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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Seine Urtheile über Personen und seine Erzählung dessen, was er erlebt, sind
kurz, in scharfen Zügen, mit präcisem, ja epigrammatischem Ausdruck hinge¬
worfen und waren wohl so, wie er sie geschrieben, in gegenwärtiger Zeit nicht mit¬
zutheilen. So kamen die Brüder in die Lage, Manches zu mildern oder wegzu¬
lassen. Doch ist genug übrig geblieben, um dem Leser auch solche kleine
Freuden zu machen, welche man, wie die Zeiten sind, still zu genießen ver¬
anlaßt ist.

Der Redaction d. Bl. ist die Freude geworden, auch von dem noch nicht im
Buchhandel ausgegebenen Theil seiner Hinterlassenschaft daS Material des
zweiten und dritten Bandes anzusehn, und dazu das Recht, Einzelnes davon
mitzutheilen. Freilich, was den Lesern die größte Ueberraschung bereitet hätte,
wird man am besten in dem stärkern Bau des Werkes selbst nachlesen, dessen
Druck in den nächsten Monaten beendet werden soll; für die zarte Constitution
der grünen Blätter könnte die Aufnahme dieser Sachen kritisch werden. Des¬
halb beschränken wir uus zunächst darauf, aus dem Journal einer Reise
nach Rußland im Jahr 1839, welche Fritz v. Gagern als Begleiter des
(verstorbenen) Prinzen Alexander von der Niederlande an den russischen Hof
machte, einige Beobachtungen mitzutheilen, welche dazu helfen, den verstorbenen
Kaiser Nikolaus zu charakterisiren. Wenn man in dem hier Mitgetheilten
nur eine geistvolle Bestätigung desselben Urtheils erhält, welches die letzten
Kriegsjahre nahe gelegt haben, so soll auch nicht verschwiegen werven, daß im
Zusammenhange des Journals selbst, und wol noch mehr in dem geschriebenen,
das Urtheil des Deutschen über den Zar durch Ton und einige kleine Striche
noch eine andere Schattirung erhält. Das Hauptinteresse des Journals liegt
aber in der Freude, welche man über die männliche und sichere Haltung des Er¬
zählers bekommt. Was also hier folgt, sind Sätze Friedrichs von Gagern, die
aus dem Journal zusammengestellt sind.

"Fast möchte ich, wie Tristram Shandy seine Geschichte, so meinen Reise¬
bericht mit der Entschuldigung anfange",, daß ich so und uicht anders bin. --
In irgend einem Jagdhunde habe ich gelesen, daß die Hirsche, denen wiederholt
daS Geweih abgesägt ist, endlich ihren männlichen Charakter verlieren. Ich
habe meine Reise mit einem Prinzen gemacht und mich während der ganzen
Dauer derselben stets in der Nähe eines Hofes befunden, so daß ich gezwungen
war, meinen Gedanken die Hörner abzusägen; dadurch sind sie etwas matt
geworden. --

Am russischen Hofe ist Nikolaus die bedeutendste Figur, nicht blos weil
er der Kaiser, sondern wegen seiner Persönlichkeit, welche sehr ausgezeichnet
ist, auch wenn man die Lobeserhebungen, welche die Schmeichelei dem mäch¬
tigsten Monarchen der Erde so reichlich spendet, auf die nackte Wahrheit re-
ducirt.


Seine Urtheile über Personen und seine Erzählung dessen, was er erlebt, sind
kurz, in scharfen Zügen, mit präcisem, ja epigrammatischem Ausdruck hinge¬
worfen und waren wohl so, wie er sie geschrieben, in gegenwärtiger Zeit nicht mit¬
zutheilen. So kamen die Brüder in die Lage, Manches zu mildern oder wegzu¬
lassen. Doch ist genug übrig geblieben, um dem Leser auch solche kleine
Freuden zu machen, welche man, wie die Zeiten sind, still zu genießen ver¬
anlaßt ist.

Der Redaction d. Bl. ist die Freude geworden, auch von dem noch nicht im
Buchhandel ausgegebenen Theil seiner Hinterlassenschaft daS Material des
zweiten und dritten Bandes anzusehn, und dazu das Recht, Einzelnes davon
mitzutheilen. Freilich, was den Lesern die größte Ueberraschung bereitet hätte,
wird man am besten in dem stärkern Bau des Werkes selbst nachlesen, dessen
Druck in den nächsten Monaten beendet werden soll; für die zarte Constitution
der grünen Blätter könnte die Aufnahme dieser Sachen kritisch werden. Des¬
halb beschränken wir uus zunächst darauf, aus dem Journal einer Reise
nach Rußland im Jahr 1839, welche Fritz v. Gagern als Begleiter des
(verstorbenen) Prinzen Alexander von der Niederlande an den russischen Hof
machte, einige Beobachtungen mitzutheilen, welche dazu helfen, den verstorbenen
Kaiser Nikolaus zu charakterisiren. Wenn man in dem hier Mitgetheilten
nur eine geistvolle Bestätigung desselben Urtheils erhält, welches die letzten
Kriegsjahre nahe gelegt haben, so soll auch nicht verschwiegen werven, daß im
Zusammenhange des Journals selbst, und wol noch mehr in dem geschriebenen,
das Urtheil des Deutschen über den Zar durch Ton und einige kleine Striche
noch eine andere Schattirung erhält. Das Hauptinteresse des Journals liegt
aber in der Freude, welche man über die männliche und sichere Haltung des Er¬
zählers bekommt. Was also hier folgt, sind Sätze Friedrichs von Gagern, die
aus dem Journal zusammengestellt sind.

„Fast möchte ich, wie Tristram Shandy seine Geschichte, so meinen Reise¬
bericht mit der Entschuldigung anfange»,, daß ich so und uicht anders bin. —
In irgend einem Jagdhunde habe ich gelesen, daß die Hirsche, denen wiederholt
daS Geweih abgesägt ist, endlich ihren männlichen Charakter verlieren. Ich
habe meine Reise mit einem Prinzen gemacht und mich während der ganzen
Dauer derselben stets in der Nähe eines Hofes befunden, so daß ich gezwungen
war, meinen Gedanken die Hörner abzusägen; dadurch sind sie etwas matt
geworden. —

Am russischen Hofe ist Nikolaus die bedeutendste Figur, nicht blos weil
er der Kaiser, sondern wegen seiner Persönlichkeit, welche sehr ausgezeichnet
ist, auch wenn man die Lobeserhebungen, welche die Schmeichelei dem mäch¬
tigsten Monarchen der Erde so reichlich spendet, auf die nackte Wahrheit re-
ducirt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/170>, abgerufen am 23.07.2024.