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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Regentengeschlecht die Laster und Nichtswürdigkeiten beider Negierungsmetho-
den, ohne die charakteristischen Vorzüge von einer zu besitzen. Wol der ver¬
worfenste dieses Geschlechts war Kaiser Sigismund, gewaltthätig ohne Tapfer¬
keit, hochfahrend ohne Selbstgefühl, intriguant ohne Energie, der gewissen¬
loseste und dabei der launenhafteste aller Menschen; von großer geistiger Rüh¬
rigkeit und Thatenlust, ohne Willens- und Arbeitskraft brachte er in Unheil,
was er anrührte, und machte sein Leben zu einer Reihe von Verbrechen, Ent¬
täuschungen, Demüthigungen und unverhofften Erfolgen, )velche zuweilen schimpf¬
licher waren, als seine Niederlage. Seine Tochter Elisabeth war eine würdige
Tochter ihres Hauses. Auch ihr Schicksal war es, Ungarn in Schwäche und
Verwirrung zu stürzen. Aber wie sie auch in der Geschichte verurtheilt werden
muß, es scheint, daß sie etwas vor ihrem Vater und einer verworfenen Mutter
.voraus hatte, sie besaß ein sicheres Gefühl ihrer Hoheit und war, was ihre
Eltern niemals waren, eine durchaus vornehme Dame. Diese Eigenschaft ver¬
hinderte sie zwar nicht, aus politischen Gründen Unwürdigkeiten zu begehen,
denen jede Zeit das Prädicat ,,gemein" gegeben hat, aber sie fesselte doch die
Seelen anderer Menschen fest an die ihrige. Denn der Zauber, welchen eine
wahrhaft vornehme Haltung auf andere ausübt, hat sich mehr als einmal als
verhängnißvolles Surrogat besserer Eigenschaften, der bürgerlichen Redlichkeit
und eines wahrhaft adligen Sinnes bewiesen.

So war auch eine ihrer Dienerinnen, Helene Kottanner, ihr mit uner¬
schütterlicher Treue ergeben. Sie war in der Stellung einer Kammerfrau und
Erzieherin der vierjährigen Prinzeß zugleich die Vertraute und Rathgeberin
ihrer Herrin, eine ungewöhnlich kluge, energische Frau, und obgleich Teil¬
nehmerin an mehr als gewagten Unternehmungen ihrer Herrin doch voll wah¬
rer Frömmigkeit und durchaus nicht gewissenlos. Eine feurige Loyalität und
eine mütterliche Liebe zu dem kleinen Könige Ladislaus machten sie zur
zuverlässigsten Parteigängerin der Königsfamilie. Sie entwendet für ihre Herrin
heimlich die ungarische Krone, sie trägt den kleinen Ladislaus durch die Sümpfe
Ungarns und die Waffen rebellischer Magnaten auf ihrem Arm zu seiner Krö¬
nung und wird, als ihn das Schicksal von seiner Mutter trennt, seine Erziehe¬
rin. -- Das Merkwürdigste aber ist, daß dieselbe Frau, in einer Zeit des
rührigen Handelns, wo auch den Männern das Schreiben lästig und unbequem
war, die wichtigen Ereignisse ihres Lebens und ihren Antheil an der Politik
in Memvirenform niederschrieb. Und die Verwunderung über einen so unge¬
wöhnlichen Einfall steigert sich, wenn man das Bruchstück ihrer Denkwürdig¬
keiten, welches uns erhalten ist, näher betrachtet. Ihre Erzählung ist so ehr¬
lich, so detaillirt, so rücksichtslos, und.dabei die Darstellung so klar und
wirksam, daß der Historiker wol ein Recht hatte, von dem freudigen Erstaunen
bis zum Mißtrauen gegen die Echtheit der Ueberlieferung zu kommen.


Gr-nzbotm. IV. 1866. <z

Regentengeschlecht die Laster und Nichtswürdigkeiten beider Negierungsmetho-
den, ohne die charakteristischen Vorzüge von einer zu besitzen. Wol der ver¬
worfenste dieses Geschlechts war Kaiser Sigismund, gewaltthätig ohne Tapfer¬
keit, hochfahrend ohne Selbstgefühl, intriguant ohne Energie, der gewissen¬
loseste und dabei der launenhafteste aller Menschen; von großer geistiger Rüh¬
rigkeit und Thatenlust, ohne Willens- und Arbeitskraft brachte er in Unheil,
was er anrührte, und machte sein Leben zu einer Reihe von Verbrechen, Ent¬
täuschungen, Demüthigungen und unverhofften Erfolgen, )velche zuweilen schimpf¬
licher waren, als seine Niederlage. Seine Tochter Elisabeth war eine würdige
Tochter ihres Hauses. Auch ihr Schicksal war es, Ungarn in Schwäche und
Verwirrung zu stürzen. Aber wie sie auch in der Geschichte verurtheilt werden
muß, es scheint, daß sie etwas vor ihrem Vater und einer verworfenen Mutter
.voraus hatte, sie besaß ein sicheres Gefühl ihrer Hoheit und war, was ihre
Eltern niemals waren, eine durchaus vornehme Dame. Diese Eigenschaft ver¬
hinderte sie zwar nicht, aus politischen Gründen Unwürdigkeiten zu begehen,
denen jede Zeit das Prädicat ,,gemein" gegeben hat, aber sie fesselte doch die
Seelen anderer Menschen fest an die ihrige. Denn der Zauber, welchen eine
wahrhaft vornehme Haltung auf andere ausübt, hat sich mehr als einmal als
verhängnißvolles Surrogat besserer Eigenschaften, der bürgerlichen Redlichkeit
und eines wahrhaft adligen Sinnes bewiesen.

So war auch eine ihrer Dienerinnen, Helene Kottanner, ihr mit uner¬
schütterlicher Treue ergeben. Sie war in der Stellung einer Kammerfrau und
Erzieherin der vierjährigen Prinzeß zugleich die Vertraute und Rathgeberin
ihrer Herrin, eine ungewöhnlich kluge, energische Frau, und obgleich Teil¬
nehmerin an mehr als gewagten Unternehmungen ihrer Herrin doch voll wah¬
rer Frömmigkeit und durchaus nicht gewissenlos. Eine feurige Loyalität und
eine mütterliche Liebe zu dem kleinen Könige Ladislaus machten sie zur
zuverlässigsten Parteigängerin der Königsfamilie. Sie entwendet für ihre Herrin
heimlich die ungarische Krone, sie trägt den kleinen Ladislaus durch die Sümpfe
Ungarns und die Waffen rebellischer Magnaten auf ihrem Arm zu seiner Krö¬
nung und wird, als ihn das Schicksal von seiner Mutter trennt, seine Erziehe¬
rin. — Das Merkwürdigste aber ist, daß dieselbe Frau, in einer Zeit des
rührigen Handelns, wo auch den Männern das Schreiben lästig und unbequem
war, die wichtigen Ereignisse ihres Lebens und ihren Antheil an der Politik
in Memvirenform niederschrieb. Und die Verwunderung über einen so unge¬
wöhnlichen Einfall steigert sich, wenn man das Bruchstück ihrer Denkwürdig¬
keiten, welches uns erhalten ist, näher betrachtet. Ihre Erzählung ist so ehr¬
lich, so detaillirt, so rücksichtslos, und.dabei die Darstellung so klar und
wirksam, daß der Historiker wol ein Recht hatte, von dem freudigen Erstaunen
bis zum Mißtrauen gegen die Echtheit der Ueberlieferung zu kommen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/17>, abgerufen am 23.07.2024.