreuung verhindern, sich mit Politik zu beschäftigen, oder viel davon
zu reden.

Ich habe schon gesagt, daß des Kaisers Benehmen gegen die Kaiserin
stets schonend und rücksichtsvoll ist; es war eine sehr glückliche Ehe. Eine der
Damen des Hoses sagte mir: ode/I'^luporsur 1a, luns alö miet äurs touZours.
— (?u>g, n'empeckE pas, — daß man mir heute auf dem Balle die schönen
Damen des Hofes zeigte, welche von dem Kaiser gern gesehen sind. Es sind
meistens Frauen der Flügeladjutanten des Kaisers, und eine ausgezeichnet
schöne Frau soll leicht zu einer solchen Adjutantenstelle verhelfen. Die Kai¬
serin selbst interesstrt sich für schöne Frauen zu ihrer Umgebung und Zierde
des Hofes. Es ist Sitte in Nußland, daß die Männer bei Assembleen oder
'auf Bällen gar keine Notiz von ihren Frauen nehmen; erst beim Nachhause-
fahren findet man sich wieder zusammen.

7. August. Morgens um 4 Uhr war großes Manöver der Garde-
cavalerie; drei Divisionen, zwei leichte, eine schwere, also zwölf Regimenter,
zusammen etwa 8000 Mann stark (66 Escadrons). Das erste Glied der
Kürassiere ist mit Lanzen bewaffnet; , die Feenaciiers ä en<zvAl und Dragoner
tragen die Gewehre su Kancloulisrs <zto. — Der Kaiser leitete alle Bewegungen
selbst, ^ und ich hatte wieder Gelegenheit, die Langeweile und Ermüdung der
alten russischen Generale zu sehen, die sich gar nicht scheuten, es gegen mich
zu äußern.

Ich besuchte nach dem Manöver den General Schilder, der mir von dem
türkischen Feldzug erzählte; wieder sehr freimüthig: Der Kaiser habe ein Haar
darin gefunden, eine Armee zu commandiren; er fühle nun selbst, daß er nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/173>, abgerufen am 23.07.2024.