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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Der Kaiser' ist ein sehr schöner Mann, das Profil besonders ist edel und
imposant. Die vielen Bilder, welche man von ihm hat, sind alle ähnlich,
wenn anch für jetzt zu jung. Der Kaiser wurde vielleicht mit Recht der schönste
Mann in seinem Reiche genannt; aber wenn so etwas zwanzig Jahre lang
wahr gewesen ist, kommt doch auch eine Zeit, wo es aufhört, wahr zu sein,
und ich hoffe, der Kaiser sieht ohne zu große Regrets die Zeit herannahen,
wo er die Krone der Schönheit niederlegen muß. Die Gewohnheit des Kaisers,
sich an einem Tage oft in fünf bis sechs verschiedenen Uniformen zu produ-
ciren, ist eine Eitelkeit oder Frivolität, die einem Monarchen schlecht ansteht,
der sich mit so vielen wichtigen Dingen zu beschäftigen hat. Aber bei der
außerordentlichen Thätigkeit, welche ihm allgemein zuerkannt wird, sott er Zeit
für alles finden. Ich habe ihn während ein paar Monaten gewaltig viel
unterwegs und Soldatenspielen gesehen.

Was nun den Charakter des Kaisers Nikolaus betrifft, so will ich alles,
was ich darüber von Leidenschaftslosen gehört habe, mittheilen, Lob und Tadel;
selbst kaun ich darüber kein Urtheil haben.

Der Kaiser zeigt eine bewundernswürdige Thätigkeit und Energie, sieht
und thut vieles selbst, geht sehr in Details ein; er hat seit seiner Negierung
dem Staate einen solchen Impuls gegeben, viele Zweige der Verwaltung haben
solche Fortschritte gemacht, daß die Negierung Aleranders dadurch ganz ver¬
dunkelt wird. Dabei aber wirft man ihm vor, daß sei" Durchgreifeu oft in
Härte ausarte, daß er die Saiten zu sehr überspanne (qu'it tend et-op los
col-ÜLs), ohne die Hauptmangel abzustellen.

Man lobt von ihm, daß er von Personen, welche sein Vertrauen be¬
sitzen, gern die Wahrheit höre; auch Wahrheit, die ihm empfindlich ist. Unter
den Personen, welche ihm mit Freimüthigkeit die Wahrheit sagen, nennt man:
den Grafen Orloff, den Grafen Benkendorf, den preußischen Obersten Rauch.
Bei vielen Schwächen hat der Kaiser einen offenen, ritterlichen Charakter;
Verdacht verschließt er nicht lange in sich (wie man dem Kaiser Alexander
vorwirft); wenn er dazu Grund zu haben glaubt, läßt er sogleich untersuchen,
und ist ein strenger Richter.

Ein Fehler, für seine nächsten Umgebungen sehr unheimlich und drückend,
ist die Gewohnheit, zwischen allzugroßer Familiarität und abstoßendem Stolze
abzuwechseln, und an demselben Tage, für dieselbe Person, mit ganz verschie¬
dener Haltung, jetzt Freund, jetzt Kaiser zu sein.

Die Eitelkeit, die Sucht, sich zu produciren selbst in kleinen und kleinlichen
Dingen, geht bis zur Taktlosigkeit. Zu den größten Schwächen gehört das
ermüdende Soldatenspiclen und Manövriren, obgleich er dafür kein Talent
und selbst die Ueberzeugung hat, daß er nicht zum Feldherrn tauge. -- Wenn
man sich schon an dem russischen Hofe nur mit großer Vorsicht über den Kaiser


21 *

Der Kaiser' ist ein sehr schöner Mann, das Profil besonders ist edel und
imposant. Die vielen Bilder, welche man von ihm hat, sind alle ähnlich,
wenn anch für jetzt zu jung. Der Kaiser wurde vielleicht mit Recht der schönste
Mann in seinem Reiche genannt; aber wenn so etwas zwanzig Jahre lang
wahr gewesen ist, kommt doch auch eine Zeit, wo es aufhört, wahr zu sein,
und ich hoffe, der Kaiser sieht ohne zu große Regrets die Zeit herannahen,
wo er die Krone der Schönheit niederlegen muß. Die Gewohnheit des Kaisers,
sich an einem Tage oft in fünf bis sechs verschiedenen Uniformen zu produ-
ciren, ist eine Eitelkeit oder Frivolität, die einem Monarchen schlecht ansteht,
der sich mit so vielen wichtigen Dingen zu beschäftigen hat. Aber bei der
außerordentlichen Thätigkeit, welche ihm allgemein zuerkannt wird, sott er Zeit
für alles finden. Ich habe ihn während ein paar Monaten gewaltig viel
unterwegs und Soldatenspielen gesehen.

Was nun den Charakter des Kaisers Nikolaus betrifft, so will ich alles,
was ich darüber von Leidenschaftslosen gehört habe, mittheilen, Lob und Tadel;
selbst kaun ich darüber kein Urtheil haben.

Der Kaiser zeigt eine bewundernswürdige Thätigkeit und Energie, sieht
und thut vieles selbst, geht sehr in Details ein; er hat seit seiner Negierung
dem Staate einen solchen Impuls gegeben, viele Zweige der Verwaltung haben
solche Fortschritte gemacht, daß die Negierung Aleranders dadurch ganz ver¬
dunkelt wird. Dabei aber wirft man ihm vor, daß sei» Durchgreifeu oft in
Härte ausarte, daß er die Saiten zu sehr überspanne (qu'it tend et-op los
col-ÜLs), ohne die Hauptmangel abzustellen.

Man lobt von ihm, daß er von Personen, welche sein Vertrauen be¬
sitzen, gern die Wahrheit höre; auch Wahrheit, die ihm empfindlich ist. Unter
den Personen, welche ihm mit Freimüthigkeit die Wahrheit sagen, nennt man:
den Grafen Orloff, den Grafen Benkendorf, den preußischen Obersten Rauch.
Bei vielen Schwächen hat der Kaiser einen offenen, ritterlichen Charakter;
Verdacht verschließt er nicht lange in sich (wie man dem Kaiser Alexander
vorwirft); wenn er dazu Grund zu haben glaubt, läßt er sogleich untersuchen,
und ist ein strenger Richter.

Ein Fehler, für seine nächsten Umgebungen sehr unheimlich und drückend,
ist die Gewohnheit, zwischen allzugroßer Familiarität und abstoßendem Stolze
abzuwechseln, und an demselben Tage, für dieselbe Person, mit ganz verschie¬
dener Haltung, jetzt Freund, jetzt Kaiser zu sein.

Die Eitelkeit, die Sucht, sich zu produciren selbst in kleinen und kleinlichen
Dingen, geht bis zur Taktlosigkeit. Zu den größten Schwächen gehört das
ermüdende Soldatenspiclen und Manövriren, obgleich er dafür kein Talent
und selbst die Ueberzeugung hat, daß er nicht zum Feldherrn tauge. — Wenn
man sich schon an dem russischen Hofe nur mit großer Vorsicht über den Kaiser


21 *
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[0171] Der Kaiser' ist ein sehr schöner Mann, das Profil besonders ist edel und imposant. Die vielen Bilder, welche man von ihm hat, sind alle ähnlich, wenn anch für jetzt zu jung. Der Kaiser wurde vielleicht mit Recht der schönste Mann in seinem Reiche genannt; aber wenn so etwas zwanzig Jahre lang wahr gewesen ist, kommt doch auch eine Zeit, wo es aufhört, wahr zu sein, und ich hoffe, der Kaiser sieht ohne zu große Regrets die Zeit herannahen, wo er die Krone der Schönheit niederlegen muß. Die Gewohnheit des Kaisers, sich an einem Tage oft in fünf bis sechs verschiedenen Uniformen zu produ- ciren, ist eine Eitelkeit oder Frivolität, die einem Monarchen schlecht ansteht, der sich mit so vielen wichtigen Dingen zu beschäftigen hat. Aber bei der außerordentlichen Thätigkeit, welche ihm allgemein zuerkannt wird, sott er Zeit für alles finden. Ich habe ihn während ein paar Monaten gewaltig viel unterwegs und Soldatenspielen gesehen. Was nun den Charakter des Kaisers Nikolaus betrifft, so will ich alles, was ich darüber von Leidenschaftslosen gehört habe, mittheilen, Lob und Tadel; selbst kaun ich darüber kein Urtheil haben. Der Kaiser zeigt eine bewundernswürdige Thätigkeit und Energie, sieht und thut vieles selbst, geht sehr in Details ein; er hat seit seiner Negierung dem Staate einen solchen Impuls gegeben, viele Zweige der Verwaltung haben solche Fortschritte gemacht, daß die Negierung Aleranders dadurch ganz ver¬ dunkelt wird. Dabei aber wirft man ihm vor, daß sei» Durchgreifeu oft in Härte ausarte, daß er die Saiten zu sehr überspanne (qu'it tend et-op los col-ÜLs), ohne die Hauptmangel abzustellen. Man lobt von ihm, daß er von Personen, welche sein Vertrauen be¬ sitzen, gern die Wahrheit höre; auch Wahrheit, die ihm empfindlich ist. Unter den Personen, welche ihm mit Freimüthigkeit die Wahrheit sagen, nennt man: den Grafen Orloff, den Grafen Benkendorf, den preußischen Obersten Rauch. Bei vielen Schwächen hat der Kaiser einen offenen, ritterlichen Charakter; Verdacht verschließt er nicht lange in sich (wie man dem Kaiser Alexander vorwirft); wenn er dazu Grund zu haben glaubt, läßt er sogleich untersuchen, und ist ein strenger Richter. Ein Fehler, für seine nächsten Umgebungen sehr unheimlich und drückend, ist die Gewohnheit, zwischen allzugroßer Familiarität und abstoßendem Stolze abzuwechseln, und an demselben Tage, für dieselbe Person, mit ganz verschie¬ dener Haltung, jetzt Freund, jetzt Kaiser zu sein. Die Eitelkeit, die Sucht, sich zu produciren selbst in kleinen und kleinlichen Dingen, geht bis zur Taktlosigkeit. Zu den größten Schwächen gehört das ermüdende Soldatenspiclen und Manövriren, obgleich er dafür kein Talent und selbst die Ueberzeugung hat, daß er nicht zum Feldherrn tauge. — Wenn man sich schon an dem russischen Hofe nur mit großer Vorsicht über den Kaiser 21 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/171>, abgerufen am 23.07.2024.