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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Rede sein wird, und beide waren im TodeSzustande, dann war noch eine Ver¬
traute von beiden da, welche Schwester Michelle hieß. Ein Laie trat ein,
welcher, >von der letztern aufgefordert, die Todesstarre der Glieder Nosaliens zu
verificiren, hinging, sie am Beine zu ziehen, welches sich in der That ganz
starr fand; ein anwesender Geistlicher weigerte sich, dieselbe Probe zu machen,
schlich sich aber nachher unbemerkt ans Bette und. zog die Rosalie am Beine,
als sie es am wenigsten erwartete; es sand sich biegsam und im natürlichen
Zustande. Der Censor, ganz erstaunt, fragte Schwester Michelle nach dem
Grunde dieser großen Verschiedenheit und diese antwortete, Gott habe es
erlaubt, um den Respect der Rosalie vor den Priestern zu offenbaren. In
diesem Augenblick trat ein Geistlicher in weltlicher Tracht ein, wurde eingeladen,
die Probe zu wiederholen und fand das Bein ganz starr; Schwester Michelle
aufs neue befragt, erwiderte, daS beweise, was sie eben gesagt habe, den
Respect vor Priestern. Hierauf rief der Censor: "Aber dies ist einer und
überschüttete sie mit Vorwürfen. Bald darauf kam ein Chirurg, welcher heimlich
eine Nadel aus seinem Aermel zog und die Todte damit plötzlich in die Hand
stach, worauf diese aus Leibeskräften zu schreien anfing."

"Die Unsichtbare," erzählt er weiter, "ist eine Stickerin; ihre Angehöugen
haben sie in Se. Pelagie einsperren lassen, weil sie sich von einem Laien
hatte verführen lassen. Als sie entlassen wurde, gaben ihr einige Schwestern
gute Lehren mit auf den Weg, sie antwortete aber, sie hätten gut reden,
ihr Handwerk verschaffte ihr aber nicht alle Tage Arbeit und sie müßte
doch leben. Man behauptet, daß die Unsichtbare zuerst die Mode der
Konvulsionen bei Nacht aufgebracht hat; sie ergriffen sie jeden Abend zur
gleichen Stunde und es sollen täglich ungefähr dieselben Dinge geschehen
sein. Folgendes habe ich von einem Augenzeugen erfahren. Nachdem
die Gesellschaft versammelt und eine Matratze hingelegt war, auf welcher
sie ihre Capriolen machen sollte, erschien sie auf der Scene, ein kleines
Päckchen mit Reliquien des Paris in der Hand, welches sie alle küssen ließ;
bisweilen ging sie einigen ihr wohlbekannten Personen vorbei, als ob sie sie
nicht kenne, dann sagte sie, sie litte sehr und sie müßte etwas versäumt haben:
plötzlich ging sie hierauf zu dem Uebergangenen, nannte ihn bei Namen, ließ
ihn die Reliquien küssen, bot sie ihm, wenn er Priester war, kniend dar, und
nach einer so wunderbaren Unterscheidungsgabe ließ sich der Beifall der Ver¬
sammlung vernehmen. Darauf fingen die Purzelbäume an, man stellte sie
auf den Kopf und sie sang in dieser Stellung das Magnificat oder sonst
etwas, worauf man sie am Leibe zerrte durch ein einfaches Hemd, (damit
man unterscheiden konnte, wie zwei Frauen dies ausführten); das war ein
Schauspiel, welches die Bewunderung der ganzen kleinen Herde, besonders der
Häupter und Leiter ^und vor allem der beiden Senatspräsidenten hervorrief.


Rede sein wird, und beide waren im TodeSzustande, dann war noch eine Ver¬
traute von beiden da, welche Schwester Michelle hieß. Ein Laie trat ein,
welcher, >von der letztern aufgefordert, die Todesstarre der Glieder Nosaliens zu
verificiren, hinging, sie am Beine zu ziehen, welches sich in der That ganz
starr fand; ein anwesender Geistlicher weigerte sich, dieselbe Probe zu machen,
schlich sich aber nachher unbemerkt ans Bette und. zog die Rosalie am Beine,
als sie es am wenigsten erwartete; es sand sich biegsam und im natürlichen
Zustande. Der Censor, ganz erstaunt, fragte Schwester Michelle nach dem
Grunde dieser großen Verschiedenheit und diese antwortete, Gott habe es
erlaubt, um den Respect der Rosalie vor den Priestern zu offenbaren. In
diesem Augenblick trat ein Geistlicher in weltlicher Tracht ein, wurde eingeladen,
die Probe zu wiederholen und fand das Bein ganz starr; Schwester Michelle
aufs neue befragt, erwiderte, daS beweise, was sie eben gesagt habe, den
Respect vor Priestern. Hierauf rief der Censor: „Aber dies ist einer und
überschüttete sie mit Vorwürfen. Bald darauf kam ein Chirurg, welcher heimlich
eine Nadel aus seinem Aermel zog und die Todte damit plötzlich in die Hand
stach, worauf diese aus Leibeskräften zu schreien anfing."

„Die Unsichtbare," erzählt er weiter, „ist eine Stickerin; ihre Angehöugen
haben sie in Se. Pelagie einsperren lassen, weil sie sich von einem Laien
hatte verführen lassen. Als sie entlassen wurde, gaben ihr einige Schwestern
gute Lehren mit auf den Weg, sie antwortete aber, sie hätten gut reden,
ihr Handwerk verschaffte ihr aber nicht alle Tage Arbeit und sie müßte
doch leben. Man behauptet, daß die Unsichtbare zuerst die Mode der
Konvulsionen bei Nacht aufgebracht hat; sie ergriffen sie jeden Abend zur
gleichen Stunde und es sollen täglich ungefähr dieselben Dinge geschehen
sein. Folgendes habe ich von einem Augenzeugen erfahren. Nachdem
die Gesellschaft versammelt und eine Matratze hingelegt war, auf welcher
sie ihre Capriolen machen sollte, erschien sie auf der Scene, ein kleines
Päckchen mit Reliquien des Paris in der Hand, welches sie alle küssen ließ;
bisweilen ging sie einigen ihr wohlbekannten Personen vorbei, als ob sie sie
nicht kenne, dann sagte sie, sie litte sehr und sie müßte etwas versäumt haben:
plötzlich ging sie hierauf zu dem Uebergangenen, nannte ihn bei Namen, ließ
ihn die Reliquien küssen, bot sie ihm, wenn er Priester war, kniend dar, und
nach einer so wunderbaren Unterscheidungsgabe ließ sich der Beifall der Ver¬
sammlung vernehmen. Darauf fingen die Purzelbäume an, man stellte sie
auf den Kopf und sie sang in dieser Stellung das Magnificat oder sonst
etwas, worauf man sie am Leibe zerrte durch ein einfaches Hemd, (damit
man unterscheiden konnte, wie zwei Frauen dies ausführten); das war ein
Schauspiel, welches die Bewunderung der ganzen kleinen Herde, besonders der
Häupter und Leiter ^und vor allem der beiden Senatspräsidenten hervorrief.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/164>, abgerufen am 23.07.2024.